Heute wird im EU-Parlament über das umstrittene Renaturierungsgesetz abgestimmt. Bei der Abstimmung steht nicht nur der Green Deal, sondern auch die Zukunft der Europäische Volkspartei (EVP) auf dem Spiel, kommentiert Kira Taylor.
Die Befürworter des Gesetzes sagen, es sei notwendig, um Europas grüne Ziele zu erreichen, während die EVP davor warnt, dass es die Lebensmittelproduktion und das Leben von Landwirten, Förstern und Fischern beeinträchtigen wird.
Die Abstimmung könnte aber auch für die EVP entscheidend sein. Sie riskiert eine demütigende Niederlage in ihrer Kampagne, das Gesetz zu verhindern, oder einen Erfolg bei der Blockierung eines Vorschlags, der von der Europäischen Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen, einer Politikerin aus den Reihen der EVP, stammt.
So oder so wird es für die EVP nicht gut aussehen.
Zwar versuchte man die Kritik vor allem auf EU-Klimachef Frans Timmermans zuzuspitzen – einem Sozialdemokraten – allerdings spielt die EVP die Tatsache herunter, dass der Vorschlag von auch aus einem ihrer eigenen Mitglieder stammt, da von der Leyen das Gesetz stets unterstützt hat.
„Ich denke, es ist sehr offensichtlich, dass Timmermans dieses Gesetz entworfen hat“, sagte Peter Liese, ein führender deutscher Abgeordneter der EVP im Parlament. Timmermans sei es auch derjenige, der damit gedroht habe, einen ähnlichen Vorschlag zur Genmanipulation zurückzuziehen, der der EVP am Herzen liege, sagte Liese vor der Abstimmung gegenüber Journalisten.
„Ursula von der Leyen hat das nicht getan, es gibt also einen großen Unterschied“, sagte Liese, um die Aufmerksamkeit der Medien auf Timmermans zu lenken.
Timmermans selbst gibt zu, dass er die „schwere Arbeit“ für die Europäische Kommission in Bezug auf das Gesetz macht, betonte aber auch von der Leyens Unterstützung für das Gesetz.
„Die EVP hat es vorgezogen, mich ständig persönlich anzugreifen, wahrscheinlich zum Teil deshalb, weil sie vermeiden wollen, dass es zu einer Konfrontation mit Ursula von der Leyen kommt, was ich von einem parteipolitischen Standpunkt aus verstehen kann. Aber ich habe keine Zweifel daran, wo sie steht“, sagte er letzte Woche während einer Pressetour.
Von der Leyen hat sich ebenfalls für das Gesetz ausgesprochen, wenngleich sie deutlich zurückhaltender geworden ist. Auf die Frage nach ihrer Position sagte der leitende Sprecher der Kommission, Eric Mamer: „Die Präsidentin ist natürlich auch in ständigem Kontakt mit den Mitgliedern des Parlaments, und zwar mit allen Parteien.“
Doch die Kommissionspräsidentin befindet sich nun in einer heiklen Lage.
Eine aktive Unterstützung des Gesetzes würde angesichts des Widerstands der EVP gegen das Gesetz wie ein Kleinkrieg aussehen. Und abgesehen von dem Gesetz selbst braucht von der Leyen auch die volle Unterstützung ihrer politischen Familie, wenn sie eine Chance haben will, nach den Europawahlen im nächsten Jahr für eine zweite Amtszeit in der Europäischen Kommission wiedergewählt zu werden.
Eine offensichtliche Spaltung zwischen dem Fraktionsvorsitzenden der EVP im Parlament, Manfred Weber, und von der Leyen hat auch das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur verfolgt. Die Kommissionschefin ist politisch mit ihrem Vorschlag verknüpft, während Weber nun mit der Opposition des Parlaments zu dem Vorschlag in Verbindung gebracht wird.
Der französische Abgeordnete Pascal Canfin von der liberalen Fraktion Renew Europe hat diese Widersprüche innerhalb der EVP-Familie aufgezeigt.
In einem Gespräch mit Journalisten beschuldigte er Weber persönlich, das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur als Testlauf für ein mögliches Rechtsbündnis mit den nationalistischen Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) vor den EU-Wahlen im nächsten Jahr zu nutzen.
Das sieht nach offenem Widerstand der EVP gegen die Kommissionschefin aus. Als von der Leyen vor vier Jahren als Kandidatin für die Leitung der Europäischen Kommission antrat, suchte sie die Unterstützung eines breiten Spektrums politischer Fraktionen, um eine Bestätigungsabstimmung im Europäischen Parlament zu gewinnen und eine stabile Mehrheit aufzubauen.
Dazu brauchte sie die Unterstützung von drei Parteien – den Sozialisten und Demokraten (S&D), Renew Europe und ihrer eigenen Europäischen Volkspartei, wobei die Grünen als viertes inoffizielles Koalitionsmitglied fungierten.
Der European Green Deal war der Klebstoff, der von der Leyen half, den linken und rechten Flügel des Europäischen Parlaments zusammenzuhalten. Aber die EVP war nie ihr größter Fan und verlässt sich nun auf andere rechte und nationalistische Parteien im Parlament, um eine der Säulen des Green Deals zu verhindern.
Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur „wurde von Weber als Beispiel für die alternative Mehrheit gewählt“, sagte Canfin am Freitag (7. Juli) vor Journalisten und deutete damit an, dass Weber seine Optionen für eine rechte Koalition abwägt. „Wir wissen, dass es sich eindeutig um einen Text handelt, mit dem Manfred Weber versucht, seine politische Alternative zur von der Leyen-Mehrheit zu testen“, fügte er hinzu.
Canfin ist nicht der einzige, der dies sagt. Laut Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen, ist das Renaturierungsgesetz „leider zu einem Symbol für politische Spiele innerhalb der EVP geworden, welche Strategie sie für 2024 verfolgen wollen.“
Sie beschuldigte die EVP, eine „tiefe Identitätskrise“ durchzumachen.
Auf diese Kritik angesprochen, erklärte ein Sprecher der EVP-Fraktion gegenüber EURACTIV, dass sich die Fraktion nicht von „den politischen Spielchen der Linken“ ablenken lasse.
„Trotz der Tatsache, dass wir die überwältigende Mehrheit der Green-Deal-Dossiers gestaltet und unterstützt haben, beschuldigen sie die EVP-Fraktion aller Übel unter der Sonne“, fügte der Sprecher hinzu.
„Indem sie versuchen, die Sache persönlich zu machen oder uns in ein imaginäres extremistisches Lager zu schieben, ignorieren sie den Inhalt des Gesetzes und seine möglichen Folgen“, hieß es weiter, die EVP orientiere sich an der Wissenschaft und den sozialen und wirtschaftlichen Realitäten.
Auch jenseits der angeblichen Spaltung hat der Ausstieg der EVP aus den Verhandlungen zu bösem Blut geführt. Nach Ansicht der EVP-Abgeordneten im Parlament war der Vorschlag so mangelhaft, dass er an die Kommission zurückgeschickt werden musste.
Doch während der Entwurf auch bei einigen Landwirten auf Widerstand stieß, wurde er von Unternehmen, Industrieverbänden, Wissenschaftlern, Aktivisten und vor allem von EU-Ländern unterstützt, darunter einige mit EVP-nahen Regierungen.
Es gab Probleme mit dem ursprünglichen Vorschlag, aber die EU-Länder und andere Parteien im Parlament haben Schritte unternommen, um diese zu beheben, was die Abgeordneten zu der Frage veranlasst, warum die EVP beschlossen hat, den Verhandlungstisch zu verlassen.
Die Angriffe der EVP auf das Gesetz zur Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen markieren auch eine erkennbare Veränderung für eine Partei, die sich bisher generell konstruktiv an den Verhandlungen über die EU-Klimagesetzgebung beteiligt hat – und die immer noch über einige wichtige ausstehende Energiedossiers verhandelt.
Auch die Twitter-Kampagne der EVP gegen das Gesetz hat bestenfalls Verwirrung und Parodien hervorgerufen, schlimmstenfalls aber auch den Vorwurf, dass sie schlichtweg falsch liege.
So wies die Windkraftindustrie am Montag die Behauptung der EVP zurück, das Gesetz würde sich auf niederländische Projekte für erneuerbare Energien auswirken, und erklärte: „Wir haben mit einigen Experten gesprochen und können nicht erkennen, warum dies der Fall sein sollte.“
Die Kampagne der EVP hat das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zweifellos bekannter gemacht, aber vielleicht nicht immer so, wie sie es sich gewünscht hätte. Im Vorfeld der Abstimmung hatten Klimaaktivisten, darunter Greta Thunberg, in Straßburg für den Vorschlag der Kommission protestiert.
Wie auch immer das Ergebnis der Abstimmung am Mittwoch ausfallen wird, die Vorgeschichte der Abstimmung ist Teil des Vermächtnisses der EVP geworden, im Guten wie im Schlechten. Die Frage ist, wer am Mittwoch als Sieger hervorgeht, von der Leyen oder Weber, und ob die EVP das überleben wird, was zunehmend wie eine interne Fehde aussieht.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic]