Die Debatte über die explizite Aufnahme von Arbeiterrechten in die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat eine neue Wendung genommen: In einem Brief sprechen sich mehr als 300 Organisationen für eine „sozialpolitische Konditionalität“ aus. Die Nationalstaaten sind dagegen.
In dem am heutigen Mittwoch veröffentlichten Brief wird argumentiert, die Direktzahlungen müssten an die Einhaltung der geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen aus den einschlägigen Tarifverträgen geknüpft werden. Dies umfasse sowohl nationales und EU-Recht als auch die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Während die GAP-Subventionen inzwischen an die Einhaltung grundlegender Standards im Umweltschutz, der öffentlichen Gesundheit und im Tierschutz geknüpft werden, spielt die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten bei der Vergabe von Direktzahlungen derzeit tatsächlich keine Rolle – und das, obwohl die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft zu den „schwierigsten und prekärsten“ der EU-Wirtschaft gehören, so die Unterzeichnenden.
Darüber hinaus verweisen sie auf das hohe Niveau von Arbeitsrechtsverletzungen und Ausbeutung in der europäischen Landwirtschaft.
Mindestens zehn Millionen Menschen sind in der EU-Landwirtschaft beschäftigt, hauptsächlich als Saisonarbeitende, Tagelöhner oder in anderen höchst unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Insgesamt gehen 61,2 Prozent der Arbeitenden im Landwirtschaftssektor einer informellen oder inoffiziellen Arbeit nach.
Die wichtige Bedeutung derartiger Arbeiterinnen und Arbeiter wurde durch die COVID-19-Pandemie einmal mehr unterstrichen. EU-Institutionen und nationale Regierungen sahen sich dazu veranlasst, sie als essenziell wichtig und unverzichtbar zu definieren. Trotz dieser „Anerkennung“ bleibt die Praxis-Erfahrung vieler Menschen auf den Feldern eine des „Kampfes, der Entbehrung und der Verletzung von Menschenrechten“, kritisieren die Unterzeichnenden.
„Unmenschliche Arbeitsbedingungen, schlechte Löhne, lange Arbeitszeiten, ein hoher Anteil an Schwarzarbeit und unzureichende Unterbringung sind nur einige der täglichen Strapazen, mit denen die Landarbeiterinnen und Landarbeiter in Europa konfrontiert sind,“ heißt es in dem Brief. Nicht selten würden die Arbeitsverhältnisse Formen „moderner Sklaverei“ annehmen.
Kristjan Bragason, Generalsekretär der Europäischen Föderation der Lebensmittel-, Landwirtschafts- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT), betonte diesbezüglich, es sei „nicht hinnehmbar, dass die Achtung der Menschen- und Arbeitsrechte bei der Zuteilung der GAP-Direktzahlungen absolut keine Rolle spielt – insbesondere da die GAP ein Drittel der gesamten EU-Haushaltsmittel erhält.“
„Arbeitnehmerrechte sind keine lästige Bürokratie; ohne die Einhaltung von Arbeitsstandards wird die GAP niemals wirklich nachhaltig sein,“ fügte Bragason hinzu.
Die lauter werdenden Forderungen nach der Aufnahme von „sozialpolitischer Konditionalität“ in die GAP-Reform erweist sich derweil als ein heißes Eisen in den laufenden GAP-Verhandlungen zwischen den EU-Staaten und dem Europäischen Parlament.
Das Parlament hat sich entschieden für die Aufnahme einer sozialen Konditionalität ausgesprochen und im Oktober eine Reihe von Änderungsanträgen zur Neugestaltung der GAP verabschiedet. Diese Änderungen beinhalteten eindeutige Verweise auf eine derartige Konditionalität: Es sollen diverse Bereiche abgedeckt werden, wie beispielsweise Arbeitszeiten, Gesundheit und Sicherheit sowie Unterkunftsstandards für alle in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter – einschließlich kurzfristig beschäftigter Personen und Aushilfen.
Gänzlich anders ist die Haltung der Nationalstaaten im EU-Rat: Nach einer Sitzung des Sonderausschusses für Landwirtschaft am vergangenen Montag (8. Februar) erklärte eine EU-Quelle gegenüber EURACTIV.com, dass nahezu alle Mitgliedsstaaten „Probleme“ mit der Aufnahme sozialer Konditionalität in die GAP-Reform hatten.
Zu den Haupteinwänden gehöre die Tatsache, dass dies nicht im ursprünglichen GAP-Reformvorschlag der Kommission enthalten war. Außerdem falle der Arbeitsschutz nicht in den Aufgabenbereich der EU-Landwirtschaftspolitik, die darüber hinaus bereits einer Umweltkonditionalität unterworfen sei.
Zu den schärfsten Gegnern der Einbeziehung sozialer Auflagen gehörten demnach Ungarn, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik und Litauen.
Bisher gibt es drei vorgelegte Optionen für die Aufnahme einer sozialpolitischen Konditionalität in die GAP-Reform. Dazu gehören: die Konditionalität (inklusive Sanktionen) von einzelnen Gerichtsurteilen abhängig zu machen; ein entsprechendes Kapitel über soziale Konditionalität in die nationalen Strategiepläne aufzunehmen; oder eine spezielle Bestimmung über „Umsetzungsbedingungen“ zu entwickeln, die die Kommission vor der Genehmigung der nationalen Strategiepläne prüfen würde.
Keine der Optionen, die derzeit diskutiert werden, scheint jedoch eine klare Mehrheit unter den EU-Landwirtschaftsministern zu haben.
Auch der EU-Bauernverband COPA-COGECA monierte kürzlich, die Vorschläge zur Aufnahme von Arbeitnehmerrechten in die GAP könnten zumindest „problematisch“ sein. Paulo Gouveia, leitender Berater bei COPA-COGECA, zeigte sich „sehr besorgt, dass der derzeitige Prozess der GAP-Reform die Bürokratie und den Verwaltungsaufwand für Landwirte weiter erhöhen wird“. Er betonte ausdrücklich, dass die Landwirtschaftspolitik nicht per Konditionalität „mit Arbeitnehmerrechten und/oder Löhnen/Gehältern verknüpft werden sollte“.
Gouveia behauptete: „Arbeitsrechte sind bereits auf nationaler Ebene durch gesetzliche Vorschriften oder Tarifverhandlungen festgelegt. Es gibt also keinen Grund, den Arbeitgebern auf EU-Ebene zusätzliche Lasten aufzuerlegen.“
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]