Die EU-Kommission möchte 37 Milliarden Euro aus ihren Strukturfonds ziehen, um Maßnahmen in der Corona-Pandemie zu finanzieren. Dazu hat sie heute tiefgreifende rechtliche Änderungen vorgeschlagen. Doch die Maßnahmen können nur bedingt helfen.
Zwei Tage nach dem Inkrafttreten der europäischen Investitionsinitiative (CRII) gegen den Coronavirus, hat die EU-Kommission heute ein weiteres Paket verabschiedet, das die dafür nötige Umwälzung milliardenschwerer EU-Fonds ermöglichen soll. Neben einem 100 Milliarden Euro Paket zum Schutz von Arbeitsplätzen schlägt die Behörde dazu tiefgreifende Änderungen der EU-Strukturfonds vor. „Wir müssen alle unsere Instrumente nutzen. Wir werden jeden im EU-Haushalt verfügbaren Euro umwidmen, und wir werden alle Regeln lockern“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute.
Der heutige Vorschlag folgt auf das am 13. März vorgeschlagene CRII-Paket, das den Mitgliedsstaaten Corona-Finanzhilfen in Höhe von 37 Milliarden Euro zuspricht. Damit die Änderungen in Kraft treten können, werden allerdings noch EU-Parlament und EU-Rat zustimmen müssen. Das Geld soll aus ungenutzten Mitteln der Strukturfonds gewonnen werden, die normalerweise jährlich an die Kommission zurückerstattet werden müssen. So sollen acht Milliarden Euro, die für das Jahr 2019 angedacht waren, in den Händen der Mitgliedsstaaten verbleiben, weitere 29 Milliarden Euro sollen frühzeitig ausgezahlt werden.
Mitgliedsstaaten können EU-Gelder unbegrenzt verschieben
Um das umzusetzen, sollen die Regelungen der Kohäsionspolitik weitgehend gelockert werden. Mitgliedsstaaten sollen die Möglichkeit erhalten, dieses Jahr unbegrenzt Mittel zwischen den verschiedenen Fonds zu verschieben und dabei auch Geld zwischen reichen und ärmeren Regionen umzuwälzen. In vielen Ländern, zum Beispiel in Norditalien, sind wirtschaftlich wohlhabende und dichte besiedelte Regionen besonders hart betroffen. Unter den jetzigen Regelungen stehen ihnen allerdings weniger Mittel aus den Strukturfonds zu. Trotz der neuen Freiheiten sollten Mitgliedsstaaten „erst andere Wege überprüfen, Mittel zu transferieren, bevor sie Übertragungen aus dem Haushalt der weniger entwickelten Regionen in Betracht ziehen“, da diese Übertragungen möglicherweise negative Auswirkungen haben könnten, heißt es in dem Entwurf.
Auch zwischen den inhaltlichen Prioritäten der laufenden Förderprogramme sollen nun unbegrenzte Umfinanzierungen möglich sein, zunächst war nach Angaben eines EU-Diplomaten nur acht Prozent vorgeschlagen worden. Darüber hinaus können Mitgliedsstaaten ihr Budget für bestimmte Prioritäten wie die Gesundheitsvorsorge nun temporär um zehn Prozent überstrecken, vorausgesetzt, die Gelder werden an anderer Stelle eingespart.
Bei den Maßnahmen handele es sich allerdings um temporäre Umschichtungen, betonte die für Regionalpolitik zuständige Kommissarin Elisa Ferreira. Diese dürften nicht dazu führen, dass ärmere Regionen langfristig auf Gelder verzichten müssen. Aber außergewöhnliche Zeiten erforderten „außergewöhnliche Maßnahmen“. Ferreira hatte sich nach einer Videokonferenz mit den Vorsitzenden des REGI-Ausschusses des Parlaments am Montag in der Kommission für die weitreichenden Änderungen im Regelwerk der Kohäsionspolitik eingesetzt. Die Parlamentarier auf die Lockerungen und Vereinfachung der Regeln gepocht, um die versprochenen 37 Milliarden Euro zügig auszahlen zu können.
The new CRII+ proposals allow maximum flexibility in transfers between #Cohesion funds – Cohesion Fund (CF), European Regional Development Fund (ERDF), European Social Fund (ESF) – and regions so that Member States can fully use all available funds #StrongerTogether @EUinmyRegion pic.twitter.com/S4gsS8WcJW
— Elisa Ferreira (@ElisaFerreiraEC) April 2, 2020
Neuer EU-Haushalt und mehr Geld für Kohäsion?
Da die Strukturfonds der EU, die mit 454 Milliarden Euro rund ein Drittel des laufenden EU-Haushalts ausmachen, in der Regel auf Jahre in operationellen Programmen eingeplant sind, können sie nur bedingt in Sofortmaßnahmen fließen. Vor allem dürften sie für den längerfristigen Aufbau der gesundheitlichen Infrastruktur in den Regionen genutzt werden. Die Umverteilung der Strukturfonds leistet daher nur einen kleinen Teil zur wirtschaftlichen Abfederung der Corona-Pandemie.
„Die Kohäsionspolitik kann nicht die fehlende Einigkeit im EU-Rat kompensieren und die Finanzierung der Corona-Maßnahmen alleine schultern“, sagte eine Quelle aus dem Ausschuss der Regionen gegenüber EURACTIV. Auf dem EU-Gipfel vergangenen Donnerstag hatten sich die Staats- und Regierungschefs nicht einigen können, ob beispielsweise der ESM oder sogenannte Corona-Bonds zum Einsatz kommen sollten.
Die neu geschnürten Finanzpakete der EU befeuern inzwischen die Rufe nach einer Überarbeitung und Erhöhung des EU-Haushalts ab 2021. Im REGI-Ausschuss des Parlaments hofft man, dass der Kohäsionspolitik dann mehr Geld zugesprochen werden würde. Der jetzige Vorschlag der EU-Kommission sieht Kürzungen in Höhe von zehn Prozent vor. Doch territoriale Ungleichheiten würden sich im Laufe der kommenden Wirtschaftskrise voraussichtlich noch verschlimmern, mahnte REGI-Vorsitzender Younous Omarjee (GUE/NGL). Auch im Ausschuss der Regionen hofft man, in der laufenden Krise Momentum für mehr Regionalförderung zu erhalten: „Die kohäsionspolitischen Mittel erweisen sich in beispiellosen Krisenzeiten vor Ort einmal mehr als überlebenswichtig“, betonte AdR-Präsident Apostolos Tzitzikostas.
Zuspruch kommt von EU-Kommissarin Ferreira. „Die Grenzen des EU-Haushalts – ein Prozent des BIP, das sind 0,3 Prozent für die Kohäsion – schränken uns ein. Wir brauchen eine rasche Einigung über einen robusten und ehrgeizigen EU-Haushalt für 2021-2027“, schrieb sie vor wenigen Tagen auf Twitter.