Dieser Artikel ist Teil des special reports 2020: Die Digitalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik
Während die Europäische Kommission und die Maschinenhersteller die Digitalisierung der Landwirtschaft in den höchsten Tönen loben, weisen andere Experten auf mögliche Gefahren hin. Beispielsweise könnten für die Landwirte neue Abhängigkeiten von multinationalen Unternehmen entstehen. EURACTIV Frankreich berichtet.
„Die Kommission hat völlig Recht, wenn sie diese [digitalen] Lösungen fördert. Aber wir müssen sehr genau auf die Details dieser Vorschläge achten,“ warnt Cyrielle Denharitgh, Leiterin der Abteilung „Landwirtschaft und Ernährung“ beim Climate Action Network France. Das Netzwerk ist ein Sammlungsbündnis diverser Umwelt- und Entwicklungsorganisationen wie Oxfam und dem WWF.
„Die Digitalisierung ist ein sehr großes Konzept, in dem man sowohl Schlechtes als auch Gutes finden kann,“ so Denharitgh weiter.
Das derzeitige System der Agrar- und Ernährungswirtschaft müsse umfassend umgestaltet werden, um den heutigen Klima- und Umweltproblemen zu begegnen. Die Präzisionslandwirtschaft an sich schaffe eine solche Transformation allerdings nicht, kritisieren die Umweltschützer. Die Digitalisierung sei deswegen nicht die oberste Priorität.
Digitale Instrumente können aber auch überzeugende Ergebnisse liefern, beschwichtigt Denharitgh. Ein Beispiel sei eine Initiative der Landwirtschaftskammer der Region Nouvelle Aquitaine in Frankreich: Dank der vom Nationalen Institut für Agrarforschung (INRA) entwickelten digitalen Instrumente und der Unterstützung durch Berater sei es der Region gelungen, die Nitratbelastung von Wasser und Boden aufgrund des Düngemitteleinsatzes zu reduzieren.
Das Tool ermögliche es den Landwirten, die exakte Menge an Düngemitteln, die für die Pflanzen absolut notwendig sind, genau zu ermitteln. Da dies dank des Instruments ohne tiefergehende Analyse möglich ist und die erforderlichen Daten einfach online abrufbar sind, entstehen für die Bauern auch keinerlei Zusatzkosten, so Denharitgh.
Das Programm schaffe also „keine Schulden, sondern echte Unterstützung“, findet sie. Die „wahre Innovation“ sei dabei aber „nicht das Computerprogramm selbst, sondern die Zusammenarbeit verschiedener Akteure“.
Skepsis bleibt bestehen
Insgesamt zeigt sich Denharitgh jedoch ebenfalls skeptisch und warnt vor drei verschiedenen Risiken. Erstens seien digitale Geräte wie Drohnen, On-Board-Ausrüstung oder Chips, die an Tieren angebracht werden, mit kostspieligen Technologien ausgestattet. Somit steige das Risiko, dass sich die ohnehin unter massivem finanziellen Druck stehenden Landwirte tief verschulden, warnt sie.
Angesichts des Preises seien die digitalen Geräte zweitens in der Regel auch ein Privileg großer Unternehmen. Kleinere Betriebe dürften somit von den Vorteilen, die die Technologien zweifellos bringen können, faktisch ausgeschlossen werden. Drittens bestehe die Gefahr, dass die Landwirte aufgrund der Digitalisierung weniger Zeit auf den Feldern verbringen und somit Know-how verloren geht. Dieses Phänomen habe man bereits bei der Mechanisierung der Landwirtschaft beobachten können.
„Es ist absolut notwendig, Innovationen um der reinen Innovation willen zu vermeiden. Viel mehr sollte man sich auf zugängliche Instrumente und Beratung für Landwirte sowie auf den Austausch bewährter Verfahren unter Kollegen konzentrieren,“ betont Denharitgh.
Diese Ansicht teilt auch Marco Contiero, Direktor für EU-Agrarpolitik bei Greenpeace. Wie Denharitgh glaubt er, dass die Digitalisierung zweifellos zu mehr Effizienz in der Landwirtschaft führen, die Probleme des Sektors aber nicht im Alleingang lösen wird.
„Ganz grundsätzlich ist Effizienz gut. Aber die Aufrechterhaltung eines von Anfang an auf so vielen Ebenen falsch aufgebauten Systems ist wahrlich nicht die beste Lösung. Wenn wir öffentliche Mittel zur Unterstützung der Landwirtschaft einsetzen wollen, sollten wir ein wirklich absolut innovatives Agrarsystem unterstützen.“
Laut Contiero besteht die wesentliche Aufgabe darin, die Widerstandsfähigkeit des Agrarsektors zu verbessern, sowohl in wirtschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht. Essenziell wichtig sei dabei, die Abhängigkeit der Landwirte von einer Handvoll mächtiger multinationaler Konzerne zu reduzieren.
„Der Markt für Saatgut und chemische Produkte ist bereits bis zum Äußersten gesättigt, was sich mit neuen Fusionen von Unternehmen noch verschärfen dürfte,“ prognostiziert Contiero. Es gebe derzeit lediglich drei Konzerne, die den globalen Landwirtschaftssektor dominieren. Die Abhängigkeit der Landwirte von diesen Konzernen dürfte sich noch verschärfen, wenn letzteren erlaubt werde, via Digitalisierung auch in die Ernte und Viehzucht einzugreifen.
Frage nach den Daten
Contiero sorgt sich auch um Daten: „Wenn wir bestimmten multinationalen Konzernen das Recht geben, den Landwirten Daten zu liefern, werden sie die absolute Kontrolle haben.“
Er warnt: „Im Vergleich zu den Daten [des europäischen Satellitensystems] Kopernikus, die für Überwachungsmaßnahmen verwendet werden können und frei zugänglich sind, lassen die von der [kommerziellen] Präzisionslandwirtschaft erstellten Informationen dies nicht zu. Das sind also noch weitere Kosten, die von den Landwirten bezahlt werden müssen.“
Bislang bleiben die Vorschläge der Kommission zur Regulierung dieser Risiken sehr vage, findet auch Luc Vernet vom Think-Tank Farm Europe.
„Tatsächlich bietet uns der Vorschlag zur GAP-Reform [nach 2020] keinerlei Instrumente, um den Übergang zu einer stärker digitalisierten Landwirtschaft zu begünstigen,“ so Vernet.
In dieser Hinsicht gebe es noch reichlich Klärungsbedarf.
[Bearbeitet von Frédéric Simon]