Fast eine Milliarde Kinder und Erwachsene mit Behinderungen sowie ältere Menschen haben keinen Zugang zu den von ihnen benötigten unterstützenden Technologien. Davor warnt ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), deren Direktor alle Länder aufforderte, dem Thema Priorität einzuräumen.
Mehr als 2,5 Milliarden Menschen weltweit benötigen ein oder mehr unterstützende Produkte, wie etwa Rollstühle, Hörgeräte oder Apps, die bei der Kommunikation und Wahrnehmung helfen. Doch fast eine Milliarde von ihnen haben hierzu keinen Zugang, so der Bericht, der am Montag (16. Mai) veröffentlicht wurde.
„Unterstützungstechnologien können das Leben verändern – sie öffnen Kindern mit Beeinträchtigungen die Tür zur Bildung, Erwachsenen mit Behinderungen die Tür zu Beschäftigung und sozialer Interaktion und älteren Menschen ein unabhängiges und würdevolles Leben“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Er fuhr fort: „Menschen den Zugang zu diesen lebensverändernden Hilfsmitteln zu verweigern, ist nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern auch wirtschaftlich kurzsichtig. Wir fordern alle Länder auf, den Zugang zu Hilfsmitteln zu finanzieren und zu priorisieren und jedem die Chance zu bieten, sein Potenzial voll auszuschöpfen.“
Es wird erwartet, dass die Zahl der Menschen, die Hilfsmittel benötigen, bis 2050 auf über 3,4 Milliarden ansteigen wird, „da die Bevölkerung altert und die Prävalenz nichtübertragbarer Krankheiten zunimmt“, erklärte Adhanom Ghebreyesus.
Unterstützende Technologie ist ein Überbegriff für Hilfsmittel, „die Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen benötigen, um ein erfülltes Leben zu führen“. Dabei kann es sich um physische Produkte wie Rollstühle, Prothesen oder Brillen handeln, aber auch um digitale Software und Apps sowie um Anpassungen an die physische Umgebung, wie zum Beispiel tragbare Rampen oder Haltegriffe.
Ohne Zugang zu diesen unterstützenden Produkten werden Menschen ausgegrenzt, sind von Isolation bedroht, leben in Armut, leiden möglicherweise an Hunger und sind stärker von der Unterstützung der Familie, der Gemeinde und der Regierung abhängig.
„Die positiven Auswirkungen von Hilfsmitteln gehen über die Verbesserung der Gesundheit, des Wohlbefindens, der Teilhabe und der Integration der einzelnen Nutzer:innen hinaus – auch Familien und Gesellschaften profitieren davon“, heißt es in der Pressemitteilung der WHO.
Als Beispiel wird der erweiterte Zugang zu Hilfsmitteln angeführt, der zu geringeren Gesundheits- und Wohlfahrtskosten führt, wie beispielsweise regelmäßige Krankenhauseinweisungen oder staatliche Leistungen, und eine produktivere Erwerbsbevölkerung fördert, was indirekt das Wirtschaftswachstum stimuliert.
Hilfsmittel für Kinder
Wie in der Pressemitteilung hervorgehoben wird, bedeutet der Zugang zu Hilfsmitteln für Kinder mit Behinderungen oft den ersten Schritt für die kindliche Entwicklung, den Zugang zu Bildung, die Teilnahme am Sport und am öffentlichen Leben sowie die Vorbereitung auf eine Beschäftigung wie bei Gleichaltrigen.
UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell wies darauf hin, dass fast 240 Millionen Kinder eine Behinderung haben.
„Wenn man Kindern das Recht auf die Produkte verweigert, die sie zum Gedeihen brauchen, schadet das nicht nur den einzelnen Kindern, sondern beraubt auch die Familien und ihr Umfeld um alles, was sie beitragen könnten, wenn ihre Bedürfnisse erfüllt würden“, sagte sie.
Kinder mit Behinderungen haben zusätzliche Herausforderungen aufgrund ihres Wachstums zu überwinden, denn ihre Hilfsmittel müssen häufig angepasst oder ausgetauscht werden.
„Ohne Zugang zu Hilfsmitteln werden Kinder mit Behinderungen weiterhin ihre Bildung verpassen, weiterhin einem größeren Risiko von Kinderarbeit ausgesetzt sein und weiterhin Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt sein, was ihr Selbstvertrauen und ihr Wohlbefinden untergräbt“, betonte Russel.
Zugang weltweit unterschiedlich
Der WHO-Bericht wies auch auf die große Kluft zwischen Ländern mit niedrigem und hohem Einkommen hin. Eine Analyse von 35 Ländern ergab, dass der Zugang zu Hilfsmitteln zwischen 3 Prozent in ärmeren Ländern und bis zu 90 Prozent in wohlhabenden Ländern variieren kann.
„Das ist eine erstaunliche Diskrepanz, die wir angehen können und müssen“, sagte Adhanom Ghebreyesus.
Die größte Hürde für den Zugang ist die Erschwinglichkeit aufgrund der hohen Kosten und der geringen Verfügbarkeit. Etwa zwei Drittel der Menschen, die über Hilfsmittel verfügen, gaben an, diese aus eigener Tasche bezahlen zu müssen. Andere erklärten, sie seien auf Familie und Freunde angewiesen, um ihre Bedürfnisse finanziell zu decken.
Adhanom Ghebreyesus betonte, dass „die WHO daran arbeitet […], diese Produkte erschwinglich und zugänglich zu machen, damit diejenigen, die sie benötigen, ein gesundes und unabhängiges Leben führen können.“
Darüber hinaus wurden in den 70 Ländern, die an der Umfrage teilnahmen, große Lücken bei der Bereitstellung von Dienstleistungen und geschulten Arbeitskräften für Hilfsmittel festgestellt.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic]