Der Autoindustrie drohen Milliardenstrafen, wenn die für 2025 geplanten CO2-Reduktionsziele für Pkw nicht eingehalten werden. Sie forderte nun einen Aufschub. Bei der zuständigen EU-Kommission stößt der Vorschlag jedoch auf taube Ohren.
Nach den EU-Vorgaben für CO2-Flottengrenzwerte bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen müssen die Hersteller bis nächstes Jahr die durchschnittlichen CO2-Emissionen ihrer Fahrzeuge um 15 Prozent im Vergleich zu den Werten von 2021 senken.
Da der Absatz von Elektroautos jedoch hinter den Erwartungen zurückbleibt, haben einige Branchenvertreter in einem inoffiziellen Papier, das am Wochenende die Runde machte, eine zweijährige Verschiebung gefordert, um drohenden Milliardenstrafen zu entgehen.
„Das Ziel für 2025 erfordert – und ermöglicht – es den Herstellern, eine umfassende Strategie zur Einhaltung der Vorschriften zu entwickeln“, erklärte Tim McPhie, Sprecher der Kommission für Klimaschutz, am Montag (16. September) gegenüber Euractiv.
Er betonte, dass das Ziel für 2025 bei der jüngsten Überarbeitung der CO2-Standards 2023, die das faktische Verbot von neuen Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2035 einführte, nicht verändert wurde. „Die Branche hatte ausreichend Zeit, sich auf die nächste Phase des Übergangs vorzubereiten“, so McPhie weiter.
„Die Ziele ab 2025 wurden bereits 2019 von den Co-Gesetzgebern verabschiedet“, fügte er hinzu.
Das Branchenpapier, das Euractiv vorliegt, warnt, dass Autohersteller bei Nichteinhaltung der EU-Vorgaben für 2025 mit Strafen von bis zu 16 Milliarden Euro rechnen müssen.
Um das Ziel von rund 95 Gramm CO2 pro Kilometer bis 2025 zu erreichen, müsste der Marktanteil von Elektroautos auf 20 bis 22 Prozent steigen, während die Verkäufe von rein elektrischen Fahrzeugen derzeit unter 15 Prozent stagnieren, heißt es in dem Papier.
Laut der französischen Zeitung Le Monde wurde das Papier von Renault verfasst, dessen CEO Luca de Meo auch Vorsitzender des europäischen Automobilherstellerverbandes ACEA ist. Renault selbst lehnte eine Stellungnahme ab.
ACEA wird Vorschlag am Mittwoch diskutieren
ACEA äußerte sich nicht direkt zu dem Papier, verwies jedoch auf eine Erklärung von letzter Woche, in der es hieß, dass die EU „noch immer nicht über die entscheidenden Voraussetzungen für die Massenmarkteinführung emissionsfreier Autos und Vans“ verfüge.
Besonders betonte der Verband die unzureichende Lade- und Wasserstoffinfrastruktur, den Mangel an „bezahlbarer grüner Energie“, Anreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen und sichere Lieferketten.
„Eine substanzielle und umfassende Überprüfung der CO2-Regulierung ist notwendig, um den realen Fortschritt im Vergleich zu den ambitionierten Zielen zu bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen“, schrieb ACEA.
Euractiv erfuhr, dass das ACEA-Direktorium am Mittwoch eine Sitzung abhalten wird, um das sogenannte Non-Paper zu besprechen.
Ein Sprecher des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA) forderte, eine für 2026 geplanten Überprüfung der Flottenregulierung auf nächstes Jahr vorzuziehen. Andere Hersteller wie Stellantis unterstützen hingegen die aktuellen Regeln.
Die Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) kritisierte den Vorschlag scharf.
„Das ist zynisch und absurd“, erklärte Julia Poliscanova, Senior Director bei T&E, in einer Stellungnahme. „Die Autohersteller haben in den letzten zwei Jahren über 130 Milliarden Euro Gewinn gemacht und hatten ausreichend Zeit, sich auf die Vorgaben vorzubereiten.“
Besonders kritisch sieht T&E den juristischen Vorstoß der Autohersteller, die die Kommission auffordern, Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) anzuwenden, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, in Notlagen Solidaritätsmaßnahmen zu ergreifen, ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu benötigen.
Die Autoindustrie argumentierte, die „äußerst dringliche“ Situation erfordere eine schnelle Lösung, die durch das reguläre Gesetzgebungsverfahren nicht rechtzeitig erreicht werden könne.
Poliscanova von T&E wies dies jedoch entschieden zurück: „Das ist weder ein Krieg noch eine Pandemie, sondern ein eigennütziger Schachzug.“
Schuldfrage: Deutschland?
Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center for Automotive Research (CAR) in Bochum, zeigte Verständnis für die Forderung der Autohersteller.
Der Hauptgrund für die geringe Nachfrage nach E-Autos „sind nicht die Autobauer, sondern die deutsche Politik“, sagte er gegenüber Euractiv und verwies auf die weggefallene Kaufprämie für Elektroautos.
Im vergangenen Jahr setzte die deutsche Regierung überraschend die E-Auto-Prämie von bis zu 4.500 Euro pro Fahrzeug aus, um ihre Haushaltskrise in den Griff zu bekommen.
„Warum in Europa die Zahlen zurückgehen, das hängt voll und ganz an Deutschland“, sagte Dudenhöffer und warf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor, die Elektromobilität „zerstört“ zu haben.
Der Analyst äußerte ebenso scharfe Kritik an „Politikern, die Söders und Wagenknechts, die durch die Gegend laufen und dauernd erzählen, der Verbrennungsmotor hält ewig und die Leute natürlich zweifeln lassen, ob sie sich ein Elektroauto kaufen sollen“.
Dennoch stimmte Dudenhöffer zu, dass die Europäische Kommission die CO2-Flottengrenzwerte nicht verzögern sollte, und schlug stattdessen vor, den Autoherstellern die Möglichkeit zu geben, potenzielle Strafen zu reduzieren, wenn die Ziele in späteren Jahren übererfüllt werden.
[Bearbeitet von Anna Brunetti/Owen Morgan/Kjeld Neubert]