Die Pandemie hat die Frage der „Souveränität“ wieder ins Zentrum politischer Debatten gerückt. Während viel Einigkeit besteht, dass eine „souveräne Landwirtschaft“ unverzichtbar ist, sind die Mittel, um dies zu erreichen, umstritten.
Am 12. März überraschte Präsident Emmanuel Macron in einer Rede mit der deutlichen Feststellung: „Es ist Wahnsinn, unsere Nahrung, unseren Schutz, unsere Fähigkeit zur Pflege, unser Lebensumfeld an andere zu delegieren.“ Und weiter: „Wir müssen die Kontrolle zurückgewinnen, noch mehr als bisher ein souveränes Frankreich aufbauen, ebenso wie ein souveränes Europa.“
Angesichts der Covid-19-Pandemie ist der Begriff der „Souveränität“ im politischen Diskurs wieder häufiger zu hören – und zwar nicht mehr ausschließlich von nationalistischen Populisten. Die Bilder von Nudeln-, Mehl- und Konservendosen-hamsternden Bürgerinnen und Bürgern in den Supermärkten im Frühjahr sind den meisten noch vor Augen.
Zur „Stärkung der Ernährungssouveränität“ hat die französische Regierung im Rahmen ihres Konjunkturprogramms dem Agrar- und Ernährungssektor nun insgesamt 1,2 Milliarden Euro eingeräumt. Ziel ist „mehr Ernährungssouveränität“ in Frankreich wie auch in Europa.
„Was die Landwirtschaft betrifft, so ist der richtige Maßstab ganz klar europäisch,“ betonte auch Marie-Cécile Damave, Leiterin des Bereichs Innovation beim Think-Tank Agridées, während einer kürzlich von EURACTIV Frankreich ausgerichteten Konferenz. Sie erklärte weiter: „Ernährungssicherheit war das Hauptziel beim Aufbau der Gemeinsamen Agrarpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, und sie bleibt auch heute ein wichtiges Ziel.“
Tatsächlich hat die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) die Landwirtschaft, wie sie heute in Europa praktiziert wird, tiefgreifend geprägt. Primäres Ziel nach dem Zweiten Weltkrieg war es, ausreichende Erträge für die Ernährung aller Europäerinnen und Europäer zu sichern. Dies führte zu Mechanisierung, Ausdehnung der Landflächen, Aufgabe gewisser Feldfrüchte und Spezialisierung auf andere. Bauernhöfe wurden zu (Groß-) Betrieben und die Landwirtschaft zunehmend internationaler.
Heute ist die Spezialisierung global: Während die USA auf pflanzliche Proteine wie Soja setzen, hat sich Europa eher auf Getreidekulturen spezialisiert. Da jedoch neue, wettbewerbsfähigere ausländische Anbieter auf den Markt drängen, haben französische Landwirte mitunter Schwierigkeiten, sich zu behaupten.
Saatgut-Konzern: „Keine Angst haben“
Wie kann in einer Ära des globalisierten Handels die Souveränität der Ernährung und der Landwirtschaft gewährleistet werden? Während die einen auf die Entwicklung neuer Landwirtschaftsbereiche in Europa setzen – wie im Falle Frankreichs, das am 1. Dezember eine Strategie zur Entwicklung von pflanzlichen Eiweißpflanzen gestartet hat – konzentrieren sich andere auf Technologie und/oder Agrarchemie.
Eine Innovation hat in den vergangenen Monaten dabei besonders von sich reden gemacht: die Genom-Veränderungstechnik Crispr-Cas9, für die zwei Forschende 2020 den Nobelpreis für Chemie erhielten. Die Technik ähnelt einer präzisen Genschere, die es ermöglicht, DNA aus Organismen „herauszuschneiden“, ohne jedoch fremde Gene einzubringen – im Gegensatz zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO).
Für Jean-Philippe Legendre, Vorsitzender des Saatgutherstellers Corteva, bedeutet diese Innovation „einen echten Bruch mit dem, was bisher existiert“. Crispr eröffne „neue Möglichkeiten in Bezug auf Saatgut- und Pflanzenkonservierung, Dürreresistenz und Krankheitsbekämpfung“, sagte er und mahnte: „Wir dürfen keine Angst davor haben. Die Gegebenheiten sind komplex, zwischen Demografie, also mehr Menschen auf der Welt, weniger verfügbarem Land, Klimawandel… Wir werden die Unterstützung aller verfügbaren Lösungen brauchen“.
Während der Corteva-Chef also beruhigend auftreten will, sind die europäischen Behörden weit weniger überzeugt.
So gab der EU-Gerichtshof im Jahr 2019 neun französischen Umweltverbänden Recht: Das Gericht entschied, dass Organismen, die durch Mutagenese-Techniken gewonnen werden – zu denen auch Crispr-Cas9 zählt – tatsächlich „neue GVO“ seien und daher unter die Richtlinie 2001/18/EG fallen, laut der GVO strengen Zulassungs- und Überwachungsregeln unterliegen.
Einige Monate später erließ auch der französische Conseil d’Etat ein entsprechendes Urteil – sehr zum Leidwesen der Industrie, die eine erneute Überprüfung der Gesetzgebung zur Mutagenese fordert.
Politischer Wille
Dass sich derartige Innovationen in den kommenden Jahren weiterentwickeln ist für Jean-Philippe Legendre eine Gewissheit. Er erinnerte, in den vergangenen Jahren habe sich das Agri-Business das Klimathema auf die Fahnen geschrieben.
Ob das Ziel dahinter der Kampf gegen die globale Erwärmung oder doch eher die Aussicht auf neue Umsatzquellen sind, sei dahingestellt. Die Frage ist: Wird der Verkauf innovativer Pflanzenschutzmittel, neuer synthetischer Betriebsmittel und neuer Geräte für die „Präzisionslandwirtschaft“ wirklich den Weg für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft ebnen?
Der Parlamentsabgeordnete der Region Meurthe-et-Moselle Dominique Potier war während des Symposiums wenig überzeugt von diesen Neuerungen. „Die wahre Revolution, die die Menschheit retten kann, ist nicht so sehr die Technologie, sondern vielmehr unsere Fähigkeit, Märkte aufzuteilen und zu regulieren“, so der ehemalige Landwirt.
Ihm zufolge kann die Herausforderung, im Jahr 2050 rund zehn Milliarden Menschen zu ernähren, nur gemeistert werden, wenn es einen „klaren politischen Willen“ gibt, der die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt nicht länger gegeneinander ausspielt.
[Bearbeitet von Tim Steins]