Grünen-Leak: „TTIP bedroht Demokratie in Europa“

US-Chefunterhändler Dan Mullaney und sein europäisches Gegenüber Ignacio Garcia Bercero (v.l.) zu Beginn der 4. TTIP-Verhandlungsrunde in Brüssel.Die Europaparteispitze der Grünen veröffentlichte im Internet ein geheimes Rats-Dokument zum Abkommen. Foto:

Die Europaparteispitze der Grünen hat im Internet ein geheimes Rats-Dokument zum TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA veröffentlicht. Auf einer eigens dafür eingerichteten Homepage kann der Interessierte auch gleich die Kommentare der Partei zu den einzelnen Abschnitten lesen. Der Grünenpolitiker Sven Giegold verteidigt den Tabubruch: Er habe im „öffentlichen Interesse“ und zum „Schutz der Demokratie“ gehandelt.

"TTIP droht der Demokratie die soziale und ökologische Kontrolle über den Binnenmarkt zu entziehen", warnt der grüne Europapolitiker Sven Giegold. Die Kritik der Grünen am geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ist zwar nicht neu, doch nun gibt es neuen Zündstoff: Auf einer dafür extra eingerichteten Internetseite veröffentlichte die Spitze der Europapartei am Freitag (7. März) ein geheimes Dokument mit den Leitlinien des EU-Ministerrates für die Verhandlungen mit den USA. Ausführliche Kommentare zu den einzelnen Abschnitten liefern die Grünen gleich mit.

Sehr konkret wird das 18 Seiten lange Dokument selten. Giegold gesteht denn auch ein, dass das Mandat auf den ersten Blick einen überraschend positiven Eindruck mache. Doch wer geübter sei "in bürokratischem Deutsch", so Giegold, der erkenne schnell, dass TTIP auf eine "ehrgeizige und umfassende Marktöffnung" hinauslaufe.

Am ausführlichsten sind die Abschnitte zum Investitionsschutz. Entsprechend klar ist auch die Kritik der Grünen: "Investoren und Konzerne sollen geschützt werden und eigene Sonderklagerechte bekommen – Menschen und Umwelt stehen hinten an!" Tatsächlich heißt es in dem Dokument: "Das Abkommen sollte einen wirksamen Mechanismus für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat vorsehen […]" Diese Schiedsgerichtsbarkeit soll unter anderem die "gerechte und billige Behandlung einschließlich eines Verbots unverhältnismäßiger, willkürlicher oder diskriminierender Maßnahmen" durchsetzen. Die Grünen geißeln die in ihren Augen schwammigen Formulierungen und warnen davor, dass zukünftig "die Investitionsanwälte der geheimen Schiedsgerichte" darüber entscheiden könnten, was unter "gerechter und billiger" Behandlung zu verstehen sei – und nicht etwa die Parlamente, Behörden oder Gerichte.

"Es kann nicht oft genug betont werden, dass internationale Schiedsgerichte, bei denen Unternehmen zum Beispiel gegen Umweltgesetze oder Arbeitsrechte klagen, die Parlamente in Europa entmachten können", kritisiert Giegold. "Diese Verfahren sind vollkommen intransparent und orientieren sich nicht an der europaweiten oder nationalen Rechtsprechung. Damit bedroht TTIP die Demokratie in Europa und kann uns die soziale und ökologische Kontrolle über den Binnenmarkt entziehen."

"Mit TTIP erhalten Unternehmen weitreichende Klagerechte gegen Umwelt- und Sozialstandards – das ist nicht hinnehmbar", sekundiert die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahlen, Ska Keller. Bereits Ende letzter Woche warnte Keller anlässlich einer aktuellen Kurzstudie, das TTIP-Handelsabkommen könnte Öl- und Gaskonzernen den Weg ebnen für milliardenschwere Schadensersatzklagen gegen Verbote und scharfe Regulierungen des Frackings.

Tabubruch zum "Schutze der Demokratie"

Die Verhandlungen zum TTIP unterliegen der Geheimhaltung. Sven Giegold ist sich des Tabubruchs, den er begangen hat, durchaus bewusst. Auf der Homepage der deutschen Partei rechtfertigt er sich im Interview: "Das öffentliche Interesse an TTIP ist groß und ein transatlantisches Handelsabkommen könnte unseren demokratischen Gestaltungsspielraum im Kern einmauern. Deswegen habe ich mich für eine Veröffentlichung des geheimen Mandats entschieden", so Giegold. "Der Schutz der Demokratie wiegt für mich schwerer als das Interesse der Kommission an ungestörten und verschwiegenen Hinterzimmer-Verhandlungen."

Der EU-Kommission wirft der Grünenpolitiker vor, sie führe die Verhandlungen bewusst unter Ausschluss der Öffentlichkeit: "Während die Zivilgesellschaft draußen bleibt, haben die großen Industrielobbys einen privilegierten Zugang. Unter diesen Bedingungen droht die gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung von Standards zu einem gravierenden Umweltdumping zu werden. Aus der vereinzelten Zulassung von Genmais-Sorten könnte dann ein Dammbruch werden. Auch die Einfuhr von mit Antibiotika verseuchtem Fleisch wäre nicht mehr zu verhindern."

Die Gespräche über das TTIP-Abkommen gehen am heutigen Montag in Brüssel in die nächste Runde. Die EU hatte im Januar als Reaktion auf die Kritik an der Geheimhaltung die Verhandlungen zum Investitionsschutz von Unternehmen für drei Monate ausgesetzt.

pat

Links

"Erstes Leak": Das geheime Rats-Dokument

Grüne.de
: Interview mit Sven Giegold

EURACTIV.de: Kann TTIP die transatlantischen Beziehungen retten? (24. März 2014)

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