Die EU-Kommission rügt Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser. Jetzt müssen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium schnell Vorschläge auf den Tisch legen, sonst drohen hohe Strafzahlungen. Doch das ist nicht die einzige Warnung aus Brüssel.
Es ist eine neue Runde im Nitrat-Streit zwischen der EU-Kommission und Deutschland: In einem Mahnschreiben forderte die Behörde in Brüssel das Umweltministerium (BMU) gestern auf, sich stärker um die Verringerung von Nitrat im Grundwasser zu bemühen und damit einem Urteil des EuGH vom Juni 2018 nachzukommen. Sollte die Bundesregierung nicht innerhalb von acht Wochen entsprechende Maßnahmen vorschlagen, droht die nächste Stufe des Strafverletzungsverfahrens. Im Falle einer erneuten Verurteilung durch den EuGH drohen Deutschland Strafzahlungen von 850.000 Euro pro Tag.
Die Debatte um zu hohe Nitratwerte im deutschen Grundwasser läuft bereits seit 2013, als die Kommission ihr erstes Aufforderungsschreiben an Berlin verschickte. Die EU-Mitgliedsstaaten unterliegen einer Nitrat-Richtlinie, welche jedes Land in nationales Recht umsetzen muss.
Eng daran gebunden ist eine Überarbeitung der deutschen Düngeverordnung im Juni 2017. In seinem Urteil von vergangenem Jahr befand der EuGH diese, zusammen mit der Grundverordnung von 2006, als unzureichend. Bis Mai 2020 muss eine neue Verordnung auf dem Tisch liegen, doch die Verhandlungen zwischen den Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft, den Bundesländern, der EU-Kommission und der deutschen Bauernlobby sind zäh.
Im Juni hatten sich die beiden betroffenen Ministerien auf einige Vorschläge zur Anpassung der Düngeverordnung geeinigt und diese nach Brüssel geschickt. „Die Kommission war offensichtlich der Auffassung, dass wir nicht schnell genug sind“, so der Staatssekretär des BMU, Jochen Flasbarth. Nun arbeite man an einer Antwort für Brüssel. Klares Ziel sei es nun, das EuGH-Urteil „so schnell wie möglich und vollständig umzusetzen und eine mögliche Verurteilung zu vermeiden“, heißt es aus dem BMU.
28 Prozent der Messstellen über dem Höchstwert
Empörung auch auf Seiten des Deutschen Bauernverbandes. Der Schritt der Kommission sei „unverhältnismäßig und unangemessen“. Außerdem sei die Kleinteiligkeit der Forderungen unverständlich, wo die EU den Mitgliedsstaaten doch mehr regionalen Freiraum bei der Umsetzung in Landwirtschaft und Gewässerschutz versprochen hatte.
„Die Kommission schreibt mit einem übertriebenen Detaillierungsdrang an der Düngeverordnung herum“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, dazu im März zu EURACTIV. „Das verrückte ist, dass die Kommission die ganze Zeit über den Prozess informiert war. Sie kannte alle Entwürfe zur Düngerverordnung. Dennoch wurde gewartet, bis die Verordnung verabschiedet worden ist, um das alte Vertragsverletzungsverfahren zu verschärfen. Das erweckt den Eindruck, als hätte man das bewusst an die Wand fahren lassen.“
Das Problem der Nitratbelastung in Deutschland geht vor allem auf die Massentierhaltung zurück, bei der große Mengen Gülle entstehen. Der darin enthaltene Stickstoff kann nur begrenzt vom Boden aufgenommen werden, der Rest sickert ins Grundwasser. Seit Jahren sind die Nitratwerte im Wasser zu hoch. Laut des letzten Berichts des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2016 überschreiten 28 Prozent der Messstellen den zulässigen Höchstwert. In den vergangenen Jahren hat sich das kaum geändert, da das Grundwasser teilweise Jahrzehnte braucht, um sich zu regenerieren.
Die Landwirte seien durchaus bemüht, den strengen Güllevorgaben nachzukommen, doch eine Menge des überschüssigen Nitrats im Grundwasser stamme noch aus früheren Jahren, argumentiert der Bauernverband. Nitrat stellt für den erwachsenen Menschen keine große Gefahr da, allerdings fördert es das Wachstum von Algen und einiger Pflanzen, während andere aussterben, was die Biodiversität an Gewässern bedroht.
Dutzende Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Neben der Nitrat-Warnung leitete die EU-Kommission gestern zwei weitere Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Eines betrifft den Schutz von blütenreichen Wiesen, die besonders für Insekten von großer Bedeutung sind. „Lebendige Wiesen und Weiden sind für unsere Artenvielfalt so wichtig wie die Regenwälder Südamerikas. Doch Deutschland hat es jahrzehntelang zugelassen, dass wertvolle Wiesen verschwanden und heute nur noch Graswüsten sind“, kommentierte dazu der Bundesgeschäftsführer des NABU, Leif Miller.
Darüber hinaus schickte die Kommission eine Stellungnahme nach Berlin, in der sie der Regierung unzureichende Inspektionen bei Tierversuchen für wissenschaftliche Zwecke vorwarf. Schon vor einem Jahr hatte es einen Rüffel gegeben, Deutschland erfülle nicht die Vorgaben der EU-Richtlinie von 2010.
Die EU-Kommission überwacht die Einhaltung geltenden EU-Rechts in den Mitgliedsstaaten und leitet bei Verstößen regelmäßig Strafverfahren ein. Dazu verschickt sie zuerst ein Aufforderungsschreiben, auf das es innerhalb von zwei Monaten zu antworten gilt. Die nächste Stufe stellt eine Stellungnahme Brüssels dar, auf deren Basis ein Verfahren beim EuGH eingeleitet werden kann. Derzeit laufen 78 aktive Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland.