Während in Europa die Zeichen immer stärker auf Wahlkampf stehen, buhlen die Parteien um die Gunst der Landbevölkerung. Für konstruktive Debatten zum Klima- und Umweltschutz in der Landwirtschaft ist das keine gute Nachricht, kommentiert Julia Dahm.
Rund 25 Prozent der EU-Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten. Im Wahlkampf bedeutet das: Jede vierte Stimme wird auf dem Land gewonnen – oder verloren.
Ein Jahr vor den EU-Parlamentswahlen haben offenbar auch die europäischen Parteienfamilien verstanden, dass Bäuer*innen und Co. im Zweifel über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Die Kämpfe in Brüssel über ohnehin hochumstrittene agrarpolitische Themen dürften sich damit in den nächsten Monaten deutlich verhärten – und der politische Entscheidungsprozess damit zum Erliegen kommen.
An die Spitze derjenigen, die mit allen Mitteln Landwirt*innen und andere Dorfbewohner*innen umwerben, setzte sich Ende vergangener Woche die Europäische Volkspartei (EVP) – jene Parteienfamilie auf EU-Ebene, der auch CDU und CSU angehören.
Beim EVP-Parteitag in München, bei dem sich die Partei auf den anstehenden Wahlkampf vorbereitete, verabschiedeten die Delegierten am Freitag eine Erklärung mit dem klangvollen Titel “European Farmers’ Deal” (zu Deutsch etwa: “Ein Deal für Europas Landwirt*innen”).
Der Titel ist natürlich eine Anspielung auf den Green Deal, der Flaggschiffstrategie der EU in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Doch der “Deal”, der den Landwirt*innen hier präsentiert wird, ist ein anderer und lautet in etwa so:
Wir versprechen, euch vor bösen Umweltauflagen und Verboten zu schützen, die im Rahmen des Green Deal und seines landwirtschaftlichen Zweigs, der Farm-to-Fork-Strategie, drohen. Im Gegenzug gebt ihr uns eure Stimme.
Kampfansage statt Kompromiss
Oder, wie es in der Entschließung heißt: „Die EVP ist und bleibt die Stimme und der Verteidiger der europäischen Landwirte und unserer ländlichen Gemeinden.“
In der Praxis bedeutet das: Bis zur Wahl dürfte die Mitte-Rechts-Fraktion ihre Kompromissbereitschaft in Sachen Agrarpolitik auf Null herunterfahren.
Das ist folgenschwer, denn in den kommenden Monaten stehen noch Entscheidungen über zentrale Komponenten der Farm-to-Fork-Strategie an, allen voran die Pläne der EU-Kommission zur Reduzierung von Pestiziden.
„Wir lehnen den Vorschlag zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden ab, da die gewählten Reduktionsziele einfach nicht machbar sind“, heißt hierzu im EVP-Papier.
Dass die Christdemokraten das Vorhaben scharf kritisieren, sowohl den Einsatz von Pestiziden als auch das hiermit verbundene Risiko bis 2030 zu halbieren, ist nicht neu. Doch es ist das erste Mal, dass die gesamte Partei dem Vorschlag schwarz auf weiß eine Totalabsage erteilt.
Und im Abschnitt über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU macht die Resolution die Verbindung zu den EU-Wahlen sogar explizit.
“Diejenigen, die 2024 gewählt werden, werden über die nächste GAP für die Zeit nach 2027 entscheiden”, heißt es dort, bevor ein “starkes Budget” für das Programm gefordert wird.
Letzteres würde nicht nur Landwirt*innen selbst zugutekommen, sondern allen Bewohner*innen ländlicher Räume. Denn ein großer Teil der GAP-Förderung fließt in die ländliche Entwicklung – also beispielsweise in die touristische Erschließung von Dörfern oder soziale Angebote für die Einwohner*innen.
Wahlen werfen Schatten voraus
Auch an anderer Stelle zeigte sich zuletzt, wie Bäuer*innen und die Landbevölkerung vor Wahlen ins Zentrum der Aufmerksamkeit vor allem konservativer und rechter Parteien rückten.
So umgarnt die CSU vor den bayerischen Landtagswahlen im Herbst Land- und Forstwirt*innen.
Diese seien “die wahren Klimaaktivisten und kein anderer”, säuselte CSU-Agrarministerin Michaela Kaniber diese Woche bei einer Veranstaltung in Brüssel. “Unsere Grundpfeiler für ein gesundes Leben, für eine starke, intakte Landschaft und auch für die ländlichen Räume sind nun mal unsere Bäuerinnen und Bauern”, so Kaniber.
Auch sie sprach sich deutlich gegen die Reduktion von Pestiziden aus.
In Polen, wo dieses Jahr ebenfalls Parlamentswahlen anstehen, rückte die regierende PiS zuletzt von ihrem pro-ukrainischen Kurs ab, um die Einfuhr von Weizen aus dem kriegsgebeutelten Land zeitweise zu blockieren. Die Landwirt*innen, eine wichtige Wählergruppe für die rechtspopulistische Partei, hatten über sinkende Marktpreise geklagt.
Und in Spanien sorgte vor den anstehenden Regionalwahlen die konservativ-rechte Regionalregierung Andalusiens für Furore: Sie erlaubte Landwirt*innen angesichts der anhaltenden Dürre die Nutzung eigentlich illegaler Bewässerungssysteme, obwohl diese das Ökosystem im nahegelegenen Nationalpark Doñana schädigen könnten.
All das zeigt: Der Kampf um ländliche Wählerstimmen trägt gewiss nicht dazu bei, in der Agrar- und Umweltpolitik konstruktive Debatten und Kompromissbereitschaft zu fördern.
Doch im Vorfeld einer ganzen Reihe von Wahlen in Europa ist er ein Faktum – und dürfte das politische Leben in den kommenden Monaten prägen.