Nachdem die französischen Bürgerinnen und Bürger sich schon bei den sogenannten „Bürgerversammlungen“ oder „-Konsultationen“ zu Klimafragen geäußert und mögliche Lösungen debattiert hatten, waren sie nun eingeladen, das Thema Landwirtschaft anzugehen. Ob bzw. welche Auswirkungen die Debatte auf die Politik haben kann, bleibt indes ungewiss. EURACTIV Frankreich berichtet.
Gut 70 Menschen aus dem Département Côtes-d’Armor in der Bretagne haben sich am vergangenen Mittwochabend (28. Oktober) in den Saal Robien in Saint-Brieuc begeben. Für die mit der Organisation der Veranstaltung beauftragte Nationale Kommission für öffentliche Debatten („Bürgerkonsultationen“, CNDP) war dies bereits ein Erfolg.
„Es war knapp, glücklicherweise findet alles heute Abend statt und nicht morgen,“ kommentierte eine der Ausrichterinnen mit Blick auf den am folgenden Tag in Frankreich in Kraft tretenden Lockdown.
In Saint-Brieuc ging es um die – im Vergleich zu den Bürgerversammlungen zum Thema Klima – deutlich weniger bekannt und publik gemachte „öffentliche Debatte über die Landwirtschaft“. Im Mittelpunkt stand die wesentliche Frage: Welche Art von Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion wünschen wir uns für die Zukunft?
Die Konsultationsgespräche mit dem Titel „ImPACtons“ [ein Wortspiel aus „Wir haben Einfluss“ und dem Kürzel PAC für die Gemeinsame Agrarpolitik (dt. GAP), d. Übers.] haben zwei Ziele: den französischen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, über die GAP zu diskutieren; und einen „nationalen Strategieplan“ zu erstellen, der letztendlich der Europäischen Kommission vorgelegt werden soll.
Start mit Verzögerung
Diese öffentliche Debatte über Landwirtschaft, die im vergangenen Februar mit großem Brimborium offiziell gestartet wurde, war aufgrund der sich damals bereits verschlimmernden COVID-19-Pandemie und dem anschließenden ersten Lockdown in Frankreich scheinbar bereits beendet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte.
Am 1. September wurde im Zuge der Lockerungen ImPACtons jedoch neu gestartet und diesmal in unterschiedlichen Formen durchgeführt: eine partizipative Plattform für Online-Debatten; eine tatsächliche „Bürgerversammlung zur Landwirtschaft“, an der 125 Menschen physisch teilnahmen; sowie kleinere Debatten, die in verschiedenen Städten organisiert wurden.
Die Teilnehmenden, die sich vergangene Woche im Dorfsaal von Saint-Brieuc versammelten, diskutierten ebenfalls in Kleingruppen über einige kritische Themen – von Tierzuchtpraktiken über Viehhaltung und Tierwohl bis hin zum Umweltschutz.
„Das sind schöne Debatten“, betonte Ilaria Casillo, Vizepräsidentin der CNDP und Leiterin der Debatte in Saint-Brieuc. „Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben mir gesagt, wie bereichernd es ist, sich trotz der manchmal divergierenden Standpunkte austauschen zu können. Alle Debatten verliefen sehr gut.“
Und die Resultate?
Obwohl die Debatten zweifellos positiv angenommen und gut besucht werden, bleibt die wichtige Frage: Werden sie es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, die Richtung der französischen und europäischen Agrarpolitik tatsächlich zu beeinflussen?
Dies ist kaum absehbar, wie die konservative EVP-Europaabgeordnete Anne Sander dem Sender France Culture sagte. „Es ist offensichtlich, dass es heute sehr in Mode ist, Bürgerversammlungen zu organisieren. Wir hatten sie zum Thema Klima, jetzt haben wir sie zum Thema Landwirtschaft […] Die Frage, die sich aber ganz konkret stellt, lautet: Was wird am Ende aus den Vorschlägen und Richtungsvorschlägen?“
Es ist eine berechtigte Frage – gerade angesichts dessen, was mit den Vorschlägen der Bürgerkonsultationen zur Klimapolitik geschehen ist. Spätestens seit Ende des Sommers kritisieren die 150 Personen, die am Klimakonvent teilgenommen hatten, die Regierung in Paris. Diese habe die Vorschläge schlichtweg ignoriert.
Bei Vorschlägen wie einem Moratorium für die 5G-Technologie, „Strafsteuern“ für besonders große und schwere Neu-PKW oder einer Besteuerung von Flugtickets habe sich auf hoher politischer Ebene nichts getan.
Wenn die öffentlichen Debatten „praktisch immer positiv“ verlaufen, sei es auch notwendig, „im Nachhinein etwas zu unternehmen“: Worten müssten Taten folgen, da ansonsten die Gefahr besteht, „eine Menge Frustration unter den Menschen zu erzeugen, die sich derart engagieren“, warnt Sander.
Anspruch und Realität
Und auch auf EU-Ebene scheinen die Würfel bereits gefallen zu sein: Nachdem die Agrarministerien der EU-Staaten am 21. Oktober eine Einigung über die GAP-Reform erzielt hatten, folgten auch die EU-Parlamentsabgeordneten drei Tage später.
Die Verhandlungspositionen stehen also fest; nun folgen Trilog-Treffen zwischen Rat, Kommission und Parlament. Endlich sollen mehrere Monate harter Verhandlungen zum Abschluss gebracht und somit dazu beigetragen werden, die GAP für die kommenden sieben Jahre festzulegen.
Dennoch legten die insgesamt 125 Teilnehmenden der Bürgerversammlung für Landwirtschaft vergangene Woche noch ein Dokument vor, das dem französischen Landwirtschaftsministerium „bei der Ausarbeitung der nächsten Gemeinsamen Agrarpolitik“ helfen soll.
Die Vorschläge sind insgesamt ebenso ambitioniert wie grün. Unter anderem gefordert wird: Eine ökologische Wende hinzu einer nachhaltigen Landwirtschaft „die die Umwelt respektiert“; Aus- und Weiterbildung in Agrarökologie und Bio-Landbau; die meisten Subventionen sollten von der Einführung ökologischer Praktiken abhängig gemacht werden; und der Umweltschutz solle „untrennbar“ mit der Landwirtschaft verbunden werden, „indem die GAP der EU in GAUP (Gemeinsame Agrar- und Umweltpolitik) umbenannt wird“.
Dass diese Ideen in Brüssel und Straßburg Anklang finden ist indes fraglich – vor allem aufgrund des angesprochenen Zeitdrucks: Die von den Landwirtschaftsministerien im EU-Rat erzielte Einigung und die Abstimmungen im Europäischen Parlament deuten darauf hin, dass nach monate- bis jahrelangen Verzögerungen nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen.
Viele Umwelt-NGOs kritisieren das von der EU-Politik zum Ziel erklärte – und ihrer Ansicht nach „veraltete“ – GAP-Vorhaben. Die aktuellen Vorschläge ignorierten „die eigentlichen Ziele des europäischen Green Deal“.
[Bearbeitet von Tim Steins]