Polnische Kinder sind deutlich stärkerer Luftverschmutzung ausgesetzt als französische Minderjährige, zeigt eine Studie der belgischen Universität Hasselt.
Die Untersuchung, die mit 28 Kindern im polnischen Rybnik durchgeführt wurde, zeigte, dass diese Kinder drei- bis neunmal stärkerer Luftverschmutzung ausgesetzt sind als Kinder im französischen Straßburg.
Klaudyna Szewczyk lebt in Rybnik, an dessen Rande ein Kohlekraftwerk steht. Vor drei Jahren erlitt sie einen Schlaganfall, von dem sie inzwischen weiß, dass er durch die Luftverschmutzung verursacht wurde. Heute ist sie Aktivistin – und Mutter von zwei Kindern, die an der Studie teilgenommen haben. Sie erklärt, sie habe zwar „schlechte“ Ergebnisse erwartet, das Ausmaß der Unterschiede schockiere sie aber.
Inzwischen haben sie und ihre Familie beschlossen, umzuziehen: „Als wir die Ergebnisse sahen, sagte mein Mann: Wir müssen uns einen anderen Ort zum Wohnen suchen – jetzt.“ Die Familie wolle möglichst bald aus Rybnik wegziehen, um Gesundheitsprobleme „bei unseren Kindern und uns selbst zu vermeiden“.
Tatsächlich ergaben die Tests mit Kindern aus Rybnik und Straßburg, dass die polnischen Kinder durchschnittlich 425 Prozent mehr sogenanntes Black Carbon – eine krebserregende Substanz, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht – in ihrem Urin hatten.
Der leitende Wissenschaftler der Universität Hasselt, Tim Nawrot, erklärte dazu, er habe „noch nie so hohe Konzentrationen gesehen“.
Kinder sind besonders anfällig für Luftverschmutzung. Feinstaub, einschließlich Black Carbon, wird unter anderem mit einer niedrigeren Geburtenrate, verminderten kognitiven Fähigkeiten, einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität sowie mit Atemwegs- und Krebserkrankungen im späteren Leben in Verbindung gebracht.
Polish Smog Alert, eine soziale Bewegung, die für eine bessere Luftqualität in Polen kämpft, kritisiert: „Die schlechte Luftqualität ist für 45.000 frühzeitige Todesfälle im Land sowie für zahlreiche Gesundheitsprobleme verantwortlich.“
Martin Boudot, ein französischer Dokumentarfilmer, der die Durchführung der Studie begleitete, ist seinerseits optimistisch, dass die Daten dazu beitragen werden, Veränderungen zu beschleunigen. Auch die polnische Politik beginne, „grüner“ zu werden. Er räumt jedoch ein, die Kohlelobby im Land sei stark.
Boudot selbst sei überrascht, wie groß die Unterschiede zwischen Rybnik und Straßburg sind und erklärt: „Ich bin sehr besorgt um diese Kinder. Ich sehe meine eigenen Kinder an und frage mich, wie ich reagieren würde und welche Lösungen ich gegebenenfalls hätte. Das nagt wirklich an mir.“
In Rybnik helfen sich die Menschen derweil selbst: Sie trugen Masken schon lange vor der Coronavirus-Pandemie und installierten auf eigene Faust Luftfilter in Gebäuden.
Szewczyk betont, sie habe schlichtweg Glück, dass sie und ihr Mann flexibel genug sind, wegziehen zu können. Die lokalen Behörden und die nationale Regierung in Warschau sprächen zwar oft von Veränderungen; ein tatsächliches Handeln könne man aber nicht beobachten.
Die polnische Energieproduktion ist nach wie vor in hohem Maße von Kohle abhängig. 2018 stammten 74 Prozent des Stroms aus Kohlekraftwerken. Im vergangenen Jahr war Polen laut Eurostat das Land mit dem höchsten Kohleverbrauch in der EU.
Szewczyk fordert daher, die Regierung müsse die Luftverschmutzung genauso ernst nehmen wie COVID-19.
Doch ein Wandel müsse sich auch in der Gesellschaft vollziehen, so die Aktivistin und Mutter. Sie kritisiert, Nachbarn würden „Müll, Plastik und sogar Kleidung verbrennen“. Ihre Kinder hätten sich vor der Pandemie „geschämt“, in der Öffentlichkeit Masken zu tragen. „Die Eltern und einige Lehrer denken, das alles sei kein Problem: ‚Die Menschen haben vor 20, 30 Jahren mit noch schlimmerer Luftverschmutzung gelebt und sind immer noch am Leben.‘ Das ist ihre Argumentation. Es sind dumme Argumente, aber diese Dinge werden gesagt,“ berichtet sie.
Laut der Weltgesundheitsorganisation sind unter den 50 Städten mit der schlimmsten Luftverschmutzung in der EU 36 polnische.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]