Mit Blick auf die bevorstehenden Regionalwahlen in diesem Jahr und den Präsidentschaftswahlen im kommenden scheint Marine Le Pens rechte Partei Rassemblement National (RN) ihre politischen Prioritäten überarbeiten zu wollen. Auf der Agenda: mehr Ökologie, und kein EU-Austritt oder eine Rückkehr zum Franc mehr. EURACTIV Frankreich berichtet.
Seit ihrer Niederlage bei den Wahlen 2017 arbeitet Le Pen an ihrem Image, um als möglichst „präsidentinnenwürdig“ zu erscheinen. Ziel ist und bleibt es, 2022 den Posten im Elysée-Palast zu übernehmen.
„Diese Entdämonisierung ist seit mehreren Jahren im Gange. Sie ist ein stetiger Prozess,“ kommentiert Juliette Grange, Professorin für Philosophie an der Universität von Tours, im Gespräch mit EURACTIV Frankreich.
Nachdem der Aufstieg von Emmanuel Macron und seiner nach eigener Darstellung „zentristischen“ Partei La République en Marche das politische Spektrum und die traditionelle Rechts-Links-Trennung in Frankreich durcheinandergewirbelt hat, stellt sich die RN nun weniger als rechte denn als explizit oppositionelle Partei dar: Le Pen zeige sich gemäßigter und „versucht, sich als Alternative zu positionieren, indem sie Gegenvorschläge zu jedem größeren Projekt von Macron macht“, erklärt Grange.
Bei den Wählerinnen und Wählern, so scheint es, findet dies Beachtung: Eine Anfang April veröffentlichte Ifop-Umfrage ergab, dass Le Pen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 28 Prozent der Stimmen erhalten könnte und somit vor Macron (24 Prozent) liegen würde. Was das für eine Stichwahl im zweiten Wahlgang bedeuten würde, ist freilich weniger klar. Darüber hinaus stellte Le Monde Anfang der Woche fest, dass die RN bei den 25- bis 34-Jährigen inzwischen zur führenden Partei avanciert ist.
Die anstehenden Regionalwahlen am 13. und 20. Juni dürften nun ein erster Härte- und Stresstest für die „zentristische“ Regierungspartei und den Präsidenten werden.
Derartige Wahlen „sind wie ein Sprungbrett. Sollte die RN eine oder mehrere Regionen gewinnen, zeigt sie damit, wozu sie fähig ist“, hofft Fabien Engelmann, der seit 2014 Bürgermeister von Hayange (Region Moselle) und RN-Regionalrat für die Region Grand-Est ist.
Persönlichkeiten wie der ehemalige RN-Funktionär Florian Philippot seien „einfach zu sektiererisch“ gewesen, so Engelmann: „Die Leute wollen nicht zum Franc zurück.“
Weniger EU-Bashing?
Seiner Meinung nach ist die Abkehr von der Idee, die Eurozone und die EU zu verlassen, eine gute Entwicklung: „Wir können und sollten in der Europäischen Union bleiben. Es liegt an jeder nationalen souveränen Partei, eine maximale Anzahl von Abgeordneten nach Brüssel zu schicken, um dort ihre Vision zu verteidigen.“
Tatsächlich habe das frühere RN-Parteiprogramm viele seiner eigenen potenziellen Wählerinnen und Wähler in der Mosel-Region verschreckt. Schließlich seien viele von ihnen Grenzpendler nach Luxemburg – und hätten daher Emmanuel Macron bevorzugt. „Aber seit die RN sich weiterentwickelt hat, höre ich vor Ort viel öfter, dass die Wähler ihre Meinung geändert haben,“ meint er.
Auch Grange beobachtet einen gewissen „Rückzieher bei bestimmten Themen der Partei“. So spreche man inzwischen weniger von der radikalen Überarbeitung der EU-Verträge und beispielsweise lieber von einer „Reduzierung“ der Freizügigkeit im Schengenraum. Wirtschaftspolitisch gebe es ebenfalls Änderungen: „Für eine Inhaberin eines kleinen Unternehmens war es eigentlich völlig unmöglich, das Programm von 2017 gut zu heißen, weil es zu neoliberal war, mit zu wenig Regulierung.“
Ihrer Einschätzung nach ist die RN-Kehrtwende in Bezug auf die EU „sowohl ein Lippenbekenntnis als auch eine absolute Notwendigkeit im Kontext einer immer deutlicher werdenden Präsidentschaftsambition [Le Pens]: Wirklich Präsidentinnen-like aufzutreten bedeutet eben auch, Vorschläge zu machen, die für eine große Anzahl von Gruppen akzeptabel sind.“
Frankreichs Rechte entdeckt den Umweltschutz
Eine andere große Veränderung bei der Rassemblement National ist derweil eine stärkere Betonung des Umweltschutzes. Während sich Umweltthemen 2017 auf einige wenige Punkte am Ende des Parteiprogramms beschränkten, sind sie nun ebenfalls Gegenstand eines großen „Gegenprojekts“ contra Macron. So spricht sich die rechtsradikale Partei für ein Referendum aus, mit dem man sich gegen die vom Präsidenten vorgeschlagene Verfassungsänderung in Folge des Bürger-Klimakonvents (CCC) wenden will.
„Es liegt in der DNA der Partei, sich für Volksabstimmungen einzusetzen,“ zeigt sich Grange wenig überrascht. Dennoch habe es auch beim Thema Umwelt eine 180-Grad-Wende gegeben: Schließlich trat Le Pen vor vier Jahren noch als ausgesprochene Klimawandel-Skeptikerin auf.
Der RN-Bürgermeister Engelmann betont hingegen, seine Parteichefin habe „schon immer einen Abschnitt in ihrem Programm über den Erhalt der Natur und die Verteidigung des Tierschutzes“ gehabt. Er verweist dabei auf ihre Ablehnung gewisser Jagd-Praktiken in Frankreich.
Dennoch sei er nicht dafür, „es mit der Ökologie zu übertreiben“. Selbst die Grünen-Wählerinnen und -Wähler hätten „die Nase voll von grünen Bürgermeistern, weil unter dem grünen Lack stets die rote Farbe steckt“. Er selbst plädiere für eine „konservative Ökologie“, in der „die umweltschädlichsten“ Auswirkungen der Globalisierung zugunsten der lokalen Industrie bekämpft werden.
In diesem Diskurs bezüglich „Lokalismus“ und „Relokalisierung“ findet sich nun „die Haupt-Argumentationslinie der RN: Ein Fokus auf natürliche Grenzen, auf Ökologie mit einem gewissen Identitätscharakter und auf Respekt für eine ’natürliche Ordnung'“, analysiert Grange.
Mit dieser „Verschiebung des Diskurses“ versuche man, mit deutlich breiteren Themen sowohl auf die Mittelschicht als auch auf bestimmte Randgruppen der Bevölkerung einzugehen. Denn: „Die potenzielle RN-Wählerschaft ist sehr vielschichtig.“
Insgesamt merke man der Partei den Willen zur Macht deutlich an, so die Professorin abschließend: „Für dieses Ziel waren sie bereit, eine Reihe ihrer bisherigen Grundsätze und Leitmotive über Bord zu werfen.“
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]