Vergangene Woche stellten der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Heinrich-Böll-Stiftung ihren „Agrar-Atlas 2019“ vor. Gefordert wird eine Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP).
Im Vorfeld der Internationalen Grünen Woche (18. – 27. Januar) rückt die Agrarpolitik zunehmend ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Auch Kritiker der gegenwärtigen Landwirtschaftspolitik mischen sich ein. Beklagt werden etwa ein zu geringer Fokus auf Nachhaltigkeit, die Konzentration auf immer weniger, aber immer größere Betriebe, sowie mangelnder Tierschutz.
Diese und andere Kritikpunkte werden auch im Agrar-Atlas behandelt. Gefordert wird eine „EU-Agrarpolitik, die sich am Gemeinwohl und den Wünschen der Bürger orientiert. Eine repräsentative Umfrage, die mit dem Atlas veröffentlicht wurde zeige, dass 80 Prozent der Befragten die Landwirtschaft für Leistungen wie Naturschutz, Gewässerschutz oder Klimaschutz staatlich fördern wollen. 76 Prozent der Befragten empfänden das Höfesterben in Deutschland als großes Problem und möchten, dass gerade mittlere und kleine Betriebe staatlich unterstützt werden.
„Die derzeitige Agrarpolitik ist unökologisch, ungerecht und ineffektiv“, kritisierte Barbara Unmüßig, die Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung. Und weiter: „Ein Prozent der Betriebe in Deutschland bekommt etwa zwanzig Prozent der Subventionen – und das ohne größere ökologische Auflagen“. Die pauschale Mittelvergabe ist auch ein Thema bei den Debatten um eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. So sieht der Vorschlag der EU-Kommission vor, die Mittelvergabe künftig flexibler zu gestalten, damit die Mitgliedsländer regionale Bedürfnisse zielgenauer adressieren können.
Der BUND und die Böll-Stiftung weißen darauf hin, dass die EU für nichts so viel Geld ausgibt, wie für die Agrarpolitik. Rund 60 Milliarden Euro fließen Jahr für Jahr in diesen Sektor. Der Großteil allerdings in Form von Direktzahlungen, bei denen nur die Betriebsfläche zählt, während Kriterien wie Förderung der Biodiversität oder artgerechte Tierhaltung unberücksichtigt bleiben. So würden Fehlanreize geschaffen, beklagte jüngst auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und schlägt deshalb ein Punktesystem vor, das die Fördermittel stärker an gesellschaftlich relevante Leistungen koppelt.
Zudem, so zeigt der Agrar-Atlas deutlich, wird durch die Mittelvergabe nach Fläche die Konzentration auf weniger, aber größere Betriebe gefördert. Denn die Großen erhalten durch umfassendere Fördermittel einen Wettbewerbsvorteil. In Deutschland entfallen demnach 69 Prozent der Fördermittel auf lediglich 20 Prozent der Betriebe. In einigen Ländern wie Portugal oder Tschechien entfallen auf das größte Fünftel der Betriebe sogar über 80 Prozent der EU-Direktzahlungen.
„Wir brauchen genau das Gegenteil von dem, was wir haben: eine mutige Agrarpolitik mit klaren, verbindlichen Zielen, die den Wandel zu einer ökologischen Landwirtschaft fördert und lebenswerte, demokratische ländliche Regionen in Europa unterstützt“, sagt auch Unmüßig. Jeder Europäer zahle 114 Euro im Jahr für die GAP, doch davon gehe kaum etwas in die Bereiche der Landwirtschaft, die den Menschen wichtig seien wie Natur, Tierwohl und die Förderung kleiner und mittlerer Betriebe oder Klimaschutz.
„Wir müssen weg von pauschalen Zahlungen pro Fläche. Davon profitieren die Großbetriebe, die viel Land haben. Die kleinen und mittleren Betriebe sind die Leidtragenden dieser verfehlten Politik“, pflichtet Hubert Weiger, der Vorsitzende des BUND, bei. „Wir wollen, dass Fördergelder für das ausgegeben werden, was wir als Gesellschaft von der Landwirtschaft einfordern, wofür Bäuerinnen und Bauern aber kein Geld am Markt bekommen: Die artgerechte Haltung von Tieren, der Schutz von Vögeln und Insekten, von Gewässern und des Trinkwassers“.
Die Naturschützer sehen allerdings nicht in erster Linie die EU, sondern ihre Mitgliedsstaaten in der Verantwortung. Deshalb müsse die Bundeskanzlerin dafür sorgen, dass Agrarministerin Julia Klöckner sich in Brüssel aktiv für eine Änderung der Förderpolitik einsetzt. „Momentan stellen wir leider fest, dass ihr Haus auf Zeit spielt und sich nicht in die Karten schauen lässt“, sagt Weiger.
Unterstützung erfahren die Kritiker der EU-Agrarpolitik von den Grünen. Deren Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Anton Hofreiter, sagte, der Agrar-Atlas mache deutlich, dass die Agrarsubventionen der EU Umweltkrisen verschärfen. „Sie zementieren eine industrialisierte Landwirtschaft und befördern Artensterben und Klimaerhitzung. Die Bundesregierung tut nichts dagegen und macht sich so zum Steigbügelhalter der Agrarlobby. Wir fordern, dass die Milliarden an öffentlichen Geldern durchgehend an gesellschaftliche Leistungen gebunden werden.“
Einen weiteren politischen Höhepunkt planen die GAP-Kritiker für den 19. Januar. Dann beginnt am Mittag am Brandenburger Tor in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt“ eine große Demonstration für eine „bäuerlich-ökologischere Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung, für Klimagerechtigkeit und gutes Essen“, wie es im Aufruf heißt.
Bis die GAP-Reform ihre finale Gestalt angenommen hat, dürften allerdings noch viele Monate vergehen. Schließlich wird im Mai ein neues EU-Parlament gewählt. Anschließend wird die Kommission neu gebildet. Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, kann wieder mit substanziellen Fortschritten gerechnet werden.