Trotz der Coronavirus-Pandemie, einer negativen Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs Polens und der Kritik der OSZE scheint die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) entschlossen, die Präsidentschaftswahlen im Mai durchzuführen. Dabei soll ausschließlich per Briefwahl abgestimmt werden.
Der vom polnischen Parlament vorgelegte entsprechende Gesetzentwurf weckt juristische Zweifel. Tatsächlich hat ihn der Oberste Gerichtshof bereits als verfassungswidrig bewertet.
Nichtsdestotrotz deutet alles darauf hin, dass in Polen bald zum ersten Mal in der demokratischen Geschichte des Staates das Staatsoberhaupt ausschließlich per Briefwahl gekürt wird: Das nach wie vor für die Präsidentschaftswahl festgelegte Datum ist der 10. Mai.
Meinungsumfragen zeigen, dass der Amtsinhaber Andrzej Duda, ein langjähriger Verbündeter und Spitzenpolitiker der PiS, an Popularität gewonnen hat und laut einigen Erhebungen sogar mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten könnte. Dies würde ausreichen, um eine zweite Wahlrunde am 24. Mai gar nicht mehr ausrichten lassen zu müssen.
Das einzige Problem (beziehungsweise der mögliche Makel): Die Wahlbeteiligung könnte laut ebenjenen Umfragen bei weniger als 30 Prozent liegen.
„In der vorgeschlagenen Form werden die Wahlen weder direkt, noch gleich, noch allgemein sein,“ kritisiert Professor Adam Strzembosz, der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs, im Interview mit EURACTIV Polen. Er weist dabei darauf hin, dass aufgrund regelmäßiger Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit durch die Regierung die Glaubwürdigkeit der Wahlergebnisse ohnehin bereits in Frage gestellt sei.
Das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom gestrigen Montag und die Reaktion der PiS scheint das nur einmal mehr bewiesen zu haben.
Auch das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) – das seinen Hauptsitz in Warschau hat – gab am Montag eine Stellungnahme ab, in der festgestellt wird, das entsprechende polnische Gesetz müsse „erheblich nachgebessert werden, um den internationalen Standards für demokratische Wahlen zu genügen“.
Post statt Wahlkommission
Derweil hat die Regierung die Verantwortung für die Organisation der Wahlen aufgrund der groß angelegten Briefwahl von der Nationalen Wahlkommission (PKW) auf die polnische Post übertragen. Dies löste Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre aus. Schließlich muss die Post die persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger sammeln, um die Wählerlisten zu erstellen.
Der Leiter der PKW erklärte dazu lediglich, dass „wir als unpolitisches Gremium nicht befugt sind, legislative Entscheidungen zu beurteilen“.
In jedem Fall werden die Stimmzettel bereits gedruckt. „Das Gesetz ist zwar noch nicht in Kraft, aber wir gehen davon aus, dass es in Kraft treten wird,“ erklärte der stellvertretende Premierminister Jacek Sasin.
Extrem ungleicher Wahlkampf
Darüber hinaus sorgt das Social Distancing für erhebliche Ungleichheiten im Wahlkampf: Während andere Kandidatinnen und Kandidaten ihre Kampagnen lediglich online und ohne viel Präsenz in den PiS-nahen Medien führen (können), reist Amtsinhaber Duda quer durchs Land und posiert mit medizinischem Personal, bevor er Reden an die Nation hält, die inzwischen zur Routine geworden sind.
Eine Oppositionskandidatin, Małgorzata Kidawa-Błońska, ruft daher zu einem Boykott auf. Die Präsidentschaftswahl Mitte Mai verstoße ihrer Ansicht nach „offensichtlich gegen die Verfassung“. Auch der EVP-Chef und ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk hat seinen Landsleuten nahegelegt, nicht an der Wahl teilzunehmen. Die Abstimmung sei weder frei noch gleich, weil keine Möglichkeit zu echtem Wahlkampf bestehe. Tusk selbst werde am 10. Mai nicht wählen, zitiert ihn der Deutschlandfunk.
Wahrscheinlich wäre ein solcher Boykott jedoch genau das, was sich der mächtige PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński wünscht. Im Falle einer niedrigen Wahlbeteiligung dürften Dudas Chancen, bereits in der ersten Runde im Amt bestätigt zu werden, schließlich steigen.
Laut der jüngsten Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut IBRIS für die Zeitung Rzeczpospolita durchgeführt hat, würden rund 32 Prozent der Befragten die Präsidentschaftswahlen gerne um ein Jahr, auf Mai 2021, verschieben. Ein Viertel (25,4 Prozent) spricht sich hingegen für das aktuell angesetzte Datum aus.
Die übrigen Stimmen verteilen sich auf spätere Zeitpunkte im Jahr 2020 (August 5,6 Prozent, September 5,8 Prozent, Oktober 10,4 Prozent, November 5,9 Prozent und Dezember 3,7 Prozent).
Der IBRIS-Chef Marcin Duma kommentierte dazu: „Es sind die guten alten politischen Trennlinien, die darüber entscheiden, ob wir für die Wahlen sind oder sie lieber verschieben wollen.“ AnhängerInnen der Opposition sprechen sich demnach stark für eine Verschiebung aus; während PiS-WählerInnen eher geneigt sind, einen Wahltermin in knapp zwei Wochen zu befürworten. Die Angst um die persönliche Gesundheit sei wohl eher nicht ausschlaggebend, so Duma.
Stand Dienstagmittag gibt es in Polen 12.089 gemeldete Infizierungen mit dem Coronavirus sowie 570 Todesfälle. Damit liegt das Land deutlich hinter den anderen großen EU-Staaten. Allerdings sind die Testkapazitäten mit nur 8.000 Tests pro einer Million EinwohnerInnen auch relativ niedrig. In der EU-27 belegt Polen damit Platz 22.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]