Könnten Bakterien in Zukunft helfen, Treibhausgase zu verwerten, statt sie in die Atmosphäre zu blasen? Ein europäisches Forscherteam arbeitet daran, den Stoffwechsel von Bakterien, die sich von CO2 ernähren, so umzupolen, dass sie Produkte bilden, die industriell genutzt werden können. Damit eröffnen sich ganz neue Wege zur Wiederverwertung von Abgasen.
Knapp 800 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid hat Deutschland im Jahr 2018 in die Umwelt emittiert. Mit dem Ziel der Klimaneutralität vor Augen werden in Zukunft Wege gefunden müssen, diese Abgase zu vermeiden oder anderweitig zu nutzen. Doch wie könnte das geschehen? Eine Möglichkeit wäre, aus dem CO2 neue chemische Produkte herzustellen.
In einem weltweit einzigartigen Verfahren tut das bereits die US-amerikanische Firma LanzaTech. Die Firma nutzt acetogene Bakterien, die die Abgase der Stahlindustrie in den Biokraftstoff Ethanol umwandeln: „Statt die CO2-Emissionen aus dem Schornstein rauchen zu lassen, fangen wir sie auf und fermentieren sie in unserem Bioreaktor – genau wie in der Herstellung von Bier. Daraus machen wir dann Ethanol“, erklärt die Unternehmenschefin Jennifer Holmgren den Vorgang der Gasfermentation.
Bakterien werden auf CO2 „trainiert“
Bislang wird Ethanol, das an der Tankstelle zum Beispiel als E10 verkauft wird, aus landwirtschaftlicher Biomasse hergestellt. Das Problem dabei: Die dafür nötigen Energiepflanzen wie Mais oder Raps brauchen viel Platz und werden in der Regel in riesigen Monokulturen angebaut. Fast 21 Prozent der deutschen Ackerbaufläche, insgesamt 2,45 Millionen Hektar, dienten 2018 der Biomasseerzeugung – diese Fläche fehlt wiederrum für die Lebensmittelproduktion.
Doch mikrobiologische Verfahren wie die Gasfermentation eröffnen neue Wege, auf den großflächigen Anbau von Biomasse für die Ethanol-Produktion zu verzichten und es stattdessen aus bestimmten Industriegasen herzustellen.
Der Schlüssel dazu sind acetogene Bakterien. Forschern ist es gelungen, ihren Stoffwechsel so umzuprogrammieren, dass sie sich anstelle von Kohlenhydraten von Wasserstoff und CO2 ernähren. Allerdings ist das ein karges Mahl für die Bakterien. Sie müssten „trainiert“ werden, um aus dem Kohlenstoff andere Stoffe zu produzieren, erklärt Professor Volker Müller von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt. Zusammen mit Kollegen der Universitäten Nottingham, Ulm und Toulouse forscht der Mikrobiologe an den CO2-fressenden Bakterien. „Wir sind dabei, diesen Prozess zu optimieren, indem wir die Bakterien genetisch verändern“, so Müller.
Begehrte Industrie-Chemikalien herstellen
Ziel sei es, mithilfe der Bakterien Stoffe herzustellen, die in der Industrie stark gefragt sind. Die sogenannte „3-Hydroxypropionsäure“ ist so ein Stoff. Die Säure kann in diversen Zwischenschritten ebenfalls aus Wasserstoff und CO2, wahlweise auch aus Kohlenstoffmonoxid, gewonnen werden. Sie dient unter anderem zur Herstellung von Acrylsäure und verwandter Stoffe, die einen Milliardenmarkt versprechen.
Bislang ist das allerdings erst unter Laborbedingungen und in kleinem Maßstab möglich. „Die Ausbeute des Endproduktes ist noch ziemlich gering, wir können 3-Hydroxypropionsäure nicht tonnenweise herstellen. Aber wir haben gezeigt, dass das möglich ist“, sagt der Mikrobiologe Müller.
Mithilfe der bakteriellen Helfer könnten auch Bioplastiken, die derzeit noch aus erneuerbaren Rohstoffen wie Maisstärke hergestellt werden, erzeugt werden. Dann würden nicht nur Emissionen verwendet, sondern wie im Fall der Biokraftstoffe auch das Problem der großflächigen Biomasseproduktion gemindert werden. Allerdings sind diese Vorgänge bisher nur im Labormassstab möglich. Sollte es gelingen, den bakteriellen Stoffwechsel weiter zu optimieren, könnten die Ausbeuten erhöht werden, erklärt Müller.
Derzeit arbeitet der Forscher daran, die Energiebilanz seiner Bakterien zu verbessern, damit im Prozess größere Mengen des Endprodukts 3-Hydroxypropionsäure entstehen. Gleichzeitig untersucht er in einem anderen Projekt, wie sich die begehrte Säure auch aus Methanol herstellen lässt – ebenfalls durch bakteriellen Stoffwechsel. Die Möglichkeit, den Stoffwechsel von Bakterien auf CO2 umzustellen, birgt also weiterhin viel Potential. Eine grundlegende Reduktion der CO2-Emissionen ersetzt das dennoch nicht.