Ein Rückzug des Kommissionsvorschlags für eine Reform der EU-Agrarpolitik ist offenbar vom Tisch. Das versicherte die EU-Kommission den Agrarministerinnen und -ministern der Nationalstaaten, nachdem Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans einen derartigen Rückzieher ins Spiel gebracht hatte.
Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU befindet sich derzeit in der sogenannten Trilogphase: Es wird also unter Beisitz der Europäischen Kommission zwischen den Mitgliedsstaaten im EU-Rat und dem Europäischen Parlament verhandelt.
Zwar hat die Kommission im Trilog somit lediglich die Rolle einer Beobachterin – mit der Drohung, im schlimmsten Fall ihren ursprünglichen Vorschlag zurückzuziehen, kann sie jedoch die Gespräche beeinflussen.
In einem Interview mit dem niederländischen Fernsehsender RTL Nieuws deutete Frans Timmermans auf eben diese Möglichkeit hin, falls die endgültige Vereinbarung nicht mit den Zielen des europäischen Green Deal vereinbar sein sollte.
Die Mitgliedsstaaten zeigten sich überrascht und irritiert über Timmermans‘ Kommentare und brachten das Thema, obwohl es nicht auf der Tagesordnung stand, während des monatlich stattfindenden Landwirtschafts- und Fischerei-Ratstreffen (Agrifish) am gestrigen Montag zur Sprache.
Die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die derzeit den Vorsitz des Agrifish-Rates innehat, nannte die Timmermans’sche Idee eine Drohung, die alle 27 Mitgliedsstaaten „zutiefst irritiert und verärgert“ habe. Sie sagte, der Hinweis des Kommissars, dass der derzeitige GAP-Vorschlag in gewisser Weise ein Rückschritt sei, sei „völliger Unsinn“, und betonte, sie werde sich derartigen Drohung nicht beugen.
„Es ist dringend geboten, demokratische Kompromisse, die mit guten Gründen so gefunden wurden, ernst zu nehmen,“ erklärte Klöckner auf einer Pressekonferenz. Timmermans könne und solle dies nicht infrage stellen.
Die Ministerin wies außerdem darauf hin, dass der Vorschlag der EU-Agrarministerien in gewisser Weise ehrgeiziger sei als der der Kommission. Es sei schlichtweg falsch, zu glauben, dass die Ministerien gewillt seien, den Status quo zu untergraben.
In einer Debatte über die EU-Nahrungsmittelpolitik, die „Farm to Fork“-Strategie (F2F), baten mehrere Delegationen der Mitgliedstaaten die anwesende Vertreterin der Kommission, Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, um weitere Erläuterungen.
„Wir erwägen nicht die Rücknahme des GAP-Vorschlags“, beschwichtigte Kyriakides und fügte hinzu, da das Parlament und der Rat ihre Positionen nun eingenommen hätten, sei es vorrangiges Ziel, gemeinsam an einer neuen Agrarpolitik zu arbeiten.
Auf Nachfrage von EURACTIV.com, ob die Rücknahme des Vorschlags nicht doch noch eine Option für die Kommission sein könnte, versuchte auch Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski, allen Spekulationen ein Ende zu setzen: „Ich habe ein klares Mandat, dieses GAP-Dossier zum Abschluss zu bringen. Dies ist Teil meines Auftrags […] und wir ziehen keine weiteren Alternativen mehr in Betracht.“
Die deutsche Ministerin Klöckner kündigte dennoch an, sie werde Kommissionsvize Timmermans in einem Schreiben die Meinung der Ratspräsidentschaft zu diesem Thema mitteilen und betonte abermals, das angedachte Aufkündigen institutioneller Kompromisse sei „eine schlechte Nachricht“ für ein zukünftiges Abkommen.
Timmermans‘ Statements sorgten auch auf Seiten des Europäischen Parlaments für Verärgerung. Die konservative Europäischen Volkspartei (EVP) brachte in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, selbst EVP-Mitglied, ihre Besorgnis zum Ausdruck.
In dem Brief erklärten fünf führende christlich-demokratische Europaabgeordnete, die Kommentare des niederländischen Kommissars seien „inakzeptabel, da er die Entscheidungen der Mitgesetzgeber [also Rat und Parlament] nicht respektiert“.
Die Rolle der Kommission müsse darin bestehen, eine Einigung zwischen den Parteien zu erleichtern – und nicht ihre eigenen politischen Prioritäten voranzutreiben, heißt es in dem Schreiben weiter. Darüber hinaus dürften die persönlichen Ansichten der Kommissionsmitglieder, egal wie leidenschaftlich sie sich mit einem Thema auseinandersetzen, eine effektive interinstitutionelle Zusammenarbeit nicht untergraben.
Das Europäische Parlament wird die Angelegenheit auf der Sitzung seines Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI) am kommenden Donnerstag erörtern.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]