Die Europäische Kommission will den EU-FinanzministerInnen kommende Woche einen Vorschlag für ihr EU-weites Arbeitslosenrückversicherungssystem vorlegen. Der Vorstoß ist wohl vor allem auf den Ausbruch des Coronavirus und dessen Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten zurückzuführen.
Die Kommission und die FinanzministerInnen der Mitgliedstaaten haben sich vorgenommen, alle denkbaren Optionen in ihrem Arsenal zu nutzen, um damit die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie abzufedern.
Nach jahrelanger, kontroverser Debatte und viel Widerstand könnte daher auch die europäische Arbeitslosenversicherung in nicht allzu ferner Zukunft das Licht der Welt erblicken.
Die EU-Exekutive plant, der Eurogruppe am 7. April einen Vorschlag zur Schaffung eines Mechanismus zur Aufstockung der nationalen Arbeitslosenunterstützung zu unterbreiten, wie Kommissionsquellen gegenüber EURACTIV.com bestätigten.
Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hatte bereits nach dem Eurogruppentreffen in der vergangenen Woche erklärt, man arbeite „hart“ darauf hin, diese ursprünglich für Ende des Jahres geplante Initiative schnell voranzubringen.
Er warnte jedoch auch, dass es nicht allzu viele Ressourcen zur Finanzierung dieser Rückversicherung gebe, da die EU gerade am Ende der aktuellen siebenjährige Haushaltsperiode (2014-2020) steht.
Gentiloni versprach aber, dass nach weiteren Lösungen zur Finanzierung des Systems gesucht werde.
Mehrere Geldquellen
Die Methode, die aktuell in Betracht gezogen wird, ist die Mobilisierung von Ressourcen unter Verwendung des EU-Haushalts als Garantie, und gegebenenfalls zusätzliche Garantien der Mitgliedsstaaten, berichtete derweil die Financial Times. Ziel sei es, ein Gesamtvolumen zwischen 80 und 100 Milliarden Euro zu erreichen.
Dieser Betrag ist zwar erheblich höher als die knapp 13 Milliarden Euro, die für das Haushaltsinstrument für die Eurozone vorgesehen sind, würde aber dennoch weniger als 0,7 Prozent des BIP der EU ausmachen. In einem Bericht, den der Think-Tank CEPS im vergangenen Jahr für die Kommission verfasst hatte, war schon davon ausgegangen worden, dass der Umfang des Systems zwischen 0,3 und 0,85 Prozent des BIP der gesamten EU bzw. der Eurozone liegen würde.
Die Initiative für die Rückversicherung ist – neben anderen Optionen – bereits von den PräsidentInnen der Kommission, der Eurogruppe, der EZB und des Europäischen Rates am Dienstag in einer Telekonferenz diskutiert worden.
„Um die europäische Wirtschaft in Schwung zu bringen, müssen wir alle verfügbaren Hebel auf nationaler und europäischer Ebene nutzen. Der EU-Haushalt wird an diese Krise angepasst werden müssen. Es ist an der Zeit, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Jede Option, die mit den EU-Verträgen vereinbar ist, sollte in Betracht gezogen werden,“ sagte der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel.
Schwere Auswirkungen durch Coronavirus
Die Kommission geht davon aus, dass die durch das Virus verursachte Krise tiefer sein wird als die Rezession aufgrund der Finanzkrise 2008/2009 und warnte, dass die Zahlen der vorübergehenden Arbeitslosigkeit „in die Höhe schnellen“ werden, so ein internes Dokument, das EURACTIV einsehen konnte.
Seit mehr als fünf Jahren steht eine EU-weite Arbeitslosenversicherung zur Debatte. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte bereits vor einigen Jahren ein europäische Rückversicherungssystem verteidigt und dabei nahegelegt, man könne zinsgünstige Kredite an wirtschaftlich schwer getroffene Länder vergeben.
Ökonomen und Institutionen, einschließlich des Europäischen Finanzrats, hatten in der Vergangenheit hingegen vor der „technischen Komplexität“ bei der Umsetzung eines solchen Mechanismus gewarnt.
Im Rahmen der aktuellen Coronavirus-Krise hatte die Kommission zunächst ebenfalls nicht in Betracht gezogen, die Initiative voranzutreiben, da ein Konsens als schwer erzielbar galt/gilt.
Die Notwendigkeit, jetzt alle verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren, und der Widerstand gegen noch ehrgeizigere Initiativen, wie die gemeinsame Ausgabe sogenannter „Coronabonds“, haben die EU-Exekutive aber offenbar veranlasst, ihre Ansätze zu ändern.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]