Fußball ist „per Definition schon politisch“

Ewald Lienen, hier noch Trainer bei AEK Athen, steht für politischen Fußball. [EPA | Spyros Chorchoubas]

Der deutsche Fußball-Veteran Ewald Lienen ist überzeugt: Fußball ist politisch und trägt gesellschaftliche Verantwortung. Heute engagiert sich der Technische Direktor des FC St. Pauli für Klimaschutz – nicht nur auf dem Rasen. Lienen erzählt im Gespräch mit EURACTIV Deutschland, wie er Fußball mit Klimaschutz verbindet. 

Seit Mai 2017 ist Ewald Lienen der Technische Direktor des FC St. Pauli und ist auch ein offener Unterstützer der Bewegung „Parents for Future“. Er hat Profi-Fußball für Arminia Bielefeld und Borussia Mönchengladbach gespielt und war Cheftrainer für den FC St. Pauli von 2014 bis Mai 2017. 

Wann haben Sie begonnen, im Klimaschutz aktiv zu werden?

Klimaschutz ist nur ein Aspekt der notwendigen Nachhaltigkeit in unseren Gesellschaften, wenn auch ein überlebensnotwendiger. Für den Verein St. Pauli haben ökologische Themen wie die Errichtung von Elektroladesäulen, die Ansiedlung von Bienenvölkern und der Verzicht von Einwegplastik auf unserem Stadiongelände in den letzten Jahren schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Aber der weltweite Diskurs und die immer weiter anwachsende Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel haben auch bei uns zu einer Verstärkung der Aktivitäten geführt.

Fußball wird oft als „Klimasünder“ bezeichnet, allerdings versuchen Vereine vermehrt, nachhaltiger zu wirken. Passiert aus Ihrer Sicht genug im deutschen Fußball?

Generell müssen die Anstrengungen in allen gesellschaftlichen Bereichen in vielerlei Hinsicht verstärkt werden, also auch im Fußball bzw. in unseren Fußballvereinen, die nur ein Teil des Ganzen sind. Das vorherrschende Denken in den Kategorien von Wachstum und rücksichtsloser Gewinnmaximierung, das uns dahin gebracht hat, wo wir jetzt stehen, muss abgelöst werden von den Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens, von Klimaschutz und Verteilungsgerechtigkeit, also im weitesten Sinne von sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung aller.

Wer steht hier in der Verantwortung – Einzelpersonen oder Unternehmen?

Damit sind Einzelpersonen, aber auch alle Organisationen und Unternehmen angesprochen, zu denen auch die Fußballvereine gehören. Die damit verbundenen Themen sind in erster Linie Fragen unseres Energieverbrauchs, der mit dem Besuch von Spielen zusammen hängenden Mobilität, der Vermeidung von Abfall – hier insbesondere Einwegplastik – und des Einsatzes von wiederverwendbaren Pfandbechern, und insbesondere die nachhaltige Produktion von Merchandisingartikeln.

Oft hört man: Politik hat am Rasen nichts zu suchen. Wie sehen Sie das?

Fußball ist die Sportart Nr. 1, gesellschaftlich hochrelevant und somit per Definition schon politisch. Dass man nicht unbedingt während eines Spiels politische Statements von sich gibt, ist banal und gilt auch für andere Arbeitsbereiche, obwohl selbst das nicht stimmt, wenn Not am Mann oder der Frau ist. Den Fußball generell für unpolitisch zu erklären, gehört in die Top Ten der dümmsten Äußerungen, die man tätigen kann.

Unser ganzes Leben findet in den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen statt, in denen wir uns bewegen, und die gehören angesichts der aktuellen Entwicklungen allesamt auf den Prüfstand. Die Herausforderungen, denen wir im Fußball gegenüberstehen, unterscheiden sich deshalb nicht von denen in allen anderen Bereichen. Aber so wie immer mehr Unternehmen in der Wirtschaft begreifen, dass Nachhaltigkeit umgesetzt werden muss, müssen wir das auch im Fußball schaffen.

Abgesehen von den lobenswerten Aktionen einzelner Vereine – gibt es konkrete Ideen, wie man den deutschen Fußball insgesamt strukturell nachhaltiger machen könnte?

Ja, bei den Linzenzvoraussetzungen könnte man einen wichtigen Schritt gehen. Unser ehemaliger Geschäftsführer Andreas Rettig und der Club selbst fordern, neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Nachweis eines Jugend-Leistungszentrums sowie den administrativen, medientechnischen und infrastrukturellen Standards auch Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung zu Lizensierungsvoraussetzungen zu machen. Das wäre ein wichtiger und unumgänglicher Ansatz, der dem Vorbildcharakter und der Strahlkraft unseres Fußballs gerecht wird.

Ist St. Pauli im Vergleich zu anderen Vereinen offener für Umweltschutz?

Wir als FCSP haben es sicherlich leichter, Akzeptanz auch für unbequeme Maßnahmen bei unseren Fans zu bekommen, beispielsweise für die Umstellung auf Mehrwegpfandsystem. Der Verein lebt seine soziale und in zunehmendem Masse auch ökologische Verantwortung seit Jahren, zum Beispiel durch Projekte und Initiativen der MitarbeiterInnen aus unserem CSR-Bereich.

Doch wir sehen auch viele Initiativen aus der Fanszene und Forderungen aus unserer Mitgliedschaft, wie zum Beispiel nach nachhaltiger Produktion unserer Merchandisingprodukte, die mittlerweile schon weitgehend umgesetzt ist. Darüber hinaus entwickeln wir mit Sponsoren oder Partnern wie Levi’s, Kiezstrom und insbesondere der Techniker Krankenkasse gemeinsame Projekte zum Umweltschutz.

Denken Sie, man müsste Fanclubs verstärkt in Nachhaltigkeits-Bemühungen einbeziehen, um z. B. das Thema Transport bei Auswärtsspielen anzugehen? 

Definitiv ja, denn Mobilität ist ein wichtiger, wenn nicht der größte CO2-Aspekt im Fußball. Wann immer es möglich ist, fährt unsere Profimannschaft schon seit Jahren mit der Bahn zu den Auswärtsspielen, und viele unserer Anhänger tun dies sowieso. Das kann aber kein Ersatz sein dafür, dass wir nachhaltige Mobilitätskonzepte für alle brauchen. Ein gutes Beispiel dafür ist die von uns mit einem Partner eingerichtete bewachte Fahrradgarderobe, damit noch mehr Fans mit dem Fahrrad zu uns kommen können.

Ist der Verein auch abseits des Fußballs und der eigenen Nachhaltigkeit aktiv?

Ja, wir versuchen, Bewusstseinsbildung zu betreiben. Die Kampagnen #netzgegenplastik und #waldverbesserer riefen dazu auf, persönlich etwas zu tun. In der zweitgenannten Kampagne unterstützen wir die vom jungen Felix Finkbeiner ins Leben gerufene Organisation „Plant-for-the-Planet“, in deren App online Bäume weltweit in einer Vielzahl von Aufforstungsprojekten gepflanzt werden können.

Aber ich sehe auch in vielen anderen Vereinen immer mehr Anstrengungen und zunehmende Akzeptanz, sich den Themen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimawandel adäquat zuzuwenden, beispielsweise Werder Bremen, Schalke 04, Mainz 05, TSG Hoffenheim, FC Augsburg oder der SC Freiburg genannt.

Auch abseits des Vereins sind Sie aktiv, beispielsweise unterstützen Sie die Initiative „Parents for Future“. Welchen Erfolg versprechen Sie sich davon?

Mit den Aktionen von „Fridays for Future“ wurde die Welt durch die junge Generation endlich aufgerüttelt, wach zu werden und etwas zu tun, bevor es ganz zu spät ist. Und das, obwohl wir seit Jahrzehnten wissenschaftlich abgesichert wussten, dass wir unweigerlich auf diesen Punkt zusteuern, wenn wir nichts verändern. Blanke Gier, Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit haben es soweit kommen lassen. Mit den Aktionen von Initiativen wie auch „Parents for Future“ kann man nur auf Zusammenhänge hinweisen und Vorschläge machen. Was jetzt passieren muss, ist, dass wir handeln, unseren eigenen Lebensstil überprüfen und den Druck erhöhen, damit endlich sinnvolle, nachhaltige und gerechte gesetzliche Regelungen erlassen werden. Zufrieden kann man im Übrigen erst sein, wenn das Klima gerettet ist.

Sie wurden in der Welt zitiert mit „Ich schäme mich, dass meine Generation nicht eher gehandelt hat.“ Versuchen Sie momentan, dieses Versäumnis wieder gut zu machen?

Ich kann nur von mir persönlich und meinen eigenen Empfindungen sprechen. Auch ich habe vieles bereits gewusst, mich aber wie so viele durch die Fokussierung auf die beruflichen Verpflichtungen von einer aktiveren Haltung zum Thema abhalten lassen. Wenn ich erst vor etwas über einem Jahr überhaupt mitbekommen habe, dass ein damals 9-jähriger Felix Finkbeiner vor über 10 Jahren seine Organisation „Plant-for-the-Planet“ ins Leben gerufen hat, in der Zwischenzeit über 13 Milliarden Bäume gepflanzt worden sind, und ich und viele Andere ihn dabei quasi allein gelassen haben, dann kann ich nur Scham und Reue empfinden.

Meine momentane berufliche Situation als Repräsentant der sozialen und gesellschaftspolitischen Werte meines Vereins erlaubt mir nun, mich hauptamtlich und zeitintensiv für die richtigen Dinge einzusetzen. Ich weiß nicht, ob ich das Versäumte dadurch wieder gut machen kann, aber ich werde versuchen, meinen Beitrag dafür zu leisten.

Wenn Sie einen Wunsch von der Regierung frei hätten – was wäre es?

Als Sportler habe ich gelernt, dass es nichts bringt, sich nur etwas zu wünschen, sondern besser ist, sich Ziele zu setzen und darauf hinzuarbeiten. Ein Ziel ist zum Beispiel, erst einmal von mir selbst das Beste zu verlangen, bevor ich mich anderen zuwende, weil ich nur bei mir die Kontrolle habe. Aber Verhaltensänderungen nur auf der individuellen Ebene reichen in der Summe nicht aus, um einen grundlegenden Wandel durchzusetzen. Deshalb erwarte ich von unserer Regierung und den politisch Verantwortlichen, dass sie mit zukunftsträchtigen gesetzlichen Regelungen intelligente Standards, Limits und Leitplanken setzen, um Klimaschutz und Verteilungsgerechtigkeit in einer neuen Kreislaufwirtschaft zur täglichen Routine werden zu lassen.

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