Jeder in den 28 EU-Mitgliedsstaaten – vom Baby bis zum Senior – steckt jährlich 110 Euro in die Landwirtschaftspolitik der EU. Doch wenn knapp 40 Prozent des EU-Haushaltes in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) fließen, wie kommt es, dass Bauernhöfe reihenweise aufgeben, Großinvestoren Landraub betreiben, Pestizide wie Glyphosat und Antibiotikamissbrauch unsere Gesundheit und die Umwelt belasten? Genau das ist die Ausgangsfrage der aktuellen Studie „Fundamente statt Säulen: Vorschläge zur Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik“, die die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch im Auftrag von Martin Häusling, Agrarpolischer Sprecher für die Grünen/EFA, heute veröffentlicht hat.
Kritik mit Lösungen
Im Kursbuch Agrarwende 2050 verweist Greenpeace darauf, dass eine Ausrichtung auf maximale Erträge bei niedrigsten Erzeugungskosten die Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten in eine anhaltende ökologische und zunehmend auch ökonomische Krise schlittern ließ.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
„Eine klare Mehrheit von 65 Prozent der EU-Bürgerinnen und Bürger will neue Prioritäten für die EU-Agrarpolitik. Klima- und Tierschutz sollen nach dem Willen der Steuerzahler Vorrang bei der Vergabe der aktuell 58 Milliarden Euro an jährlichen EU-Agrarsubventionen aus Brüssel erhalten“, so Häusling.
In Deutschland stehen im Zeitraum 2014 bis 2020 aus dem EU-Budget jährlich rund 6,3 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung. Die gehen als Direktzahlungen an die Landwirte und als gezielte Förderprogramme für eine nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung sowie die ländliche Entwicklung. So sehen es die Richtlinien der EU-Agrarreform vor. Doch Berichte über Schadstoffbelastung von Lebensmitteln, Nitrat-verseuchten Böden, Tierquälerei in der Massentierhaltung oder über die Hoffnungslosigkeit europäischer Landwirte rütteln schon lange an dem Vertrauen europäischer Verbraucher in die Wirksamkeit der Agrarpolitik.
„Die EU-Kommission hat in ihren bisherigen Vorschlägen für Agrarreformen diese Sorgen von Bauern und Bevölkerung nicht ausreichend zu Leitfragen ihres Handelns gemacht“, kritisiert Häuslings Studie. Wie in anderen Politikbereichen auf EU-Ebene brauche es deshalb auch für die Agrarpolitik einen sogenannten „Fitness-Check“. Der könnte Widersprüche in den EU-Regeln zur Agrarpolitik aufdecken, die das Vertrauen der Bürger und Verbraucher erschüttern und dem Tier- und EU-Wasserschutz schaden.
„Die EU-Agrarpolitik gehört auf den Prüfstand. Denn gerade in Zeiten des wachsenden Euroskeptizismus, in denen viele Regierungen und Politikbereiche vor tiefen Haushaltseinschnitten stehen, sind Steuergelder der gesellschaftlichen Legitimität besonders verpflichtet. Wir brauchen eine fruchtbare, offene und ehrliche GAP-Debatte mit allen Interessenvertretern. Diese sollte auf fünf Punkten basieren, die so oft beim Fitness-Check angepriesen werden: Wirksamkeit, Effizienz, Kohärenz mit anderen EU-Gesetzen, Relevanz und Mehrwert gegenüber nationalstaatlichen Maßnahmen“, kommentiert Trees Robjins, Birdlife Europe, Belgien, die Studie.
Nachhaltige Agrarpolitik – ein weites Feld
Einfach zu durchschauen sind die Mechanismen nicht, die hinter landwirtschaftlicher Produktion und Lieferung liegen, bevor Fleisch oder Tofu auf unseren Tellern liegt. Zu komplex und global sind die Strukturen der Agrar- und Ernährungsindustrie, zu stark die Interessen einzelner Player, als das es einfache politische Lösungen, vor allem auf europäischer Ebene gibt. Und so muss sich auch Häuslings Studie mit einer Reihe von Ansätzen beschäftigen, die für einen Richtungswechsel der europäischen Agrarpolitik in Richtung Nachhaltigkeit und Verbraucheransprüche stehen. Exportpolitik, Biodiversität oder Bodenschutz sind einige davon.
Großempfänger von Direktzahlungen 2015: Bayer CropScience – 28.885 Euro, BASF – 112.845 Euro, Südzucker – 1.730.102 Euro
Die Ernährungssicherung der Europäer sollte auf der Kreislaufwirtschaft von Nährstoffen in regionalen, naturräumlichen Zusammenhängen basieren, schlagen die Autoren der Studie vor. Aber die Ernährungs- und Agrarindustrie Europas sei hingegen auf Wachstum, Kostenreduktion und globale Arbeitsteilung ausgerichtet. Um hier eine wirkliche Reform im Sinne des Umwelt-, Klima-, Gewässer- und Tierschutzes voran zu bringen, müssten diese und strukturelle Investitionen in die ländliche Wertschöpfung in Artikel 39 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) aufgenommen werden.
„Wir müssen weg vom Säulenmodell hin zu einer Leistungshonorierung, die sich den Ökologischen Landbau zum Leitbild nimmt und ihn als Premiumstandard für öffentliche Gelder definiert“, so Häusling.