Die EU-Länder haben in einer Studie, die den Stand der globalen Ernährungssicherheit misst, recht unterschiedlich abgeschnitten: Insgesamt liegt die EU im globalen Ranking sehr weit vorne; es zeigen sich jedoch Diskrepanzen innerhalb des Blocks.
Der vom Economist Intelligence Unit entwickelte Global Food Security Index beschäftigt sich mit Faktoren, die die Ernährungssicherheit in mehr als hundert Ländern weltweit beeinflussen. Die „Leistung“ dieser Länder in puncto Lebensmittelsicherheit wird im Index unter Berücksichtigung von Punkten wie Erschwinglichkeit, Verfügbarkeit, Qualität und Sicherheit sowie natürliche Ressourcen und Widerstandsfähigkeit eingestuft.
Die neunte Ausgabe des Index, die am heutigen Dienstag veröffentlicht wurde, bestätigt, dass die EU bei der Ernährungssicherheit weit vorne liegt: Unter den Top 20 des Index befinden sich elf EU-Länder. Die ersten fünf Plätze gehen mit Finnland, Irland, den Niederlanden, Österreich und der Tschechischen Republik ebenfalls allesamt an EU-Staaten.
Doch trotz dieser Spitzenplätze einzelner Länder ist die EU als Region betrachtet nur das „zweitbeste“ Umfeld für Ernährungssicherheit und wird im diesjährigen Index von Nordamerika übertroffen.
„Das liegt daran, dass es eine Diskrepanz innerhalb des Blocks gibt,“ erklärt Pratima Singh, Projektleiterin für den Index beim Economist Intelligence Unit. Die Forscherin betont im Gespräch mit EURACTIV.com, beim Thema Ernährungssicherheit sei das Niveau in der EU nicht einheitlich: Die „Performances“ sowohl der Mittelmeerländer als auch der Staaten in Mittel- und Osteuropas seien deutlich niedriger als in West- und Nordeuropa.
Bulgarien, die Slowakei und Ungarn sind dabei die am schlechtesten bewerteten EU-Länder: Sie kommen jeweils auf Platz 44, 40 und 36.
Ernährungssicherheit in Europa war kürzlich wieder in den Fokus gerückt, nachdem EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius behauptet hatte, das Thema sei für die EU weitgehend kein wichtiges Anliegen mehr. Der junge litauische Kommissar erklärte, inzwischen würden andere Herausforderungen das EU-Lebensmittelsystem dominieren, wie beispielsweise Lebensmittelverschwendung, Überkonsum, Fettleibigkeit und der gesamte ökologische Fußabdruck dieses Versorgungssystems.
Anfällige Produktion
Insgesamt schneiden die EU-Mitgliedsstaaten gut ab und zeigen zufriedenstellende Werte beim gerechten Zugang zu Nahrungsmitteln.
Auch bei der Vielfalt der Ernährung und der Verfügbarkeit von Nährstoffen bleibt der Block weltweit führend: Insbesondere hatten die EU-Staaten im Zeitraum 2012-2020 ausreichenden Zugang zu wichtigen Nährstoffen wie Vitamin A, Eisen und Zink für ihre Bürgerinnen und Bürger sichergestellt.
In Bezug auf nationale Ernährungsrichtlinien und Nährwertkennzeichnungen hätten Bulgarien, Griechenland und die Slowakei allerdings „noch einige Hausaufgaben zu erledigen“. Die EU-Kommission soll im Rahmen ihrer „Farm to Fork“-Strategie (F2F) demnächst einen Vorschlag für ein EU-weit harmonisiertes Lebensmittelkennzeichnungssystem vorlegen, das die Ernährungsaspekte einzelner Lebensmitteln berücksichtigt und hervorhebt.
Während die Lebensmittelsicherheitsstandards in der gesamten Region weiterhin hoch sind, werden in Ländern wie Rumänien derweil mehr Investitionen in die Infrastruktur benötigt, beispielsweise eine Ausweitung der Wassernetze, um künftig besser gegen Dürren gewappnet zu sein.
Laut Igor Teslenko, Vorsitzender der europäischen Dependance des Agrarkonzerns Corteva (der den diesjährigen Index gesponsert hat), ist die zunehmende Anfälligkeit Europas für extreme Wetterbedingungen wie Dürren und Überschwemmungen tatsächlich eine der „Hauptschwachstellen“ in der Union.
Dies wird auch im Bericht hervorgehoben: So hatte sich beispielsweise 2018 die Getreide- und Gemüseproduktion in Dänemark und Schweden aufgrund der Trockenheit halbiert. Es waren die schlechtesten Ernten seit etwa 50 Jahren.
Der Klimawandel macht die landwirtschaftliche Produktion in Europa insgesamt unbeständiger. Es drohen Probleme bei der zuverlässigen Vorhersage und Planung einer gleichbleibend sicheren Nahrungsmittelversorgung, heißt es im Bericht weiter.
Gleichzeitig wird in der Studie auch anerkannt, dass die EU die führende Weltregion beim Engagement in Klimapolitik, -Schutz und -Anpassung sei. Lobend hervorgehoben wird unter anderem, dass die nationalen Strategien zur Klimawandelanpassung Strategien für die Landwirtschaft beinhalten müssen.
Mit Instrumenten wie der Gemeinsamen Agrarpolitik böten die EU-Mitglieder gute „Beispiele für eine länderübergreifende Zusammenarbeit“.
Robuste Lieferketten
Ein weiterer Lichtblick sei der Bereich Lebensmittelverluste, wo der Alte Kontinent im dritten Jahr in Folge als weltweit führend angesehen wird.
Irland ist demnach Spitzenreiter im erfolgreichen Umgang mit Lebensmittelverlusten – dank gemeinsamer Anstrengungen der Regierung und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Bulgarien und Griechenland bilden diesbezüglich zwei Ausnahmen in der EU: Ihre „Performance“ bei Lebensmittelverlusten liegt unter dem weltweiten Durchschnitt.
Im Bericht wird außerdem auf die COVID-19-Pandemie eingegangen: Diese habe in vielen Teilen der Welt – auch in Europa – zu „Stresssituationen“ geführt.
Insgesamt hätten sich die bestehenden Systeme und Lebensmittelketten in den EU-Ländern aber als robust erwiesen. So habe es in der Union vor allem Probleme seitens der Verbraucher gegeben, einschließlich der Panik- und Hamsterkäufe von Grundnahrungsmitteln zu Beginn der Pandemie vor einem Jahr.
Die Nahrungsmittelsysteme des Blocks hätten es dennoch größtenteils vermocht, die plötzlich gestiegene Nachfrage schnell zu bewältigen; auch in den wirtschaftlich schwächeren östlichen Ländern. Preisspitzen bei Lebensmitteln seien lediglich in Ungarn, Portugal und Belgien beobachtet worden, wo diese vor allem auf Unterbrechungen der Lieferkette in Kombination mit der erhöhten Nachfrage zurückzuführen seien.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]