US-Techgiganten wie Google und Uber sehen sich verstärkt Maßnahmen und Reaktionen der europäischen Regulierungsbehörden gegenüber. Insbesondere Stadtverwaltungen zeigen sich kämpferisch, beobachtet Ross Douglas.
London, Paris und andere europäische Metropolen sind besorgt, dass US-Firmen durch städtische Maßnahmen für neue Verkehrstechnologien wie fahrerlose Busse vermehrt profitieren, indem Fahrgastdaten gesammelt werden, erklärt Ross Douglas, Gründer und CEO der Pariser Mobilitätskonferenz Autonomy im Interview.
EURACTIV: Einige europäische Städte entwickeln Verkehrsstrategien, die sich auf die Integration autonomer Systeme konzentrieren. Paris will beispielsweise bis zu den Olympischen Spielen 2024 fahrerlose Shuttles haben, und auch London plant autonome Busse. Werden weitere europäische Städte diesem Trend folgen?
Ross Douglas: Die erste offensichtliche Beobachtung ist, dass die großen Datenfirmen entweder Chinesen oder Amerikaner sind. Die Qualcomms und Broadcoms und Ciscos dieser Welt sind also führend in der vernetzten Mobilität. Es gibt sehr viel Daten-Technologie aus den USA und das ist nicht überraschend: Was Sie aus Amerika sehen, ist eine unglaublich datenzentrische, autonomes-Fahren-zentrierte Vision. Diese wird von der amerikanischen Industrie, die sehr stark in diesen Technologien ist, weiter angetrieben
Die Europäer haben einen ganz anderen Ansatz. Sie versuchen, Daten zu nutzen, um Multi-Mobilität zu ermöglichen. In der amerikanische Perspektive geht es um das Privateigentum an autonomen Fahrzeugen. Die europäische Mobilitätsperspektive besteht darin, dass die Städte versuchen, Daten zu erlangen und zu verwalten, um Multi-Mobilität über eine gewisse Bandbreite von verschiedenen Fahrzeugen und in Zukunft auch über autonome Fahrzeuge hinweg zu ermöglichen.
Sind die Entwicklungen der europäischen Städte in Bezug auf autonome Fahrzeuge abhängig von amerikanischen Technologieriesen oder gibt es aktivere europäische Start-ups?
Wenn Sie mit Europäern sprechen, werden sie Ihnen klar sagen, dass Europa im Rückstand ist. Und wenn Sie mit Amerikanern sprechen, sagen die Ihnen, dass Amerika im Rückstand und Europa im Vorteil ist. Wenn Sie im Car- oder Bike-Sharing-Geschäft sind, wollen Sie nicht in Amerika sein. Dort sind alle noch immer ganz auf ihr Auto als Eigentum fokussiert. Die Mobilität von heute wird also absolut nicht mehr ausschließlich von den amerikanischen Technologieriesen dominiert.
Aber wenn man sich die Mobilität von morgen ansieht, beginnen die amerikanischen Firmen durchaus, sich unglaublich schnell und agil in diesen Sphären zu bewegen und zu engagieren: Weil sie wissen, dass es um sehr viel geht. Google beginnt ja bereits, sehr stark zu kommunizieren, dass Menschen eigentlich nicht in der Lage sind, Autos zu fahren; wir sind zu gefährlich. Wir töten jährlich 1,2 Milliarden Menschen durch Unfälle.
Und Qualcomm hat letzte Woche in Paris ein riesiges Banner mit der Aufschrift ‚5G is coming, brought to you by Qualcomm‘ angebracht.
Die amerikanischen Firmen erwarten ein großes Winner-Takes-it-All-Szenario in Bezug auf das autonome Fahrzeug auf Abruf, das Robo-Taxi. Uber nimmt sich seit dem Unfall [vergangenen Monat wurde in den USA eine Frau von einem fahrerlosen Uber-Auto getötet] offensichtlich etwas zurück, aber es gibt ein massives Rennen zwischen den großen amerikanischen Firmen. Viele Tech-Unternehmen preschen bei On-Demand-Robo-Taxis mit voller Geschwindigkeit voran.
Dazu zählen Lyft, Uber, Google, Qualcomm. Die Europäer haben nicht wirklich ein Technologieunternehmen, das sich für autonome On-Demand-Fahrzeuge interessiert. Was sie haben, sind Autofirmen, die versuchen, autonomer zu werden. Sie haben eher die Vision eines Fahrers, der hinter dem Lenkrad sitzt und, wenn er keine Lust mehr hat, das Auto autonom fahren lässt. Es gibt auch einige Autofirmen, die angefangen haben, Car-Sharing zu betreiben. Ich denke da an BMWs DriveNow oder an Daimlers car2go. Aber das sind trotzdem sehr, sehr kleine Investitionen im Vergleich zu General Motors, die 1 Milliarde Dollar für die Automatisierung ausgegeben haben.
Da europäische Unternehmen weniger investieren als amerikanische Unternehmen: Wird die Entwicklung hin zu einem autonomen Verkehr in Europa viel langsamer sein als in den USA?
Mein Gefühl ist, dass der Profit für die Gewinner-Firmen in Europa nicht so groß sein wird wie in den USA. Amerika ist ein Land, in dem die Wirtschaftskultur eben sehr auf das Konzept „The Winner takes it all“ ausgerichtet ist. Es gibt auch sehr wenig Förderung für öffentliche Verkehrsmittel. Die USA sind nach wie vor sehr autobezogen. Was in Amerika wohl geschehen wird, ist, dass in Zukunft Fahrten von Einzelpersonen nahezu vollständig von autonomen und elektrischen Fahrzeugen statt von Verbrennungsmotorautos durchgeführt werden und es eine sehr weitreichend digitale Infrastruktur geben wird.
Um es zu veranschaulichen: Sie rufen sich dann ein autonomes Fahrzeug ohne Lenkrad, springen hinein, lassen sich von Amazon-und Facebook-Werbung berieseln. Das Fahrzeug wird Ihre Daten genauestens durchleuchten – und wenn Sie eine wohlhabende Person sind, die bereit ist, ihre Daten weiterzugeben, dann bietet das Auto Ihnen eine kostenlose Fahrt im Austausch dafür, dass Sie sich Werbung ansehen und auf Amazon shoppen.
Im Gegensatz dazu sprechen sich die Europäer zum ersten Mal deutlich gegen amerikanische Technologien aus. Sie sind besorgt, was die Macht von ‚Big Tech‘ und GAFA [Google, Apple, Facebook und Amazon] angeht. Und sie machen sich auch Sorgen in Bezug auf die negative Seite der autonomen Fahrzeuge. Die Amerikaner machen sich scheinbar nicht so viele Sorgen über diese Nachteile – von denen es durchaus zahlreiche geben könnte, zum Beispiel allein schon die massive Reduzierung der sogenannten „aktiven Mobilität“, also des Gehens oder des Radfahrens.
Absolut jede europäische Stadt versucht, ihre Gehwege- und Radfahrsysteme zu verbessern. Aus gutem Grund: Das hat einen positiven Effekt auf die bestehende Verkehrsüberlastung, verringert die Umweltverschmutzung und verbessert die Gesundheit der Bürger. Diese positiven Effekte sind etwas, das sie als sozialistische Länder mit nationalen Gesundheitsbudgets eben bezahlen. In Amerika, mit seiner privaten Gesundheitsfürsorge, leiden die Menschen dann an Fettleibigkeit, und diese Kosten werden nicht vom Staat oder der Stadt getragen, sondern von Privatpersonen.
Eine Stadt wie Paris hat 150 Millionen Euro in die Radwege gesteckt, sie treibt ein unglaublich ehrgeiziges Fahrradprogramm voran. Paris ist auch sehr ehrgeizig, was autonome Fahrzeuge angeht. Der Unterschied ist aber: Sie wollen etwas, was wir autonome Shuttles nennen. Diese Dinger, die 15-16 Personen gleichzeitig transportieren können. Solche Fahrzeuge hinterlassen einen vergleichsweise kleinen Fußabdruck, um recht viele Menschen zu bewegen.
Ich denke, wegen der Politik, der Kultur und der Geschichte amerikanischer Technologieunternehmen werden wir zwei sehr unterschiedliche Entwicklungen sehen, die die Mobilität in Europa und in Amerika vorantreiben und verändern.
Rein theoretisch ist es für die Regulierungsbehörden schwierig zu sagen: „Du darfst nicht an meine Bürger verkaufen“. Aber wenn es um Mobilität geht, haben die Städte das Recht zu sagen: „Du darfst nicht auf meinen Straßen fahren, weil das öffentliche Räume sind“. Transport for London hat ja genau das mit Uber getan [Im September 2017. Die App funktioniert allerdings immer noch in London, solange Uber die Entscheidung der Stadt anficht]. Die Behörde hat die Lizenz nicht erneuert, weil sie ihr Unternehmensverhalten für unangemessen hielt.
Diese riesigen Tech-Unternehmen verstehen nun plötzlich und zum ersten Mal, dass sie sich in den Städten zumindest nett stellen müssen. Weil die örtlichen Behörden die Schlüssel zu den Straßen haben. Hier wird es nicht so einfach sein, wie Apple-Geräte mit Google-Software zu kombinieren. Es wird nicht so einfach sein, auf die europäischen Straßen zu kommen, die eigene Technologie durchzusetzen und sich so zu verhalten, wie man will. Uber hat das gerade feststellen müssen.
In letzter Zeit gab es eine breitere Gegenreaktion der europäischen Regulierungsbehörden und Regierungen gegen amerikanische Technologieriesen, nicht nur Uber.
Ja, die Gegenreaktionen haben gerade erst begonnen. Und Facebook hat es aktuell schlimmer gemacht.
Konzentrieren sich die Sorgen der europäischen Stadtverwaltungen auf amerikanische Tech-Firmen, die über Partnerschaften im öffentlichen Verkehr auf die Daten der Menschen zugreifen?
Ich sehe einige Bedenken und Ängste der europäischen Politik. Dazu gehört das Ausmaß der Macht, die die amerikanischen Technologieriesen haben können und wie schnell sie sich in das Transportwesen einbringen und bewegen könnten. Es gibt keine Stadt, die nicht von ‚Uberisierung‘ spricht. Sie alle sehen, wie schnell Uber die Taxiindustrie übernehmen und ihren Wert reduzieren kann.
Der Preis für eine Taxi-Lizenz in Italien ist wegen Uber von 200.000 Euro auf 100.000 Euro gesunken. Dieser Preis wird irgendwann auf Null sinken, was zu einer weiteren Belastung für den Staat wird. Die eine große Angst, die ich persönlich habe, ist, dass das Geschäftsmodell von Uber und die Geschwindigkeit, mit der amerikanische Technologiefirmen sich bewegen können, europäische Firmen ausstechen könnte – Unternehmen, die ihre Steuern zahlen und Leute in Europa beschäftigen.
Gleichzeitig ist die Technologie, die jetzt aus China kommt, so viel besser, so viel schneller, so viel billiger als alles, was Europa produzieren kann, dass die Behörden sich Sorgen machen müssen, wo Europa überhaupt seinen Platz in diesen Technologien hat. Europa war führend im Transportwesen, solange der Transport mechanisch war, Verbrennungsmotoren nutzte und nicht digital war. Jetzt ist der Transport elektrisch und digital. Die Amerikaner sind Meister der Digitaltechnik, die Chinesen sind Meister der Elektrotechnik. Die Europäer beherrschen keines von beiden derart gut. Und vorher waren sie die Führungsmacht bei Flugzeugen, Zügen, Bussen, Autos und Fahrrädern. Sie schauen jetzt in die Röhre, weil der Transport durch Smartphones auf Rädern ersetzt wird.
Die europäischen Regierungen sind außerdem zunehmend besorgt über die Dominanz amerikanischer Technologieunternehmen in Bereichen wie der Logistik. Wollen Städte nun auch Wege zu finden, den Zugang zu Verkehrsdaten durch spezielle Rechtsvorschriften zu beschränken?
Auf jeden Fall. Das ist genau das, was wir beobachten könne. Alles steht und fällt mit Daten. Uber hat im vergangenen Jahr angekündigt, sein Programm Movement und seine Daten für die Städte zur Verfügung zu stellen. Der Grund, warum Uber das tat? Die Firma hat verstanden, dass es gut für die Mobilität und für die Stadt ist, Zugang zu allen Verkehrsdaten zu haben. Der andere Grund ist, dass Uber erkannt hat, dass sein Dienst nur in Städten funktionieren kann, in denen er erwünscht ist und in denen er den Segen der Stadtverwaltungen hat.
Sobald die Städte Lizenzen nicht erneuern – wie wir es bei Transport for London gesehen haben – oder Vorschriften erlassen, sodass Uber beispielsweise hier oder dort keine Passagiere abholen oder absetzen darf, geht Ubers Wettbewerbsvorteil schnell dahin.
Die Macht der Städte liegt in der öffentlichen Infrastruktur begründet, sie basiert auf den Straßen, Parkplätzen und Haltestellen. Die Städte werden das aktiv nutzen, um Unternehmen zu bestrafen, die keine Steuern zahlen oder Daten verwenden, um die Verbraucher zu Unternehmen zu treiben, die nicht dem Allgemeinwohl in der Stadt zugutekommen.
Es ist der einzige Hebel, den die Städte haben – und sie werden ihn benutzen.