Der aktuelle Bericht des sogenannten Amts zur Verteidigung der Grundrechte in Frankreich (Défenseur des Droits) ist zugleich der letzte des amtierenden Präsidenten der Institution, Jacques Toubon. Er zeigt das ganze Ausmaß der Diskriminierung im Land, berichtet EURACTIV Frankreich.
Toubon, ehemaliger Justizminister zu Präsidentschaftszeiten von Nicolas Sarkozy, hat in der vergangenen Woche den sechsten Jahresbericht des Défenseur des Droits vorgelegt.
Diese unabhängige Behörde war 2011 geschaffen worden; Toubon war seitdem ihr Vorsitzender. Während er sich nun darauf vorbereitet, seinen Posten im kommenden Monat abzugeben, heizt sich in Frankreich die Debatte über rassistisch motivierte Diskriminierung, insbesondere durch die Polizei, auf.
Toubon selbst hatte beharrlich auf wiederholte Angriffe auf die Menschenrechte in Frankreich hingewiesen. Doch erst die Ermordung von George Floyd in den Vereinigten Staaten hat die Frage nach Rassismus und diskriminierender Polizeigewalt, die auch in Frankreich sehr präsent ist, wieder in den Vordergrund gerückt.
Schon Anfang Juni war es in Paris zu einer Demonstration von mehr als 20.000 Menschen in Erinnerung an Adama Traoré gekommen. Traoré war 2016 nördlich von Paris in Polizeigewahrsam gestorben.
Die weiter anhaltende Mobilisierung von Menschenrechtsverbänden und das offenbar wachsende Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung für das Problem Rassismus und Polizeigewalt veranlassten später auch Innenminister Christophe Castaner zu bisher beispiellosen Maßnahmen.
„Kein Rassist kann die Uniform eines Polizisten oder Gendarmen mit Würde tragen,“ sagte Castaner auf einer Pressekonferenz. „Ich habe deshalb darum gebeten, dass bei jedem Verdacht auf rassistische Handlungen oder Äußerungen eine grundsätzliche Suspendierung in Betracht gezogen wird.“
Systematische Diskriminierung
Die Erklärung des Ministers löste heftige Gegenreaktionen der Polizeigewerkschaften aus – die von der radikalen Rechten unterstützt wurden.
Dass es in Frankreich regelmäßig zu diskriminierender Behandlung durch Polizeikräfte kommt, ist jedoch durch zahlreiche Zeugenaussagen und Studien dokumentiert. Erst kürzlich hatte eine Recherche der Website Streetpress die Existenz einer Polizisten-Gruppe mit mehr als 8.000 Mitgliedern auf Facebook aufgedeckt, in denen rassistische Kommentare und Bilder geteilt wurden.
Das Fehlen von offiziellen Statistiken mit Fokus auf die ethnische Herkunft schränkt jedoch die Möglichkeiten einer aussagekräftigen Dokumentation des Phänomens ein.
Dennoch weist der Bericht des Défenseur des Droits auf mehrere Fälle systematischer Diskriminierung hin, darunter die Behandlung von Jugendlichen im zwölften Arrondissement von Paris, die 2015 mehrere Monate lang systematisch von der Polizei schikaniert worden seien. Dies war bereits in einem vorherigen Report der Institution dokumentiert worden.
Seither gab es auch vom Kassationsgericht, dem obersten Gericht Frankreichs, Entscheidungen gegen die Polizeibehörden, die sich insbesondere auf „Studien und statistische Informationen über die Häufigkeit von Identitätskontrollen“ stützten.
Dabei sei deutlich geworden, dass derartige Kontrollen vor allem „aus diskriminierenden Gründen bei denjenigen Bevölkerungsgruppen durchgeführt wurden, die offenbar Minderheiten angehören“.
„Ethnic Profiling“
Französische Verbände kritisieren vor allem die dort sogenannten „Gesichtskontrollen“ als großes Problem. Dieses Racial oder Ethnic Profiling gilt jedoch in vielen Staaten Europas als ein wichtiges Thema für die Beziehungen zwischen der Polizei und den Bürgerinnen und Bürgern.
In einer groß angelegten Umfrage im Jahr 2018 stellte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) fest, dass 30 Prozent der farbigen Bürgerinnen und Bürger bereits Opfer von Rassismus waren, während 24 Prozent der Befragten angaben, in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Die FRA hatte 5.800 Europäerinnen und Europäer „sichtbarer afrikanischer Abstammung“ befragt.
Bei einem Seminar im Herbst 2019, zu dem inzwischen ein Bericht veröffentlicht wurde, sprachen sich Sachverständige der FRA und französische Menschenrechtsverteidiger gegen den Mangel an Informationen zu diesem Thema aus, erörterten aber auch mögliche Lösungen.
So habe beispielsweise die spanische Stadt Fuenlabrada bei Madrid ein System eingerichtet, bei dem die von der Polizei kontrollierten Personen einen Beleg über diese Kontrolle erhalten. Dieser Mechanismus habe nicht nur die Fälle von eindeutigem Ethnic Profiling erheblich verringert, sondern auch die Effizienz und Wirksamkeit der tatsächlich durchgeführten Kontrollen verbessert.
Diskriminierung auch am Arbeitsplatz
Klar ist derweil auch: Diskriminierung findet nicht nur auf der Straße statt. Laut Frankreichs Défenseur des Droits ist auch die Arbeitswelt ein wesentlicher Schwerpunkt der Diskriminierung.
Im Jahr 2019 legte die Behörde vor dem Pariser Arbeitsgericht eine Stellungnahme zur Situation von 25 malischen Arbeitnehmenden vor, denen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis entzogen worden seien.
In seinem Urteil vom 17. Dezember 2019 erkannte das Gericht an, dass die unfaire Behandlung dieser Arbeiterinnen und Arbeiter das Ergebnis „rassistischer und systemischer“ Diskriminierung sei.
Die Grundrechte-Institution begrüßte das Urteil als einen wichtigen Schritt dahin, dass real existierende Diskriminierung anerkannt und eingeräumt werde.
Seit der Gründung der Institution im Jahr 2011 haben die Tätigkeiten der Grundrechte-Schützer in Frankreich um 40 Prozent zugenommen.
Im vergangenen Jahr 2019 bearbeitete die Behörde mehr als 100.000 Fälle und nahm etwa 50.000 Telefonanrufe entgegen.
Dies sind Zahlen, die einerseits das Ausmaß der Diskriminierung demonstrieren, andererseits aber auch die wichtige Arbeit dieser einen von 26 unabhängigen Verwaltungsbehörden im Land unterstreichen.
[Bearbeitet von Tim Steins]