Wie ein Kanzler Friedrich Merz die EU nach rechts rücken würde

Ausgehend von Merz' (Bild M.) Biografie und den Kommentaren von Insidern könnte die EU einen der pro-europäischsten Kanzler seit Helmut Kohl in den 1990er Jahren bekommen [Photo illustration by Esther Snippe for Euractiv. Photo credit: Getty Images]

Am Montag stellt sich Friedrich Merz seiner konservativen europäischen Parteienfamilie offiziell als Kanzlerkandidat der Union vor. Während Merz dem Thema Europa viel Aufmerksamkeit schenkt, scheint seine pro-europäische Vision vor allem eine andere, rechtere EU zu sein.

Nachdem Merz letzte Woche (23. September) als Kanzlerkandidat der CDU/CSU bestätigt wurde, setzt der Frontmann der Union mit seiner ersten offiziellen Auslandsreise ein Zeichen. Diese ging nach Brüssel.

Mit einer „Special Intervention“ auf der vertraulichen vierteljährlichen Sitzung der nationalen Führungspersonen der Europäischen Volkspartei (EVP) legte Merz am Montag (30. September) in Brüssel seine politischen Prioritäten dar.

Die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs aus der EVP-Parteifamilie werden damit die ersten sein, die eine Idee davon bekommen, was eine mögliche Merz-Kanzlerschaft für Europa bedeuten könnte.

Ausgehend von Merz‘ Biografie und den Kommentaren von Insidern könnte die EU einen der pro-europäischsten Kanzler seit Helmut Kohl bekommen. Allerdings würde mit Merz auch Deutschlands Rolle als einer der letzten sozialdemokratischen Hochburgen in der EU verschwinden, wodurch Europas Politik deutlich nach rechts rücken dürfte.

Kritiker werfen Merz tatsächlich oft eine national orientierte Politik vor. Diese Stimmen sind lauter geworden, seit er in diesem Sommer auf einseitige Maßnahmen wie deutsche Grenzkontrollen und die Zurückweisung von ‚Dublin‘-Migranten drängt.

„Friedrich Merz hat das Faustrecht in Europa eingefordert. Wir reiten mal eben in den Saloon, bisschen schießen, dann fragen, wie bei Clint Eastwood“, sagte der grüne Vizekanzler Robert Habeck kürzlich bei einer Buchvorstellung. „Wir können uns nicht benehmen wie Viktor Orbán.“

Grenzkontrollen sind nicht das erste Thema, bei dem Merz europäische Angelegenheiten durch die Brille deutscher Interessen zu betrachten scheint. Er hat sich ebenfalls für eine Rücknahme des sogenannten Verbrenner-Aus auf EU-Ebene eingesetzt, womit vor allem auch die deutsche Autoindustrie mit Samthandschuhen angefasst würde.

Generation Maastricht

Seine Verbündeten betonen aber, dass Merz eine tiefe Leidenschaft für Europa hegt.

„Ein besseres Verhältnis zu Frankreich und ein besonderes Verhältnis zu Europa ist bei Friedrich Merz nicht einfach Strategie, sondern Überzeugung“, sagte Parteikollege Jens Spahn, gegenüber Euractiv.

„Das ist bei ihm wahrscheinlich stärker verankert, weil er einer Generation der Partei entstammt, die von Helmut Kohl geprägt wurde.“

Kohl wird oft als treibende Kraft hinter der deutsch-französischen Freundschaft, dem Euro und dem Binnenmarkt gesehen. Während Kohls Amtszeit begann auch Merz 1989 als 34-jähriger Abgeordneter im Europäischen Parlament.

Zugegen war dabei auch Europa-Urgestein Elmar Brok, der bis 2019 39 Jahre lang CDU-Abgeordneter im Europaparlament gewesen war. Dieses sei damals voller Idealisten gewesen, wenn auch weniger mächtig als heute.

„Wir alle waren damals pro-europäisch, inklusive Friedrich Merz“, sagte Brok gegenüber Euractiv. Der Finanzexperte Merz habe vor allem an der Vorbereitung des Euro und der Umsetzung des Binnenmarktes gearbeitet, erinnert er sich.

Verbündete weisen auf Merz‘ europäische Ursprungsgeschichte als eine einzigartige Eigenschaft hin, die ihn von den Kanzlern unterscheidet, die auf Kohl folgten – Schröder, Merkel und Scholz.

Brok ist besonders besorgt darüber, dass sich das bevölkerungsreichste EU-Mitgliedsland in den letzten Jahren zu sehr nach innen gewandt habe – so sehr, dass er Anfang des Jahres ein Buch darüber veröffentlichte.

„Mit Merz gäbe es wieder einen Kanzler, dem Europa wichtig ist und der Europa versteht“, hofft er.

Die EU ist in der Tat nach wie vor ein offensichtliches Lieblingsthema von Merz. 2009 galt er sogar angeblich als möglichen Kandidat für den Posten als Deutschlands EU-Kommissar.

Auch seit Merz 2022 nach einer 13-jährigen Pause als Oppositionsführer in die vorderste Reihe der Politik zurückgekehrt ist, positioniert er sich als Pro-Europäer. Er prangert unablässig die angeblich mangelnde Führungsqualität der Bundesregierung in Europa und die schwierigen Beziehungen zu Frankreich an.

„Streit aushalten“: Scholz verteidigt Grenzkontrollen gegen EU-Kritiker

Deutschland ist entschlossen, die Einführung von Grenzkontrollen voranzutreiben, unbeeindruckt von der Kritik seiner EU-Partner. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte am Mittwoch (11. September), dass der „Streit notwendig ist.“

Merz‘ konservatives Europa

Doch Merz wäre wohl auch der konservativste Kanzler seit Kohl an der Spitze des größten Mitgliedstaats, womit sich die lange zentristische Kompromisspolitik der EU nach rechts verschieben könnten.

Die derzeitige Mitte-Links-Regierung Deutschlands unter Beteiligung der Grünen wurde in vielen Fragen als letzte Fürsprecherin sozialliberaler Werte angesehen, die insbesondere eine härtere Asylpolitik verhinderte.

Doch mit Merz an der Spitze einer konservativen EVP-Mehrheit unter den EU-Staats- und Regierungschefs, flankiert von der rechtskonservativen Italienerin Giorgia Meloni, könnte eine neue rechte Achse entstehen, die auch umstrittene politische Maßnahmen auf einmal möglich machen würde.

„Wir wollen die innere und äußere Sicherheit gewährleisten, die Migration begrenzen und Europa wieder wettbewerbsfähig machen – ohne neue Schulden zu machen“, fasst Patricia Lips die Unionspläne für Europa zusammen. Die stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende ist zuständig für Europaangelegenheiten und eine enge Vertraute von Merz, dessen Team sie bei seiner Bewerbung um den Parteivorsitz 2021 leitete.

Über diese weniger umstrittenen abstrakten Ziele hinaus, enthalten die offiziell beschlossenen Forderungen der CDU/CSU für die anstehende Kommission jedoch auch verstärkte Grenzkontrollen, eine endgültige Aufhebung des Verbrenner-Aus und die Durchführung europäischer Asylverfahren in Drittstaaten.

Statt Nationalismus sei dies die Umsetzung eines gesamteuropäischen, konservativen Programms, argumentieren Merz‘ Verbündete: „Europa ist insgesamt so mitte-rechts wie lange nicht“, betonte Spahn zuvor gegenüber Euractiv.

Merz würde Maßnahmen mit EU-Verbündeten koordinieren und europäische Lösungen durchsetzen, sagt Brok.

Europa ist „interessiert“

Dabei kann er auf bestehende Beziehungen aufbauen und macht bereits seinen Einfluss geltend.

Vor den EU-Wahlen im Juni soll er fast täglich mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesprochen haben und steht auch in engem Kontakt mit dem EVP-Vorsitzenden Manfred Weber (CSU).

Am Montag wird er Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen und dabei wohl den Druck in Bezug auf eine Rücknahme des Verbots von Benzinfahrzeugen erhöhen. Außerdem hat er bereits mehrere Europareisen unternommen und plant weitere.

„Ich habe Friedrich Merz auf einigen Reisen ins europäische Ausland begleitet. Ich kann bestätigen, dass das Interesse dort an seiner Person und den Zielen der Union bereits jetzt sehr groß ist“, sagte Lips. „Das zeigt sich nicht zuletzt an der Bedeutung der Gesprächspartner und der Zahl der Einladungen.“

Nach Brüssel ist ein Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geplant. Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle als Grenzwächter bei Migrationsbewegungen. Zudem sind wohl Treffen mit französischen und polnischen Staats- und Regierungschefs möglich.

Finanzierung der EU-Außengrenzen: CDU erhöht Druck auf EU-Kommission

Die CDU, zu der auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehört, drängt die EU-Kommission, Mittel für Grenzzäune in Griechenland und Polen bereitzustellen. Begeistert von den neuen deutschen Grenzkontrollen, sind die Nachbarn in Europa dennoch nicht.

[Bearbeitet von Alice Taylor-Braçe/Kjeld Neubert]

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