EU-Abgeordnete wetzen ihre Messer für Anhörungen der Kommissare

Die parteipolitischen Zugehörigkeiten der Kandidaten spiegeln größtenteils die der Mitgliedstaaten wider und nicht die des Europäischen Parlaments, in dem keine Fraktion über eine absolute Mehrheit verfügt. [EPA-EFE/RONALD WITTEK]

Nachdem nun alle EU-Mitgliedstaaten Kandidaten für die neue EU-Kommission benannt haben, bereiten sich die Europaabgeordneten darauf vor, diese bei ihren Bestätigungsanhörungen zu befragen. Besonders der italienische Kandidat wird ins Fadenkreuz genommen.

Es wird erwartet, dass Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen,Anfang dieser Woche bekannt gibt, welche Kandidaten sie wählt und mit welchen Ressorts sie betraut werden. Danach beginnt ein langwieriger Prozess der parlamentarischen Prüfung.

Von der Leyens Entscheidungen werden ebenso kritisch hinterfragt wie die Kandidaten selbst. Das macht ihre Bestätigungsanhörungen im EU-Parlament, die voraussichtlich Mitte Oktober beginnen werden, zu einer komplizierten Angelegenheit.

Von der Leyen muss Nominierungen vornehmen, die nicht nur alle von ihr bereits mit den nationalen Staats- und Regierungschefs getroffenen Vereinbarungen einhalten, sondern auch von den Europaabgeordneten akzeptiert werden.

Die parteipolitischen Zugehörigkeiten der Kandidaten spiegeln größtenteils die der Mitgliedstaaten wider und nicht die des Europaparlaments, in dem keine Fraktion über eine absolute Mehrheit verfügt. 14 der 26 Kandidaten kommen von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Die meisten Mitgliedstaaten in der EU werden von der EVP regiert. Obwohl die EVP die größte Partei im EU-Parlament ist, verfügt sie dort über keine absolute Mehrheit.

Zusammen verfügen die pro-europäischen Fraktionen der EVP, der sozialdemokratischen S&D und der liberalen Renew-Fraktion über eine knappe Mehrheit, auf die sich Kommissionspräsidentin von der Leyen stützte, um sich ihre zweite Amtszeit im Juli zu sichern. Auch die Grünen haben sie bei der Abstimmung über ihre Wiederwahl entscheidend unterstützt.

Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die rechts von der EVP steht, stimmte gegen von der Leyen. Aber um ihre Politik zuverlässig durchgesetzt zu bekommen, könnte von der Leyen in Zukunft zumindest gelegentlich die Unterstützung der EKR benötigen.

Die Bildung einer Koalition von Europaabgeordneten, um die neuen Kommissare zu bestätigen, „wird ein ganz anderer Prozess sein als bei der Bestätigung von der Leyens durch das Parlament“, erklärte ein hoher EVP-Vertreter gegenüber Euractiv.

Fitto vor schwierigem Publikum

Ein Kandidat, der während der parlamentarischen Anhörungen im Fadenkreuz sein wird, ist Melonis designierter Kommissar für Italien, Raffaele Fitto.

Fitto ist für den Posten eines der vier Vizepräsidenten vorgesehen. Dies dürfte bei der S&D, der zweitgrößten Fraktion im EU-Parlament, für Unmut sorgen.

Die S&D hatte von der Leyen zuvor vor einer Zusammenarbeit mit der EKR gewarnt, die sie als zu weit rechts stehend ansieht. Widerstand gegen Fitto regt sich aber bereits quer über die Fraktionsgrenzen hinweg.

Anfang dieser Woche sprach sich die Vorsitzende von Renew Europe, Valérie Hayer, dagegen aus, dass Fitto einen hohen Posten erhält. „Das ist politisch nicht nachvollziehbar und ich habe Ursula von der Leyen bereits klargemacht, dass dies nicht akzeptabel ist“, erklärte Hayer.

„Herr Fitto wird erklären müssen, warum die Europaabgeordneten seiner Partei gegen Präsidentin Ursula von der Leyen gestimmt haben“, teilte der rumänische Abgeordnete Siegfried Mureșan (EVP) Euractiv in einem Interview mit.

Der dänische Europaabgeordnete Anders Vistisen von der rechtspopulistischen Fraktion Patrioten für Europa (PfE) ist dagegen nicht von Fittos rechter Gesinnung überzeugt. „Ich glaube nicht, dass er auf der rechten Seite stehen würde, wenn es nicht so wäre, dass er [in Italien] gewählt werden kann – er ist ein Berufspolitiker“, meinte er gegenüber Euractiv.

Geschlechterverhältnis bleibt problematisch

Einige linke Abgeordnete kritisieren auch, dass es nicht genügend Frauen als Kandidaten gibt. Von der Leyen selbst hatte jeden Mitgliedstaat gebeten, einen Mann und eine Frau zu nominieren, aber mehrere weigerten sich.

„Die EU sieht wirklich schlecht aus mit einem solchen Männerclub“, sagte die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke.

Die französische Europaabgeordnete Manon Aubry von der Fraktion Die Linke ging noch weiter. Sie sagte, dass die Kommission ohne ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis „nicht das Licht der Welt erblicken sollte.“

Aubry fügte hinzu, dass ihre Fraktion „sehr stark gegen diese Nominierungen kämpfen wird, um sicherzustellen, dass sie die Realität der europäischen Bürger widerspiegeln.“ Die Linke hat 46 Sitze in dem 720 Sitze umfassenden EU-Parlament.

Der kontroverse ungarische Kandidat Olivér Várhelyi, der in der letzten Kommission den begehrten Posten des EU-Erweiterungskommissars innehatte, wird ob seiner vorherigen Bilanz wahrscheinlich kalt empfangen werden. Es erscheint unwahrscheinlich, dass er oder ein anderer ungarischer Kandidat das wichtige Erweiterungsressort behalten wird.

Der finnische Europaabgeordnete Li Andersson (Die Linke) sagte, während Várhelyis Amtszeit in der letzten Kommission „konnte man sehen, dass er mehr für Budapest als für die Kommission tätig war.“

Im Oktober löste Várhelyi eine heftige Kontroverse aus, als er über die sozialen Medien die sofortige Aussetzung aller EU-Gelder für Palästina ankündigte. Dies versetzte die Kommission in Panik, da derartige Vorstöße normalerweise abgesprochen werden müssen. Várhelyi zwang die Kommission, seine Äußerungen zurückzunehmen, ohne dass es so aussah, als würde sie ihm widersprechen.

Bevor die Europaabgeordneten die Kandidaten in den jeweiligen Ausschüssen empfangen können, müssen die Mitglieder des Rechtsausschusses des EU-Parlaments (JURI) die persönlichen Finanzen der Kandidaten überprüfen.

In diesem Zusammenhang wird gegen die portugiesische Kandidatin Maria Luis Albuquerque wegen ihrer Beteiligung an der Privatisierung von TAP als damalige Finanzministerin staatsanwaltschaftlich ermittelt.

Mehrere parlamentarische Quellen teilten Euractiv mit, dass die Anhörungen wahrscheinlich erst Mitte Oktober beginnen werden. Die meisten Kandidaten müssen jedoch bis November warten, bis sie auf dem heißen Stuhl des EU-Parlaments Platz nehmen können.

*Thomas Moller-Nielsen und Nicholas Wallace haben zur Berichterstattung beigetragen.
[Bearbeitet von Owen Morgan/Nick Alipour]

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