Die Wahl in Ungarn vor einer Woche hat einmal mehr gezeigt: Populisten und Europa-Gegner sind in der EU auf dem Vormarsch.
Die Urnengänge in Österreich, Italien und auch das starke Abschneiden der AfD in Deutschland werfen einen düsteren Schatten auf die Europawahlen im Mai 2019. EU-Gegner hoffen bereits auf eine Mehrheit in der künftigen Volksvertretung. Bei seiner Rede am Dienstag in Straßburg will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron energisch gegensteuern.
Nach dem klaren Sieg der rechtsnationalen Fidesz-Partei von Viktor Orban in Ungarn sahen sich Rechtspopulisten quer durch Europa im Aufwind. Die ungarischen Wähler hätten „einer durch die EU befürworteten Werteumkehr und Masseneinwanderung erneut eine Absage erteilt“, jubelte die Chefin der französischen Front National (FN), Marine Le Pen. Nationale Kräfte könnten „die Mehrheit bei den nächsten Europawahlen“ im Mai 2019 erlangen.
Ist ein EU-Parlament voller Europa-Feinde reines Wunschdenken? Fakt ist, schon bei der letzten EU-Abstimmung 2014 waren aus großen Ländern europakritische oder -feindliche Parteien erstmals in großer Zahl in die EU-Volksvertretung eingezogen. Le Pens FN wurde damals in Frankreich stärkste Kraft, in Großbritannien schaffte es die für den Brexit werbende Ukip auf Platz eins. Und in Deutschland kam die AfD aus dem Stand auf 7,1 Prozent.
Je nach Zählung stellen anti-europäische und europaskeptische Kräfte zwischen 100 und 150 Abgeordnete im EU-Parlament – rund ein Sechstel der 751 Sitze. Angesichts der Wahlergebnisse auf nationaler Ebene auch in Italien und Österreich gehen Experten von einem deutlichen Anstieg aus. „Wenn das so weiter geht, wird es nächstes Jahr eine Mehrheit der Europa-Skeptiker im EU-Parlament geben“, sagt Joachim Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung zum Worst-Case-Szenario.
Mit einer Mehrheit rechnet Janis Emmanouilidis vom European Policy Center (EPC) in Brüssel zwar nicht. Wie hoch der Anstieg ausfallen wird, hängt für ihn auch davon ab, ob Deutschland und Frankreich bei schon seit Monaten versprochenen EU-Reformen liefern können. „Wenn Berlin und Paris den Reformerwartungen nicht gerecht werden, werden das die europakritischen Kräfte nutzen und sagen: Schaut, die sind nicht in der Lage, Lösungen zu finden.“
Frankreichs Staatschef Macron will mit seiner Rede am Dienstag im Straßburger EU-Parlament aufrütteln. „Er wird die Dringlichkeit zu handeln ausdrücken“, heißt es aus dem Elysée-Palast unter Verweis auf die Wahlen in Ungarn und auch Italien, wo im März die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung stärkste Kraft wurde und die fremdenfeindliche Lega auf Platz drei kam. „Das wird ein Appell an die Verantwortung, an das europäische Engagement.“
Der dürfte sich auch an Deutschland richten. Denn nach mehr als fünf Monaten mühsamer Regierungsbildung sind Union und SPD nun erst einmal dabei auszubuchstabieren, was das viel gelobte Europa-Kapitel in ihrem Koalitionsvertrag in der Praxis eigentlich bedeutet.
In die Hände spielt den Populisten bei Europawahlen auch eine traditionell niedrige Wahlbeteiligung. Sie hatte 2014 42,6 Prozent betragen. In der Tendenz könnten EU-Kritiker mit einer stärker mobilisierten Anhängerschaft deshalb „noch besser abschneiden als auf der nationalen Ebene“, warnt Emmanouilidis.“Europawahlen werden von vielen als zweitrangig gesehen und genutzt, um die gelbe oder rote Karte zu zeigen“.
Doch selbst bei einem sehr starken Abschneiden von Europa-Gegnern und Kritikern bleibt die Frage, was diese aus ihren Zugewinnen machen. „Sie werden keine gemeinsame Fraktion bilden“, ist sich Fritz-Vannahme sicher. Wie schon im aktuellen Parlament werde sich diese „in unterschiedliche Strömungen und Parteien aufgliedern“. Aber die Legitimität des nächsten Europaparlaments werde durch einen Zuwachs bei den Populisten „viel stärker als jetzt in Frage gestellt“.