Die Europäische Kommission schweigt weiterhin zu Details darüber, wie die Corona-Impfstoffverträge ausgehandelt wurden und was sie enthalten. Angesichts wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit wird die Angelegenheit für die EU-Exekutive immer brisanter.
Am letzten Freitag (14. Oktober) kündigte die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) an, eine Untersuchung über den Kauf von Impfstoffen durch die Kommission während der Corona-Pandemie einzuleiten.
„Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) bestätigt, dass sie eine Untersuchung über den Erwerb von Corona-Impfstoffen in der EU eingeleitet hat“, so die unabhängige Einrichtung in einer Mitteilung.
Die EPPO nahm ihre Arbeit 2021 mit der Mission auf, Betrugsfälle mit EU-Geldern zu bekämpfen.
„Diese außergewöhnliche Bestätigung ist das Ergebnis eines extrem hohen öffentlichen Interesses (an dieser Angelegenheit). Zum jetzigen Zeitpunkt werden keine weiteren Details veröffentlicht“, fügte die Staatsanwaltschaft hinzu.
Bei der mittäglichen Pressekonferenz am Montag (17. Oktober) erklärte ein Kommissionssprecher, er könne sich zu dem Thema nicht weiter äußern.
Aus der Zivilgesellschaft hatten sich zuletzt Forderungen gehäuft, den vollständigen Inhalt der Verträge über den Kauf von Corona-Impfdosen einsehen zu können.
Bislang sind die Verträge nur in teils geschwärzten Fassungen öffentlich zugänglich und in wichtigen Punkten wie Preisen und Haftung wenig transparent.
Alle Augen auf Pfizer
Die Vorsitzende des Sonderausschusses des EU-Parlaments für COVID (COVI), Kathleen van Brempt, brachte die Untersuchung mit einem ganzen Katalog von Problemen in Verbindung, die während der Pandemie aufgetaucht waren.
„Wir müssen wissen, warum der größte Vertrag am wenigsten transparent ist. Wir müssen verstehen, warum die EU verpflichtet ist, 1,8 Milliarden Impfstoffe von Pfizer/BioNTech zu kaufen, ohne Rücksicht auf den Bedarf und ohne Rücksicht darauf, ob neue und bessere Anbieter auf den Markt gekommen sind“, sagte van Brempt in einem Tweet.
„Viele EU-Verträge enthielten ein ‚Recht‘ zum Kauf, aber mit dem Pfizer-Vertrag haben wir eine ‚Verpflichtung‘ zum Kauf. Warum sind wir vom normalen Verfahren für einen Vertrag abgewichen, der unseren Bedarf mehrfach abdeckt, und zwar für einen Zeitraum, in dem bereits alle geimpft sein würden (2022 und 2023)?“, fragte sie.
Der Vertrag, bei dem es um den Kauf von 1,8 Milliarden Impfstoffdosen von Pfizer/BioNTech geht, ist der dritte und wurde vermutlich ausgehandelt, als sich die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Albert Bourla, der Vorstandsvorsitzende von Pfizer, gegenseitig SMS schickten, von denen die Kommission behauptet, sie könne sie nicht auffinden.
Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt.
„Wir haben es nie geschafft, die Produktionsstätten zu kennen, wir haben es nie geschafft, Lieferpläne zu haben“, sagte die französische EU-Abgeordnete Véronique Trillet-Lenoir (Renew) gegenüber EURACTIV.
Pfizer setzt auf Diskretion
Am 10. Oktober hörte der COVI-Ausschuss mehrere Pharmaunternehmen, darunter Pfizer, zu ihrer Rolle bei der Bewältigung der Pandemie an
Obwohl Bourla anwesend sein sollte, sagte er kurz vor der Sitzung ab und wurde durch Janine Small, Präsidentin der Abteilung für internationale entwickelte Märkte bei Pfizer, ersetzt.
Die Verträge seien öffentlich einsehbar, versicherte Small den unzufriedenen COVI-Abgeordneten. Tatsächlich sind aber große Teile hiervon geschwärzt.
Dazu kommt, dass EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am 12. Oktober ein Treffen mit Pfizer und Bourla in Washington DC abhielt – nur zwei Tage nach dem COVI-Treffen, das Bourla abgesagt hatte.
Kyriakides sendete später einen Tweet mit einem Foto, auf dem sie Seite an Seite mit Bourla zu sehen ist.
Wenig Transparenz
Besonders im Fall der verschwundenen Textnachrichten hätten die Abgeordneten eigentlich genügen Diskussionsstoff mit Bourla gehabt.
Die Textnachrichten wurden verschickt, während die EU Verträge über Corona-Impfstoffe abschloss und während der Streit mit dem Pfizer-Konkurrenten AstraZeneca andauerte. Als ein Journalist Zugang zu diesen Nachrichten verlangte, erklärte die Kommission, sie habe diese nicht „identifiziert“ oder aufgezeichnet.
Selbst nachdem die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly ihre Feststellung eines Missstands in der Verwaltungstätigkeit in diesem Fall bestätigt hatte – was die Kommission bestritt – wurde nichts weiter unternommen, um den Fall aufzuklären.
Auf einer allgemeineren Ebene kritisierte O’Reilly auch den mangelnden öffentlichen Einblick in die Corona-Impfstoffverträge und sagte in einem Interview mit EURACTIV, dass mehr Informationen früher hätten veröffentlicht werden müssen.
Ein ernsthafter Schritt hierzu wurde bereits von der Fraktion der Grünen im EU-Parlament eingeleitet. Zunächst im Oktober 2021, dann im April 2022, um die Entscheidung der Kommission vom 16. Februar 2022 zu berücksichtigen, nur einen teilweise erweiterten Zugang zu den Kaufverträgen zu gewähren.
Die grünen Abgeordneten fordern vollen Zugang zu den Verträgen und Informationen über die Preise der Impfstoffe, Vorauszahlungen, Verbindlichkeiten und Spenden.
„Ich verstehe nicht, warum [Transparenz] nicht von Anfang an eine Bedingung war, da wir öffentliche Gelder eingesetzt haben. Nur durch Transparenz kann man Vertrauen in das Verfahren und in das Produkt haben. Das ist der Grund, warum wir kämpfen. Es geht um das übergeordnete öffentliche Interesse“, sagte die grüne Abgeordnete Tilly Metz, die an der Klage beteiligt war, im April gegenüber EURACTIV.