Im vergangenen Jahr gingen mehr als 3.500 Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein. Vor allem Fälle rassistisch begründeter Diskriminierung haben im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Experten fordern nun eine Modernisierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat gestern zum zweiten Mal nach 2018 einen Jahresbericht zu den bei der Behörde eingegangenen Beratungsanfragen aufgrund von Diskriminierungserfahrungen vorgelegt.
Demnach betrafen im Jahr 2019 rund ein Drittel aller Beratungsanfragen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Damit stieg die Zahl der Fälle von rassistischer Diskriminierung um 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
“Die Zahlen sind ein Warnsignal. Deutschland tut nicht genug gegen Rassismus”, betonte ein Sprecher der ADS im Rahmen einer gestrigen Pressekonferenz.
Am zweithäufigsten erteilte die Behörde in Fällen von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts rechtliche Auskunft. Mehr als ein Viertel aller Anfragen bezog sich außerdem auf Diskriminierung aufgrund einer Behinderung. Weitere Anfragen bezogen sich auf die Bereiche der Altersdiskriminierung, der Religion und Weltanschauung sowie der sexuelle Identität.
Erneut gingen die meisten Beratungsanfragen zu rassistischer #Diskriminierung ein. Ein Drittel aller Anfragen bezieht sich auf Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft. pic.twitter.com/j3nWNk0tNT
— Antidiskriminierung (@ADS_Bund) June 9, 2020
Schutzbereich des AGG hat offensichtlich Lücken
Die ADS wurde 2006 im Rahmen der Umsetzung der europäischen Richtlinien zur Gleichbehandlung als Beratungsstelle für von Benachteiligung betroffene Menschen eingerichtet. Die Rechtsgrundlage der Beratungen bildet das im gleichen Jahr erlassene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), in dem ein Diskriminierungsverbot verankert ist.
In den Schutzbereich des Gesetzes fallen neben der Diskriminierung aufgrund von Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung auch die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Identität. Doch der Anwendungsbereich ist eingeschränkt: so bezieht sich das Gesetz nur auf Diskriminierung in den Bereichen des Arbeitslebens und der zivilgesellschaftlichen Rechtsbeziehungen, auch “Alltagsbeschäftigungen” genannt. Hierunter fällt beispielsweise die Vermietung von Wohnraum.
Um den Anwendungsbereich des Gesetzes auszuweiten, hat das Berliner Abgeordnetenhaus in der vergangenen Woche ein umstrittenes und bundesweit einzigartiges Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedet, das Betroffene künftig auch vor Diskriminierung durch staatliche Behörden besser schützen soll.
Das Berliner Gesetz sollte laut Franke den anderen Bundesländern als Vorbild dienen: “Dies ist vor allem deshalb wichtig, da der Bildungssektor und die Arbeit der Polizei vollständig in der Zuständigkeit der Länder liegen.” Er fordert außerdem die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen für polizeiliches Fehlverhalten.
“Es darf auf Dauer keine Lücke geben”, mahnte der Kommissarische Leiter der ADS während der gestrigen Pressekonferenz. Doch eben solche weist auch der Schutzbereich des AGGs auf: so werden Diskriminierung im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft, mit dem äußeren Erscheinungsbild sowie mit dem Familienstand vom AGG nicht abgedeckt.
Kritik auch von europäischer Ebene
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates attestierte Deutschland Anfang des Jahres in ihrem Bericht Mängel im Kampf gegen Diskriminierung. So fehle es vor allem an einem kohärenten System von Organisationen, die Diskriminierungsopfern wirksame Unterstützung bieten würden.
Diesen Befund kritisiert auch Franke: er fordert die Einrichtung von Antidiskriminierungsstellen in allen Bundesländern. Denn bisher verfügt nur die Hälfte der Länder über solche Einrichtungen.
Wie aus dem Jahresbericht der ADS hervorgeht, werden die Schwächen des AGGs besonders im europäischen Vergleich deutlich. So umfasst der Schutz in vielen Ländern auch die soziale Herkunft, die Nationalität, den Familien- und Personenstand sowie das äußere Erscheinungsbild und geht damit über die im deutschen Gesetz verankerten Merkmale deutlich hinaus. Zusätzlich dazu verfügen zahlreiche Antidiskriminierungsstellen in den deutschen Nachbarländern anders als die hier angesiedelte Behörde auch über ein Verbandsklagerecht.
“In der Praxis haben es Menschen hier viel schwerer als anderswo in Europa, ihr Recht durchzusetzen”, sagt ein Sprecher der ADS.
Franke: AGG an die gesellschaftliche Realität anpassen
Franke plädiert vor diesem Hintergrund für eine Modernisierung des AGGs. Das Gesetz müsse “an die gesellschaftliche Realität angepasst werden”. Wichtig sei, dass es in allen Lebensbereichen greife, “auch im Bereich des staatlichen Handelns.” Denn Lücken würden langfristig dazu führen, dass das Vertrauen in die Gesetzgebung schwinde.
Eine Reform müsste vom Gesetzgeber angestrengt werden. Franke fordert daher den Kabinettsausschuss gegen Rassismus auf, das Thema auf die Agenda zu setzen: “Wir werden gegen Gewalt nicht vorgehen können, wenn wir Diskriminierung im Alltagsleben als nachrangig behandeln”.