Trotz der euroskeptischen Rhetorik der linksradikalen Partei La France insoumise (LFI) und ihres Vorsitzenden Jean-Luc Mélenchon zeigt eine neue Umfrage, dass ihre Anhänger:innen überwiegend pro-europäisch eingestellt sind.
Die Umfrage, die von dem französischen Think-Tank Fondation Jean-Jaurès veröffentlicht wurde, soll Aufschluss darüber geben, wie die linke NUPES-Parteikoalition, die kurz vor den Parlamentswahlen im Juni gebildet wurde, in Zukunft abschneiden könnte.
Zwischen den Parteien, aus denen sich die Koalition zusammensetzt, gibt es viele Meinungsverschiedenheiten, insbesondere in der EU-Politik. Die Debatten über die „Missachtung“ europäischer Vorschriften dominierten den Wahlkampf und führten zu Spaltungen zwischen Grünen (EELV) und Sozialist:innen (PS), zwei Mitgliedern der NUPES.
Allerdings hatte Mélenchon das Tempo der Koalitionsverhandlungen bestimmt und seine Bedingungen durchgesetzt. Dabei profitierte er von seinem guten Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen, wo er im ersten Wahlgang 21,95 Prozent der Stimmen erhielt, womit ihm lediglich 400.000 Stimmen zum Einzug in den zweiten Wahlgang fehlten.
Mélenchon war ein scharfer Kritiker der EU, zuletzt wegen der Reaktion der EU auf die russische Invasion in der Ukraine. Dabei verteidigte er die Position Moskaus, Russland werde von der NATO bedroht.
Pro-EU-Haltung der LFI-Anhänger:innen „überraschend“
Die Umfrage zeigt jedoch, dass Mélenchons kritische Haltung gegenüber der EU nicht von seinen Anhänger:innen geteilt wird.
„Nur 58 Prozent der LFI-Anhänger:innen halten die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache (im Vergleich zu 81 Prozent bei den Anhänger:innen von PS und EELV). Das bedeutet jedoch nicht, dass die LFI-Anhänger:innen die EU vollständig ablehnen: nur 10 Prozent halten die EU-Mitgliedschaft für schädlich, das sind nur geringfügig mehr als die Anhänger der PS (3 Prozent) und der EELV (7 Prozent)“, heißt es in der Umfrage.
„Diese Ergebnisse sind überraschend“, sagte Antoine Bristielle, der Autor der Umfrage, in einem Interview mit EURACTIV. „Wir hatten während des Wahlkampfes den Eindruck, dass La France insoumise stark antieuropäisch ist, während EELV und PS sich für ein stärkeres Europa aussprechen. Die Daten sagen etwas anderes: Der Euroskeptizismus unter den LFI-Anhänger:innen ist gering.“
„Es mag Differenzen geben, zum Beispiel in Bezug auf ein eher föderales Europa und ein Europa der Nationen. Aber im Prinzip wird die EU-Mitgliedschaft als etwas Positives gesehen“, fügte er hinzu.
Für Bristielle hat sich der Standpunkt der LFI gegenüber der EU weiterentwickelt. Mélenchon war während der Krise in der Eurozone besonders kritisch gegenüber der EU, aber im Laufe der Zeit hat sich seine Position von der Forderung nach einem Austritt Frankreichs aus der EU hin zu einem „Ungehorsam“ gegenüber einzelnen Regeln verschoben.
Die Unbekannten der Europawahlen 2024
Wenn es um die langfristige Stabilität der NUPES-Koalition geht, werden sich auch die Vorbereitungen für die Europawahlen 2024 als entscheidend und komplex erweisen.
„Aus wahltaktischer Sicht ist es im Interesse der Sozialist:innen und der Grünen, allein anzutreten: Das Verhältniswahlsystem begünstigt kleinere Parteien – und so würde der Wahlkampf den Grünen oder den Sozialist:innen eine starke Plattform auf nationaler Ebene bieten“, so Bristielle gegenüber EURACTIV.
„Aber wenn linke Parteien die Präsidentschaftswahlen 2027 auf ihrem Radar haben, macht eine Spaltung für die Europawahlen keinen Sinn. Dies würde die Wähler:innen verwirren und das Gefühl einer verlogenen Übereinkunft hervorrufen.“
Die größten Meinungsverschiedenheiten unter den NUPES-Parteimitgliedern betreffen nicht die EU, sondern die Oppositionsstrategie der Koalition gegenüber Macrons Regierung.
Grüne und Sozialist:innen befürworten mit überwältigender Mehrheit eine Zusammenarbeit mit Macrons Mehrheitspartei – wenn auch nur auf Einzelfallbasis. Bei La France insoumise sinkt diese Zahl auf 45 Prozent.
Die Opposition der LFI ist Teil einer größeren Strategie, als einzige „echte“ Oppositionspartei aufzutreten, wie es der LFI-Abgeordnete Éric Coquerel ausdrückte, der gegenüber EURACTIV erklärte, er werde sich als „echte Gegenkraft zur neoliberalen Politik der Regierung“ positionieren.
Andere Meinungsverschiedenheiten gibt es bei der Kernenergie. Während 77 Prozent der PS-Anhänger:innen entweder „voll und ganz zustimmen“ oder „eher zustimmen“, die Kernenergieproduktion in Frankreich zu unterstützen, sinkt diese Zahl bei La France insoumise auf 47 Prozent und bei den Grünen auf 39 Prozent.
[Bearbeitet von Benjamin Fox]