EU-Unternehmen sollen für Menschenrechtsverletzungen haften

Das Lieferkettengesetz würde Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechts- und Umweltverstöße in ihrer Wertschöpfungskette zu erkennen, zu verhindern und zu minimieren. [EPA-EFE/STEPHANIE LECOCQ]

Am 23. Februar haben die EU-Kommissare Thierry Breton und Didier Reynders in Brüssel einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz vorgestellt. Die darin vorgesehene Mischung aus Sorgfaltspflichtverfahren, öffentlicher Aufsicht und zivilrechtlichen Haftungsmaßnahmen solle einen nachhaltigeren Handel fördern.

Das Lieferkettengesetz würde Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechts- und Umweltverstöße in ihrer Wertschöpfungskette zu erkennen, zu verhindern und zu minimieren.

Die Unternehmen müssen außerdem ein Beschwerdeverfahren für Opfer einrichten und ihre eigenen Sorgfaltspflichten sowie die ihrer Zulieferer überwachen, heißt es in dem Text.

Warum gerade jetzt?

EU-Handelskommissar Didier Reynders sagte, die Richtlinie entspreche der Nachfrage der Öffentlichkeit in ganz Europa. Im Rahmen einer öffentlichen Konsultation seien mehr als 500.000 Antworten eingegangen.

„Dieser Vorschlag ist eine Antwort auf die Forderung der Bevölkerung, dass die Dienstleistungen und Waren, die wir in Europa nutzen, unter voller Achtung der Menschenrechte erbracht werden und der Umwelt nicht schaden“, sagte er.

Einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Frankreich, haben bereits nationale Lieferkettenregeln eingeführt, während die Niederlande vor kurzem Diskussionen über ihre eigene nationale Regelung aufgenommen haben. Die Kommission hofft, dass die neuen Vorschriften den Unternehmen Rechtssicherheit geben und für gleiche Wettbewerbsbedingungen in der gesamten Union sorgen werden.

„Die Fragmentierung der nationalen Vorschriften verlangsamt den Fortschritt bei der Übernahme bewährter Praktiken weiter“, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton.

Die EU-Länder, in denen es bereits Gesetze über die Rechenschaftspflicht von Unternehmen gibt, müssen ihre nationalen Rechtsvorschriften an die neuen EU-Vorschriften anpassen.

Wer ist betroffen?

Das Gesetz gilt für EU-Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro. Bei Unternehmen, die in einem Risikosektor tätig sind, werden die Schwellenwerte jedoch auf 250 Beschäftigte und 40 Millionen Euro Umsatz gesenkt.

Für Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb der EU gibt es nur eine Umsatzschwelle. Je nach Branche fallen sie unter das Lieferkettengesetz, wenn sie einen Umsatz von 150 Millionen Euro oder 40 Millionen Euro in der EU überschreiten.

Für die EU-Abgeordnete Lara Wolters, die 2021 eine Stellungnahme des Parlaments zu dem Thema Lieferketten verfasste, sollte der Anwendungsbereich über große Unternehmen hinausgehen.

„In diesem Fall spielt die Größe keine Rolle, was zählt, sind Ihre Aktivitäten. Es geht nicht darum, wer du bist, sondern darum, was du tust“, sagte sie.

„Auch als kleiner Diamantenhändler in Antwerpen kann man über seine Wertschöpfungskette an der Kinderarbeit im Kongo beteiligt sein.“

Die Kommission argumentierte jedoch, dass viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) indirekt betroffen sein werden, da sie oft Teil der Wertschöpfungskette eines größeren Unternehmens sind. Die KMU werden jedoch Unterstützung erhalten, um den bürokratischen Aufwand verringern zu können, so die EU-Exekutive.

Nur ein Kästchen zum Ankreuzen?

Das Lieferkettengesetz wird von den nationalen Behörden durchgesetzt werden, die Sanktionen gegen Unternehmen verhängen können. Unterstützt werden diese aber auch durch einen zivilrechtlichen Haftungsmechanismus, der sicherstellen soll, dass Menschen, die durch Geschäftstätigkeiten Schaden genommen haben, entschädigt werden.

Die Richtlinie sieht jedoch Möglichkeiten für Unternehmen vor, ihre Haftung zu begrenzen, indem sie sich beispielsweise von ihren Lieferanten vertraglich zusichern lassen, dass sie den Verhaltenskodex anwenden.

Jegliches Vertrauen in vertragliche Zusicherungen könnte jedoch zur Folge haben, dass die Lieferketten-Prüfung zu einer „Ankreuz-Übung“ wird, so Claudia Saller, Direktorin der NGO European Coalition for Corporate Justice.

„Es könnte das Signal vermitteln, dass das Unternehmen nicht mehr tun muss, als nur gute Verträge zu haben“, sagte sie gegenüber EURACTIV.

Reynders wies diese Behauptung zurück und verteidigte die Wirksamkeit des zivilrechtlichen Haftungsmechanismus. Es würden außerdem mehr Informationen über Geschäftspraktiken zur Verfügung gestellt werden.

„Mit der Sammlung von immer mehr Informationen wird es einfacher sein, durch das Unternehmen zu handeln, aber auch, wenn es nötig ist, durch die Justiz“, sagte er.

Wie stehen die Unternehmen dazu?

Während die Kommissare den Vorschlag als einen Weg zur Stärkung der Unternehmen und der Nachhaltigkeit begrüßten, hat der Präsident von Business Europe, Pierre Gattaz, noch Zweifel an dem Vorschlag. 

„Es ist unrealistisch zu erwarten, dass europäische Unternehmen ihre gesamte Wertschöpfungskette weltweit kontrollieren können, einschließlich ‚indirekter‘ Drittlieferanten oder sogar Kunden“, sagte er.

Nach Ansicht von Gattaz würde der Vorschlag auch die Fähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen, weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben.

Kommissar Breton ist jedoch der Meinung, dass die Unternehmen die Einführung der Lieferkettenregelungen vorantreiben werden.

Das Gesetz muss nun vom Europäischen Parlament und den nationalen Minister:innen diskutiert und verabschiedet und dann in nationales Recht umgesetzt werden. Breton schätzt jedoch, dass die Vorschriften von den Unternehmen bereits vorher angewendet werden.

„Ich weiß, dass die Unternehmen nicht warten werden“, sagte er. „Sie werden sich diese Regeln zu eigen machen und sie so schnell wie möglich in Kraft setzen.“

Leak: EU-Lieferkettengesetz nur für ein Prozent der Unternehmen gültig

Das EU-Lieferkettengesetz wird laut einem Entwurf, den EURACTIV einsehen konnte, nur für ein Prozent der EU-Unternehmen gelten.

[Bearbeitet von Benjamin Fox]

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