In den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP bleibt der Investorenschutz-Mechanismus ISDS einer der umstrittensten Punkte. Während Kritiker vor dem gut entwickelten Klagesystem in den USA warnen, sieht die EU-Kommission keine Gefahr. Sie argumentiert, die bestehenden Investitionsschutzabkommen in Europa hätten noch nie die Regulierungsmöglichkeiten ausgehöhlt.
Die Diskussion um das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA ebbt nicht ab. Einer der größten Streitpunkte in den Verhandlungen um TTIP sind die geplanten Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) – ein Mechanismus, der es Unternehmen im Fall eines Konflikts mit einer Regierung ermöglichen soll, ein Schiedsgericht anzurufen.
Vor allem Deutschland und Frankreich sind skeptisch gegenüber diesem Prinzip, das vor Jahrzehnten eigentlich entwickelt wurde, um Industrieländern einen Investitions-Schutz zu bieten, wenn sie sich in einem Entwicklungs- oder Schwellenland mit einem möglicherweise schlecht ausgebildeten Rechtssystem niederlassen.
Wohin die Klausel heute führen kann, zeigt die Klage des schwedischen Unternehmens Vattenfall gegen Deutschland. Weil ihm durch die Energiewende ein großer Schaden entstanden sei, fordert Vattenfall 4,7 Milliarden Euro. Doch schon wegen der Verfahrenskosten wird die Klage für Deutschland teuer. Die Bundesregierung schätze sie auf etwa neun Millionen Euro, hieß es Ende vergangenen Jahres in einer Antwort von Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.
Wohl auch aus dieser Erfahrung heraus nannte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Anfang vergangenen Jahres ISDS „schlichtweg überflüssig“. Und auch im Wirtschaftsministerium gibt man zu, dass die Bundesregierung eigentlich gegen dieses Instrument gewesen sei. Letztlich aber habe man dem Druck der USA und der EU nachgeben müssen.
USA haben gut entwickeltes Klagesystem
Nach den erneuten Protesten am Wochenende gegen TTIP, bei denen deutschlandweit Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen waren, versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel nun, sie wolle Bedenken an ISDS zerstreuen. Denkbar sei etwa, dass die Bundesregierung versuche, für die Schiedsgerichte Berufsrichter zu ernennen.
Die kritischen Stimmen aber bleiben. „Unsere Besorgnis ist immer noch groß, dass über Schiedsgerichtsverfahren alten Stils große Konzerne in staatliche Souveränität eingreifen“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. Da die USA ein gut entwickeltes Klagesystem haben, sei die weitverbreitete Angst vor teuren Klagen von US-Konzernen gegenüber europäischen Ländern nachvollziehbar.
Auch der deutsche EU-Abgeordnete und TTIP-Berichterstatter im Europaparlament, Bernd Lange, hält ISDS für unnötig. Grundsätzlich, so Lange, seien Vereinbarungen „untragbar“, die Gesetzgebungskompetenzen der Staaten einschränken oder die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Investoren untergraben.
Malmström gibt Möglichkeit zum Missbrauch zu
Dass das Jahrzehnte alte System der Schiedsgerichte zumindest einer Überarbeitung bedürfe, räumte auch EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström inzwischen ein. Denn, so die Schwedin, momentan stehe Unternehmen durch die Schiedsgerichte eine „Möglichkeit zum Missbrauch“ offen. Die EU-Kommission will am siebten Mai darum eine neue Version des Investorenschutzes vorlegen.
Als sehr unwahrscheinlich gilt aber, dass die Kommission ISDS letztlich grundsätzlich verwerfen könnte.
Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass andere Handelspartner wie etwa China mit der EU bereits Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen führen. Zudem haben bereits neun der 28 EU-Mitgliedsstaaten Investitionsabkommen mit den USA. Würden sich einige der restlichen 19 EU-Staaten komplett gegen einen solches Instrument in TTIP sperren, könnte das zu Irritationen auf beiden Seiten des Atlantiks führen.
EU-Staaten haben bereits 1.400 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen
Die Kommission argumentiert auch, Investitionsschutzabkommen seien in Europa sowieso nicht neu. Die EU-Mitgliedstaaten haben in den letzten 60 Jahren 1.400 solcher bilateralen Investitionsschutzabkommen abgeschlossen, die alle einen Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus enthalten. In der Vergangenheit habe dieser allerdings in keinem Fall zu einer „Aushöhlung“ der Regulierungsmöglichkeiten geführt. TTIP könne vielmehr bestehende juristische Schlupflöcher dieser teilweise veralteten Abkommen schließen.
„Da 40 Prozent des Welthandels zwischen der EU und den USA stattfindet, könnten wir Vorreiter für die globalen Standards der Zukunft sein, die auch auf anderen Märkten übernommen werden und damit europäischen Firmen zugute kommen können“, heißt es in einer Erklärung der Kommission.
Dem schließt sich auch die Industrie an: „In zehn bis 15 Jahren wird die EU die Globalisierung nicht mehr allein gestalten können, dann werden sich jetzt ausgehandelte umfassende Regulierungen, auch zu Nachhaltigkeit und Investitionsschutz, auszahlen“, sagt etwa Stormy-Annika Mildner vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Hillary Clinton könnte TTIP verwerfen
Die Diskussionen dürften noch eine Weile weitergehen. Handelskommissarin Mälmström kündigte bereits an, erst nach dem Sommer werde eine „politischere Phase“ in den TTIP-Verhandlungen beginnen. Dass das Abkommen noch in diesem Jahr unter Dach und Fach komme, schloss sie aus.
Deshalb droht auf lange Sicht weiteres Ungemach: Die amerikanische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hat bereits kundgetan, sie sei gegen ISDS. Kämen die Demokraten unter Clinton in den USA an die Macht, würde ein Abschluss von TTIP darum möglicherweise in noch weitere Ferne rücken.