In Frankreich ist Emmanuel Macrons Bewegung „En Marche“ bereits vergangene Woche in den EU-Wahlkampf gestartet. Auch in Deutschland trommelt die Partei ihre Wähler nun gegen den Populismus zusammen.
Gut einhundert Personen haben sich an einem sonnigen Samstag am Checkpoint Charlie in Berlin versammelt. Sie sind zum „großen Marsch“ gekommen, zu dem die Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Vorlauf der EU-Wahlen aufruft. Der ehemalige EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit ist gekommen, Gallionsfigur der deutsch-französischen Freundschaft, der als möglicher Spitzenkandidat von „En Marche“ (LaREM) gehandelt wird. Die Mehrheit der Leute sind in Deutschland lebende Franzosen, doch auch frankophile Deutsche sind vor Ort.
Zwischen EU-Ballons und Fahnen wird also über ein progressives Europa gesprochen, über Reformen und immer wieder auch über den „Kampf“ gegen den Nationalismus. Die kriegsähnliche Rethorik macht das Anliegen von LaREM im Wahlkampf deutlich. Auch der Parteivorsitzende Christophe Castaner sprach jüngst von rechts-populistischen Bewegungen als den „Feinden Europas“.
Guillaume Klossa, Gründer des Thinktanks EuropaNova und Präsident der Bürgerbewegung Civico Europa, ist ebenfalls zur Wahlveranstaltung von LaREM nach Berlin gereist. Er warnt deutlich vor dem Einfluss populistischer Regierungen wie in Italien oder Ungarn: „Nicht die EU an sich ist in Gefahr, denn jene Länder ziehen aus ihr finanziellen Profit, aber dort sind der Rechtsstaat, die Pressefreiheit und der Pluralismus bedroht. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Herr Salvini oder ein Herr Orbán versuchen, die EU zu ihrem Sündenbock zu machen und nach ihren Interessen und entgegen der Gründungswerte der Union neu formen.“
Nach dem Marsch am Checkpoint Charlie geht es in einer kleineren Diskussionsrunde bei Kaffee und Keksen weiter. Auch Vertreter anderer pan-europäischer Vereinigungen wie „We Are Europe“ und „Volt“ sind gekommen. Isabelle Négrier, die Vorsitzende von LaREM in Deutschland und Österreich, ist ebenfalls im Verteidigungsmodus: „Es gibt Kräfte außerhalb Europas, die gerne eine geschwächte EU sehen wollen. Daher müssen auch Nationalisten begreifen, dass eine starke Union die beste Antwort darauf ist. Und das schließt die staatliche Souveränität nicht aus. Seid patriotisch, seid europäisch sage ich denen.“
Parteien buhlen um Partnerschaft mit „En Marche“ im EU-Parlament
Nicht nur En Marche bläst zum Angriff. Für den Fraktionsvorsitzenden der liberalen ALDE Fraktion im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, wird die EU-Wahl im Mai vor allem ein „Kampf zwischen den nationalistischen Populisten auf der einen Seite und einer pro-europäischen Alternative auf der anderen“. Damit stellt er sich klar auf die Seite Macrons, der derzeit auf Akquirierungskurs für eine progressive, pro-europäische Vereinigung auf Staatsbesuchen durch Europa tourt. Verhofstadt hatte sogar von einer Vereinigung mit En Marche und ALDE im EU-Parlament gesprochen. Spaniens Ciudadanos-Bewegung, der rechte Flügel der italienischen Demokratischen Partei sowie die deutsche FDP haben ebenfalls Interesse an einem Bündnis mit Macron signalisiert. Doch Parteichef Castaner geht erst einmal auf Distanz: „Wir sind nicht bereit für eine Allianz“, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Gespräche über eine mögliche neue Fraktion oder eine andere Art von Bündnis laufen allerdings weiter.
Guillaume Klossa begrüßt die Idee eines progressiven Zusammenschlusses im Parlament. „Aber dann braucht es einen klaren Fahrplan, eine Identität, mit der man sich von den progressiven Christ- und Sozialdemokraten abgrenzt und eine Alternative darstellt.“ Letztere müssten sich neu erfinden, um bei der Wahl zu punkten. „Die Sozialdemokraten müssen wieder definieren, was Sozialdemokratie heute heißt, wenn sie nicht untergehen wollen. Und die Christdemokraten müssen kohärent mit ihren Werten sein. Es reicht nicht aus, sich gegen Orbáns Politik auszusprechen. Es braucht eine Entscheidung, ob er weiterhin einen Platz in der EVP hat.“
Macron greift deutsche Ideen auf
Nun heißt es für En Marche, Schlüsse aus den im Frühjahr organisierten Bürgerdialogen zu ziehen. Bis auf Großbritannien und Ungarn hatten auf Aufforderung Macrons hin in allen Mitgliedsstaaten Befragungen zum Thema Europa stattgefunden. In Frankreich wurden dazu 71.000 Menschen konsultiert. „Was wir immer hören ist, dass die Leute sehr wohl für das europäische Projekt sind. Das steht überhaupt nicht in Frage. Aber 80 Prozent der Menschen kritisieren die Arbeitsweise der EU-Institutionen – da müssen wir also ran“, meint Isabelle Négrier.
Das finden auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich zum Beispiel beide für eine Reduzierung der EU-Kommissare aussprechen. Mit Blick auf weitere Reformen tut sich an der deutsch-französischen Achse allerdings noch immer weniger als von Macron erhofft. Trotz wiederholter Treffen beider Staatschefs, wie im Juni in Meseberg oder Anfang des Monats in Marseille, scheint den Versprechungen der Bundesregierung wenig Tatendrang für Macrons Reformideen zu folgen. Und das, obwohl sich darin durchaus deutsche Positionen wiederfinden, so Guillaume Klossa. „Die von Macron in der Sorbonne-Rede vorgeschlagenen Reformen sind keine französische Vision Europas, sondern eine gemeinschaftliche. Sie wird von der Mehrheit der Mitglieder der großen Parteien im Parlament, sowie von zivilgesellschaftlichen Akteuren geteilt. Er nimmt durchaus auch deutsche Ideen auf, wie jene von Gesine Schwan zu einem zentralen Fonds für Integrationsmaßnahmen in Kommunen. Aber das wird leider nicht so wahrgenommen.“
Einige Experten sehen in Macrons Werbereise durch Europa auch ein Anzeichen, dass der Franzose längst nicht mehr auf Deutschland als wichtigsten Verbündeten setzt. Zu geschwächt wird die Regierung Merkels angesichts der koalitionsinternen Machtkämpfe wahrgenommen, heißt es.
Am Checkpoint Charlie, dem Ort, der wie kein anderer die einstige Teilung Deutschlands und Europas symbolisiert, ist von diesem Pessimismus wenig zu spüren. Bis zur Wahl werde ein starkes, pan-europäisches Bündnis der Progressiven bereit stehen, da sind sich alle einig.