Der Start der neuen EU-Lebensmittelpolitik „Vom Hof auf den Tisch“ wird sich um mindestens einen Monat verzögern. Das Arbeitsprogramm der Kommission verschiebt sich aufgrund des Coronavirus-Ausbruchs stark.
In ihren wöchentlichen „voraussichtlichen Tagesordnungspunkten“ für die bevorstehenden Kommissionssitzungen am Mittwoch hat die Kommission die Vorstellung ihrer Strategien für Lebensmittel (Vom Hof auf den Tisch bzw. Farm to Fork, F2F) und biologische Vielfalt auf den 29. April verschoben. Beide Initiativen sind Teil des Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Somit sollen die neuen Vorschläge fast einen Monat später als ursprünglich geplant vorgelegt werden. Der nun genannte Termin ist ebenfalls noch nicht fest bestätigt und kann sich je nach Situation erneut ändern. Eine Kommissionssprecherin erklärte gegenüber EURACTIV.com lediglich, die Arbeiten an der F2F- und der Biodiversitätsstrategie seien weiterhin im Gange; beide würden „in den kommenden Wochen“ vorgestellt werden.
Der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses (AGRI) des Europäischen Parlaments, der deutsche Christdemokrat Norbert Lins, begrüßte die Entscheidung, die F2F-Strategie zu verschieben. Er schrieb auf Twitter, dass alle beteiligten Akteure es verdienen, gehört zu werden, „besonders in Zeiten wie diesen, in denen die Sicherheit der Lebensmittelversorgung sehr wichtig ist“.
Die Frist für die Konsultationen der Interessenvertreter wurde daher bis zum heutigen 20. März um Mitternacht verlängert.
EURACTIV.com hat einen Blick auf die bisher eingereichten Beiträge geworfen.
Die Sicht der Landwirte
Die Landwirtschafts- und Agrargenossenschaftsorganisation COPA-COGECA forderte eine Stärkung der Position der Landwirte in der Nahrungsmittelkette. Die Gruppe betonte, die Zusammenarbeit zwischen den Landwirten, die sich für die Förderung von Nachhaltigkeit einsetzen, müsse unterstützt werden. Ebenso sollten Wege gefunden werden, um den durch nachhaltige Produkte und Maßnahmen geschaffenen Mehrwert fair mit den Erzeugern zu teilen.
Der Conseil Européen des Jeunes Agriculteurs (CEJA), der junge Landwirte vertritt, forderte darüber hinaus „ehrgeizige Strategien für den Generationenwechsel“, um die demografischen Herausforderungen im Landwirtschaftssektor zu bewältigen. Außerdem brauche es mehr Verhandlungsmacht für die Bäuerinnen und Bauern gegenüber den Händlern.
CEJA sagt auch, die F2F-Strategie biete eine Gelegenheit, „die Nachhaltigkeit unserer Lebensmittelsysteme zu stärken und die Landwirte näher an die Verbraucher heranzuführen“. Der Erfolg der Strategie hänge jedoch davon ab, dass die Hauptakteure – nämlich die europäischen Landwirte – „gewürdigt und mit den entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven ausgestattet werden“.
European Coordination Via Campesina, eine Basisorganisation, die kleine und mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe vertritt, warnte davor, dass die weitere Entwicklung der Digitalisierung zwar nützliche Instrumente bieten könne, gleichzeitig sei es aber auch notwendig, die erhöhten Kosten und die großen Mengen an Energie sowie an nicht erneuerbaren Metallen, die für neue Geräte benötigt werden, sowie die negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung hervorzuheben.
Die Gruppe forderte die Kommission auf, ihre Ambitionen in einem „politikübergreifenden“ Ansatz zu bündeln und auf die „bisher vernachlässigten Stimmen der Kleinbauern sowie der kleinen und mittelständischen Landwirtschaftsbetriebe“ zu hören.
Bio-Anbau
Der Bio-Verband IFOAM forderte seinerseits, die F2F-Strategie müsse auch quantitative Ziele zur Erhöhung der Bio-Anbaufläche und des Verbrauchs von Bioprodukten in Europa sowie zur Verringerung des Einsatzes von Pestiziden und Antibiotika enthalten.
COPA-COGECA bekräftigte ebenfalls, man spreche sich „nachdrücklich“ für die Weiterentwicklung des Bio-Sektors aus, wenn dies von der Verbrauchernachfrage angetrieben werde. Nur so könne das wirtschaftliche Überleben von Biobauern gesichert werden.
Der Europäische Pflanzenschutzverband (ECPA), der die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln vertritt, betonte hingegen, mit einer Zunahme des ökologischen Landbaus müssten auch „ökologische Wechselwirkungen“ in Betracht gezogen werden.
Die Organisation erinnerte, dass gewisse Produkte, die üblicherweise im ökologischen Landbau verwendet werden, in viel größeren Mengen ausgebracht werden als chemische Alternativen. Darüber hinaus werde mehr landwirtschaftliche Fläche benötigt, um das gleiche Produktivitätsniveau zu erhalten.
ECPA fordert daher die Schaffung eines spezifischen Indikators für den Einsatz von Pestiziden im ökologischen Landbau.
Weniger Pestizide…
Greenpeace Belgien hat derweil gefordert, „verbindliche Ziele zu setzen, um die Menge an synthetischen Pestiziden bis 2025 um 50 Prozent und bis 2030 um 80 Prozent zu reduzieren“. Das Endziel solle ein vollständiger Ausstieg bis 2035 sein.
COPA-COGECA äußerte jedoch Besorgnis über derartig ambitionierte Reduktionsziele und teilte mit, dies könne erhebliche wirtschaftliche, soziale und auch ökologische Auswirkungen haben. Es sei daher „zwingend notwendig, dass die Kommission Folgenabschätzungen durchführt, bevor sie politische oder regulatorische Entscheidungen über die Festlegung von Zielen wie die Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden sowie des Einsatzes von Düngemitteln und Antibiotika trifft.“
Die Pflanzenschutzmittellobby ECPA erklärte lediglich, man erkenne die gesellschaftlichen Bedenken im Zusammenhang mit Pestiziden sowie die Absicht der Kommission an, sowohl das Risiko als auch den Einsatz von derartigen Schutzmitteln zu reduzieren. Dies werde aber schwierig umzusetzen sein.
…und die Alternativen
In dieser Hinsicht scheinen sich alle Interessenvertreter einig zu sein, dass es Alternativen zu Pestiziden und Herbiziden geben muss.
COPA-COGECA erklärte dazu, es müsse geklärt werden, wie Europa den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln deutlich reduzieren will, wenn „in der Green-Deal-Mitteilung keine Liste glaubwürdiger und realistischer Alternativen erwähnt wird“.
ECPA teilte diese Bedenken und fügte hinzu, dass die Landwirte in einem sich verändernden Klima, das neue Bedrohungen durch Mykotoxine und invasive Arten mit sich bringen wird, mehr innovative Instrumente benötigen werden. Dies habe auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prognostiziert.
Außerdem befürworte man die Schaffung eines Indikators, der die „Folgen misst, denen die Landwirte ausgesetzt sein werden“, wenn keine alternativen Lösungen rechtzeitig auf den Markt gebracht werden.
Die International Biocontrol Manufacturers Association (IBMA) wünscht sich derweil eine „spezifische Regelung“ für Bio-Pflanzenschutzmittel, die Mikroben und andere Bio-Schutzmittel mit einem Schnellverfahren erfasst.
Antibiotika für Tiere
Abschließend hielt COPA-COGECA auch fest, die zunehmende Resistenz gegen Antibiotika sei „eines der heikelsten Themen im Zusammenhang mit der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt“. Dies stelle weltweit ein ernstes Problem dar.
Animal Health Europe (AHE), das die europäische Tierarzneimittelindustrie vertritt, lehnte jedoch „die Auferlegung absoluter Reduzierungsziele“ für Antibiotika entschieden ab. Mit derartigen Quoten würde man die Tiere gefährden, die einer antibiotischen Behandlung bedürfen.
Stattdessen, so AHE, sollte zunächst der Erfolg der neuen Verordnung über Tierarzneimittel bewertet werden, die Maßnahmen vorsieht, um den Einsatzes von Antibiotika auf ein Minimum zu reduzieren. Erst dann könne über weitere gesetzliche Bestimmungen nachgedacht werden, die zu den bereits bestehenden Maßnahmen hinzukommen sollen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic]