This article is part of our special report EU-Landwirte unter Druck.
Der Direktverkauf von Agrarprodukten an Verbraucher auf den regionalen Märkten kann zu faireren Einkommen in der Landwirtschaft und zur Entwicklung ländlicher Regionen führen.
Das zeigt die Entwicklung der letzten Jahre. Laut einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments haben im Jahr 2015 rund 15% der europäischen Bauern ihre Produkte über kurze Lieferketten direkt oder zumindest mit weniger Zwischenhändlern an die Verbraucher verkauft.
Kurze Lieferketten für Nahrungsmittel sind zum ersten Mal auch Bestandteil der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für die Jahre 2014-2020. Auch Nahrungsmittelproduzenten können nun von verschiedenen Maßnahmen profitieren, die durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) kofinanziert werden.
Denn gerade kleine Erzeuger haben oftmals eine schwierige Verhandlungsposition gegenüber starken Partnern wie Nahrungsmittelverarbeitern, Groß- und Einzelhändlern. In einigen Fällen sind diese „Big Player“ der einzige Marktzugang für Kleinbauern und Ursache für unfaire Handelsbedingungen.
Das Europäische Parlament hat in einer Resolution vom Juni 2016 auf diese Situation hingewiesen und die Kommission zum Handeln aufgerufen.
Doch nicht nur die Politiker, auch die Verbraucher stehen auf der Seite der Kleinbauern. Laut einer Eurobarometer-Umfrage von 2016 glauben vier von fünf EU-Bürgern, dass eine Stärkung der Rolle der Bauern innerhalb der Versorgungskette von Nahrungsmitteln entweder „etwas wichtig“ oder „sehr wichtig“ sei.
Vorteile und Schwächen
Die Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments verweist darauf, dass durch den Wegfall von Zwischenhändlern ein größerer Teil des Ertrages für die Erzeuger übrigbleibt. Das führt nicht nur zu höherem Vertrauen zwischen Erzeugern und Konsumenten, sondern es entstehen dadurch auch neue Möglichkeiten, Jobs zu schaffen. Besonders in benachteiligten Regionen ist das ein wichtiger Faktor.
Mehr noch – durch den Direktverkauf auf regionalen Märkten verbessert sich der Zugang zu frischen, saisonalen Produkten für den Verbraucher und dank der geringeren Produktion und kürzerer Transportwege von lokalen Nahrungsmitteln wird die Umwelt weniger belastet.
Allerdings ist die Menge der Produkte kurzer Lieferketten oft begrenzt. Eine Ursache ist der Mangel an ausreichend lokaler Erzeuger, um die zunehmende Nachfrage zu befriedigen.
Zudem haben Produzenten, die mit kurzen Lieferketten arbeiten, nur begrenzte Möglichkeiten, ihr Geschäft zu erweitern. Weniger Ressourcen für Produktion, Verarbeitung und Transport als sie Großerzeugern zur Verfügung stehen und weniger Mittel für Marketing und Werbung sind einige Gründe dafür.
Eine Frage der Qualität
Dass kurze Lieferketten für gerade für Kleinbauern profitabler sind und die Endpreise für die Verbraucher kaum oder gar nicht beeinflussen, bestätigte Paolo de Castro, Mitglied der italienischen Partito Democratico und MEP (S&D-Fraktion) gegenüber EURACTIV.
Dennoch geht es in erster Linie nicht um die Preise, sondern um die Qualität im Sinne einer engeren Interaktion zwischen Bauern und Verbrauchern, so der Abgeordnete.
„Qualität heißt hier auch Gesundheit der Verbraucher und vor allem Ernährungserziehung: durch diese Form des Verkaufs bekommen Verbraucher ein viel besseres Verständnis von Saisonalität der Produkte”, so der sozialdemokratische MEP. Man solle sich auch von dem Bild verabschieden, wonach kurze Lieferketten mit Kleinbauern verbunden werden und den Großbetrieben direkt gegenüberstehen.
„Heutzutage gibt es da weniger Unterschiede […], kleine Betriebe können genauso produktiv sein wie große – wenn sie gut organisiert sind“, meint de Castro und verweist auf europäische Online-Plattformen, über die sich Bauern und Verbraucher vernetzen können.
„Intelligente, kurze Lieferketten und Unterstützung durch digitale Technologien können eine wichtige Ressource für Bauern sein. Ein Beispiel: ein italienischer Bauer hat in Brüssel ein Restaurant eröffnet, in dem Sie Produkte von seinem Hof serviert bekommen. Sie essen zwar nicht direkt auf dem Hof, aber es ist dennoch eine kurze Versorgungskette,“ so de Castro.
Alle nicht neu
Genevieve Savigny, Politikberaterin des europäischen Koordinations-Kommittees „Via Campesina“, stellt heraus, dass kurze Lieferketten für Nahrungsmittel keine neue Erfindung sind.
Früher wurden so Produktions-Überschüsse der Höfe verkauft. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich neue Formen entwickelt, wie das Konzept der solidarischen Landwirtschaft mit Hofläden und kurzen Versorgungswegen zwischen Bauern und öffentlichen Kantinen.
Savigny stammt aus der Provence, wo 30% der Landwirtschaftsbetriebe zumindest einen Teil ihrer Produkte verkaufen. Dennoch ist die Region autark in der Lebensmittelversorgung. „Wir haben alles; Honig, Ziegenkäse, Brot, Obst, Marmelade, Eingemachtes […] Ich persönlich verkaufe zum Beispiel 3.000 Hühner jährlich auf dem lokalen Markt,“ erzählt Savigny.
Für die französische Landwirtin ist dies eine Win-win-Situation: die Verbraucher bekommen gute, frische Produkte zu einem fairen Preis-Leistungs-Verhältnis, und die Erzeuger erzielen einen viel besseren Preis, als wenn sie an Einzelhändler verkaufen würden.
„Es geht darum, im direkten Kontakt mit den Konsumenten zu sein, eine echte Marktwirtschaft zu haben, und dass die Verbraucher Qualität nachfragen, sprich: Bio-Landwirtschaft, Frische und Geschmack,“ fügt sie hinzu.
Es fehlt an einer globalen Lösung
Auch Pekka Pesonen, Generalsekretär von Copa-Cogeca, dem Verband der europäischen Bauern und Agrargenossenschaften, hält kurze Versorgungswege für ein gutes Konzept.
„In manchen Fällen kann dieses Konzept zu einem besseren Leben führen und eine gewisse Sicherheit für Bauern bieten,” sagt er. Zudem könnten lokale Produkte an die Nachfrage der lokalen Konsumenten angepasst werden.
Allerdings sei das Konzept keine „globale Lösung“.
„Das Nahrungsmittel-Versorgungssystem der EU ist komplex und deshalb sollten wir auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen, um unfaire Bedingungen zu bekämpfen – zum Beispiel eine Verkürzung der Zahlungsfristen.“
*Unter Mitarbeit von Hannah Black.