Nach einer Überprüfung der bisherigen Chemikalien-Gesetzgebung über sogenannte endokrine Disruptoren schlägt die Europäische Kommission nun eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Umgang mit diesen gefährlichen Stoffen verschärft zu regulieren.
Eine entsprechende Verpflichtung zur Verringerung der Exposition von Mensch und Umwelt gegenüber Umwelthormonen wurde in die EU-Chemikalienstrategie aufgenommen, die am gestrigen Mittwoch von der Kommission vorgestellt wurde.
Bei Chemikalien der Gruppe endokriner Disruptoren (EDC) handelt es sich um eine Art von Stoffen, die in unserer Umwelt häufig in Kinderprodukten wie Spielzeug, Lebensmittelverpackungen, Körperpflegeprodukten, Pestiziden, Möbeln und mehr zu finden sind. Diese Substanzen verändern die Funktion des Hormonsystems und wirken sich negativ auf die Gesundheit von Mensch und Tier aus.
Das Thema wird in der EU bereits seit 1996 regelmäßig diskutiert. Die Kommission erkannte im Dezember 1999 in ihrer Gemeinschaftsstrategie für Umwelthormone EDC als Gesundheits- und Umweltgefahr an.
Das Interesse an der Auseinandersetzung mit EDCs wurde im November 2018 neu entfacht, als die Kommission eine neue Strategie gegen Umwelthormone veröffentlichte und ein umfassendes Screening der auf EDCs anwendbaren Rechtsvorschriften über den sogenannten „Fitness Check“-Prozess einleitete.
Dieser breit angelegte Eignungscheck wurde wie geplant in der ersten Hälfte des Jahres 2020 abgeschlossen; die Ergebnisse sind ein Anhang zur nun veröffentlichten neuen Chemikalienstrategie.
In der Bewertung kam man unter anderem zu dem Schluss, dass der EU-Rechtsrahmen in diesem Bereich „insgesamt fragmentiert und begrenzt ist“. Er müsse „konsolidiert und vereinfacht werden, um sicherzustellen, dass Umwelthormone rechtzeitig erkannt werden und die Exposition für Mensch und Umwelt so gering wie möglich gehalten wird“.
Umfassendes Maßnahmenpaket
Die Kommission hat in ihrer neuen Strategie daher ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgeschlagen, um die im Fitness-Check aufgezeigten Lücken zu schließen.
Erstens wird sie auf Grundlage der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine rechtsverbindliche Gefahrenidentifizierung von Umwelthormonen einführen und diese auf alle EU-Rechtsvorschriften anwenden. „Das ist eine riesige horizontale Aktion,“ kommentierte Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius gegenüber EURACTIV.com.
Darüber hinaus will die Kommission dafür sorgen, dass endokrine Disruptoren in Konsumgütern verboten werden, sobald sie identifiziert sind, und ihre Verwendung der Stoffe nur dann weiter zulassen, wenn sie nachweislich von grundlegender Bedeutung für die Gesellschaft sind.
„Wir arbeiten bereits mit Experten aus EU-Mitgliedsstaaten an dem Vorschlag, die Identifizierung von endokrin wirksamen Stoffen in die Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung aufzunehmen,“ erläuterte Sinkevičius. Er fügte hinzu, die EU arbeite parallel dazu „auf globaler Ebene“ daran, die Identifizierung in das Globally Harmonized System of Classification and Labelling of Chemicals (GHS) aufzunehmen. Dies ist ein internationales Abkommen über Standards für Kennzeichnungssysteme, das von den Vereinten Nationen verwaltet wird.
Reaktionen
Der deutsche Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne) begrüßte das Bestreben, gezielte Maßnahmen gegen derartige Hormondisruptoren zu ergreifen: „Ich bin froh, dass Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius sein öffentliches Versprechen an mich gehalten hat und Umwelthormone genauso wie krebserregende Stoffe bald weitgehend aus alltäglichen Produkten drängen wird.“
Natacha Cingotti, Senior Policy Officer für Gesundheit und Chemikalien bei der Health and Environment Alliance (HEAL), betonte, Initiativen zur besseren Kategorisierung und strikten Regulierung von „problematischen“ Chemikalien – wie eben endokrine Disruptoren sowie Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) – seien besonders dringlich.
Monique Goyens vom europäischen Verbraucherverband BEUC drängte in ihrem Kommentar zur Veröffentlichung der Strategie auf weitere Maßnahmen, „um sicherzustellen, dass Schlupflöcher wie die zu endokrinen Disruptoren in Kosmetika, Spielzeug und Lebensmittelverpackungen unverzüglich geschlossen werden“.
Barbara Demeneix, Vorsitzende der Task Force für EDCs bei der Endocrine Society, begrüßte diesen „bedeutenden ersten Schritt“ zum weiteren Schutz der Öffentlichkeit vor der Exposition gegenüber EDCs. Auch sie erwarte jedoch weitere Details und konkrete Maßnahmen.
Laut einem Bericht, der 2012 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der WHO verfasst wurde, ist aktuell von fast 800 Chemikalien bekannt oder wird vermutet, dass sie Hormonrezeptoren, die Hormonsynthese oder die Hormonumwandlung stören.
Die Gesundheitskosten der Exposition gegenüber EDCs werden allein in Europa auf mindestens 163 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
[Bearbeitet von Sam Morgan und Tim Steins]