Die Angst, dass euroskeptische Parteien bei Europa- und nationalen Parlamentswahlen siegen könnten, verfolgt EU-Offizielle und Proeuropäer seit 15 Jahren.
Mit Blick auf den britischen Austritt aus der Union im März 2019 und die EU-Parlamentswahlen im folgenden Mai wollen EU-Offizielle verstehen, was Bürger zu Euroskeptikern macht „Skeptisch sein ist gut,“ sagte Giles Pelayo, Chef des Programms Europa für Bürgerinnen und Bürger der EU-Kommission, bei einer EURACTIV-Veranstaltung in Brüssel. „Die Bürger sollten die Kontrolle [über das europäische Projekt] haben. Es ist richtig, dass sie sehr anspruchsvoll sind,“ so Pelayo weiter.
Derweil breitet sich die Euroskepsis aus. Die bekanntesten Beispiele sind wohl die britische UKIP, Marine Le Pens Front National und die AfD in Deutschland. Und auch in den neueren EU-Mitgliedstaaten gärt es, allen voran Polen und Ungarn, deren Regierungen die Autorität Brüssels immer öfter offen in Frage stellen.
„Die Erwartungen waren nach den Erweiterungen 2004 und 2007 groß,“ so Pavol Babos, Co-Leiter des Projekts Verständnis und Diskussion des Euroskeptizismus (Comprehending and Debating Euroscepticism, CODES) an der Comenius-Universität in Bratislava, das eine Reihe lokaler öffentlicher Treffen in der Slowakei, Ungarn, Deutschland, Österreich, Bulgarien und Lettland organisierte.
Babos stellte dabei fest, „dass die Wähler im We sten und Osten nicht anders sind. Was anders ist, ist die Rechtfertigung, die sie für ihre Haltung ausdrücken.“So hätten Menschen in den neuen Beitrittsländern erwartet, dass sich die wirtschaftliche Kluft zu ihren reichen Nachbarn schnell schließen würde und sie eine gleichberechtigte Stimme am Tisch der EU haben würden. Stattdessen hätten sie nun das Gefühl, diese Erwartungen seien nicht erfüllt worden.
Aber: „Es ist nicht nur die Wahrnehmung, sondern eine Realität“, argumentiert Benedek Javor, ein ungarischer Grüner Europaabgeordneter. „Ob es nun gerecht ist oder nicht, wir müssen uns dessen bewusst sein,“ so Javor weiter.
Er fügt hinzu, dass die Nachbeben des Finanzcrashs 2007/08 und der darauffolgenden Schuldenkrise in der Eurozone immer noch spürbar sind und ein Schlüsselfaktor für Euroskepsis und Desillusionierung darstellen: „Wir haben eine tiefe Wirtschaftskrise durchgemacht und sind nicht ganz aus der Krise herausgekommen.“
Luc Van den Brande, Sonderberater von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, beobachtet derweil einen „Mangel an Vertrauen und Antagonismus zwischen der EU und dem nationalen Raum“.
In mehreren seiner Vorschläge geht es daher um Sensibilisierung von Jugendlichen für die europäische Integration. „Das europäische Projekt und seine Geschichte sollten Teil des Bildungscurriculums sein,“ findet van den Brande. Das Erasmus-Austauschprogramm – eine der populärsten und sichtbarsten EU-Politikmaßnahmen, gerade für Studenten und auch nicht-studierende junge Menschen – solle ausgeweitet werden, fordert er.
Grenzüberschreitend
Die Wahl eines Teils der EU-Parlamentsabgeordneten über transnationale Parteienlisten wird seit langem als Mittel zur Entwicklung eines europäischen Demos propagiert. Sie soll verhindern, dass die kommenden Europawahlen auf 27 verschiedene nationale Wahlen reduziert werden.
Das Konzept wird besonders von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vertreten. Die konservative EVP-Fraktion weist die Vorschläge zur Einführung solcher transnationalen Liste bei den Wahlen im Mai 2019 allerdings zurück.
„Wir sollten bei den Europawahlen über europäische Themen sprechen… aber es geht eher um nationale Politik, sodass dieses Konzept transnationaler Listen… interessant ist“, sagte Mairead McGuiness, MEP und Vizepräsidentin der EVP-Fraktion, gegenüber EURACTIV dennoch.
„Ich denke, dieses Projekt steckt noch in den Kinderschuhen… aber es könnte die Menschen dazu bringen, bei den Europawahlen über nationale Themen hinaus zu denken. Es lohnt sich, das Konzept in Betracht zu ziehen,“ fügte sie hinzu.
Die EVP-Fraktion hat angedeutet, dass sie die Einführung von transnationalen Listen gegebenenfalls befürworten würde – aber nicht vor 2024.
Doch ob mit oder ohne transnationale Listen und Spitzenkandidaten: Nationalistische und euroskeptische Parteien werden im Mai 2019 gute Wahlergebnisse haben. AfD, FN, Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und die schwedischen Demokraten werden wohl alle stärker sein als vor fünf Jahren.
Diese Aussichten sorgen aber nicht bei allen für Sorgen. „Die EU ist weitaus widerstandsfähiger als die Schlagzeilen der Boulevardpresse glauben machen wollen, und die Flüchtlingskrise wird nicht dazu führen, dass die Europäische Union in absehbarer Zeit zusammenbricht. Wir sehen an den Ergebnissen aber trotzdem, dass Krisen Auswirkungen auf das bürgerschaftliche Engagement haben,“ so Josef Janning vom European Council on Foreign Relations.
„Wir müssen weg von der institutionellen Integration und den Finanztransfers zwischen den Staaten, hin zu Anreizen, auf die sich die Bürger unmittelbarer beziehen können, wie Austauschprogramme oder die Abschaffung der Roaming-Gebühren. Nur so schaffen wir es, dass die Menschen sich weiterhin engagieren und die Europäische Union unterstützen wollen.“