Die Anti-Establishment-Partei „5 Sterne“ und die rechtsextreme Lega Nord könnten nach den Parlamentswahlen am Sonntag (4. März) genügend Unterstützung für eine Mehrheit haben, obwohl einige Analysten glauben, dass eine solche Albtraum-Koalition unwahrscheinlich ist.
Die italienischen Wählerinnen und Wähler haben bei den gestrigen Wahlen den Anti-Establishment und rechtsextremen Parteien enorm viele Stimme gegeben. Erste Ergebnisse legen nahe, dass der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone politischer Stillstand droht.
Wenn sich die ersten Hochrechnungen bestätigen, wird keiner der drei großen politischen Blöcke oder Parteien Italiens in der Lage sein, allein zu regieren. Was der Europäischen Union dabei neue Kopfschmerzen bereiten könnte: Es besteht wenig Aussicht auf eine gemäßigte Regierung.
35. ITALY RESULT PROJECTION SENATE RAI BASED ON ACTUAL COUNT (23%)
M5S 32.5%
PD 19%
LEGA 15.8%
BERLUSCONI 14.5%
FDI (right) 4.1% #ItalyElection2018— Antonello Guerrera (@antoguerrera) March 5, 2018
Zu den Szenarien gehört die Bildung einer euroskeptischen Koalition, die mit ziemlicher Sicherheit auf einen deutlichen Anstieg der Sozialausgaben drängen und die EU-Haushaltsbeschränkungen in Frage stellen würde – aber auch schnelle Neuwahlen, um zu versuchen, aus der akutellen Sackgasse herauszukommen.
Ein rechtsgerichtetes Bündnis, zu dem auch die Forza Italia des ehemaligen Premierministers Silvio Berlusconi gehört, konnte die meisten Stimmen auf sich vereinen, gefolgt von der 5-Sterne-Bewegung, die massiv zulegte und die Einzelpartei mit den meisten Stimmen wurde.
Die regierende Mitte-Links-Koalition liegt auf Platz drei. Sie hatte vor allem mit dem Wählerwut aufgrund der wachsende Armut, hohen Arbeitslosigkeit und Masseneinwanderung zu kämpfen. Gianni Pittella, Vorsitzender der S&D-Fraktion im EU-Parlament, kam in seinem Wahlkreis Basilicata nur auf den dritten Platz.
Laut einer vom Staatssender RAI veröffentlichten Hochrechnung, basierend auf den Stimmen, die bis halb drei in der Nacht auf Montag ausgezählt waren, würde die 5-Sterne-Bewegung 216-236 der 630 Sitze im Unterhaus erhalten.
Die Mitte-Rechts-Koalition hätte 248-268 Sitze, darunter 122-132 Sitze für die rechtsextreme Lega und 94-104 Sitze für Forza Italia.
An dritter Stelle hinter 5-Sterne und dem Mitte-Rechts-Block wäre eine Mitte-Links-Koalition, die von der regierenden Demokratischen Partei (PD) dominiert wird und wohl 107-127 Sitze ergattern könnte.
Das Endergebnis soll am heutigen Montagnachmittag feststehen. Bei früheren Wahlen in Italien kam es im Laufe der Auszählungen oftmals noch zu deutlichen Veränderungen gegenüber den ersten Prognosen.
Politischer Patt
Eine anhaltende politische Pattsituation könnte dazu führen, dass das hoch verschuldete Italien ein neuer Problemfall für Europa auf den Märkten wird, nachdem die Gefahr politischer Instabilität in Deutschland mit dem SPD-Mitgliedervotum am Sonntag gebannt wurde.
An asiatischen Märkten gab der Euro am Montagmorgen nach und blieb anfällig für Volatilität, da die Anleger auf die endgültigen Ergebnisse aus Italien warteten.
„Italien ist weit davon entfernt, seine seit langem bestehenden Probleme zu lösen, und jetzt wird es neue bekommen. Seien Sie auf lange und komplexe Verhandlungen vorbereitet, die Monate dauern werden,“ prognostizierte Lorenzo Codogno, der ehemalige Chefvolkswirt des italienischen Finanzministeriums.
Italien unregierbar?
Für den ehemaligen Premier Silvio Berlusconi bedeutet das vorläufige Wahlergebnis auch eine bittere persönliche Niederlage: Seine Partei Forza Italia wurde von ihrem Verbündeten, der rechtsextremen Lega Nord, überholt.
„Meine ersten Worte: DANKE!,“ tweete Lega-Chef Matteo Salvini.
La mia prima parola: GRAZIE! pic.twitter.com/DRXiWVAHQp
— Matteo Salvini (@matteosalvinimi) March 4, 2018
Während des zweimonatigen Wahlkampfes hatten die Parteiführer immer wieder jegliche Koalitionen mit ihren Rivalen ausgeschlossen. Allerdings hat Italien eine gewisse Erfahrung damit, Auswege aus scheinbar hartnäckigen politischen Pattsituationen zu finden.
Die 5-Sterne-Bewegung hatte es vor der Wahl abgelehnt, jegliche Koalitionsoptionen in Betracht zu ziehen. Inzwischen hat sich diese Position aber wohl geändert. „Jetzt müssen alle mit uns reden,“ freute sich Alessandro Di Battista, einer der bekanntesten Köpfe der Partei.
„Di Maio gewinnt, Italien unregierbar,“ hieß es heute auf der Titelseite der Tageszeitung La Stampa. Der 31-jährigen Luigi Di Maio führt die 2009 gegründete Bewegung an.
Das Parlament wird am 23. März zum ersten Mal zusammentreten; die offiziellen Gespräche über die Bildung einer Regierung werden aber voraussichtlich erst Anfang April beginnen.
Es scheint, als könnten die 5-Sterne und die Lega Nord genug Parlamentssitze erhalten, um gemeinsam zu regieren – wenn sie denn wollen. Tatsächlich einten in der Vergangenheit starke Anti-Euro-Ansichten die beiden Parteien. Während die Lega allerdings schnellstmöglich aus der gemeinsamen Währung aussteigen will, heißt es von Seiten der 5-Sterne-Bewegung inzwischen, der Zeitpunkt für einen Euro-Austritt sei vorüber.
5-Sterne-Gründer Beppe Grillo hatte in den letzten Monaten außerdem versucht, die Ängste in den Hauptstädten der EU zu zerstreuen, indem er einige seiner radikaleren Vorschläge, wie z.B. den Austritt aus der NATO, fallenließ und versprach, im Falle eines Wahlsieges unternehmensfreundlicher zu sein.
Das 5-Sterne-Programm sieht dementsprechend vor, die Unternehmenssteuern „drastisch“ zu senken, Bürokratie abzubauen und den Armen ein monatliches Mindesteinkommen von bis zu 780 Euro zu garantieren.
Dieser so genannte „Universallohn“ hat der Partei geholfen, massive Unterstützung im unterentwickelten Süden zu finden.
Berlusconi und seine rechtsextremen Verbündeten hingegen werden wohl die Mehrheit der Sitze im wohlhabenderen Norden erobern, während der Mitte-Links-Block nur noch in einem schmalen Gebiet in Mittelitalien, einschließlich der Toskana, stärkste Kraft ist.
Populismus pur
Populistische Parteien sind seit der Finanzkrise 2008 europaweit auf dem Vormarsch. Italiens Mainstream-Parteien haben sich aber besonders schwer damit getan, den Wählerzorn einzudämmen.
„Die Europäische Union wird einen schlimmen Abend erleben,“ schrieb Marine Le Pen, Führerin des rechtsextremen Front National aus Frankreich, am gestrigen Wahlabend auf Twitter.
L’Union européenne va passer une mauvaise soirée… ? MLP #Italie?? #Elezioni2018
— Marine Le Pen (@MLP_officiel) March 4, 2018
Steve Bannon, der ehemalige Berater von US-Präsident Donald Trump, bezeichnete die Wahl als „reinen Populismus“. Die italienische Wahlvolk sei „in kürzerer Zeit weiter gegangen als die Briten für Brexit und die Amerikaner für Trump,“ sagte Bannon, der Italien für die Wahl besuchte, gegenüber der New York Times.
Bannon bezeichnete einen möglichen Deal zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega Nord als „den ultimativen Traum“.
Große Koalition?
Sollte keine Gruppierung eine absolute Mehrheit gewinnen – wonach es aussieht – wäre auch eine große Koalition zwischen der regierenden Demokratischen Partei und Berlusconis Forza Italia denkbar.
Doch auch die Verhandlungen über eine solche Links-Rechts-Koalition könnten sich Wochen oder gar Monate hinziehen.
Claudio Tito, Kolumnist von La Repubblica kommentierte dazu, in Italien sei es „immer dasselbe: Das Land befindet sich in ständiger Instabilität. Unregierbar zu sein ist endemisch geworden.“