Die EU-weite Selbstbeschränkung der Lebensmittel-Hersteller bei der Werbung für Kinder ist laut einer aktuellen Foodwatch-Studie wirkungslos. Rückenwind bekommt die Verbraucherorganisation von der medizinischen Fachwelt: Auch sie fordert ein gesetzliches Marketing-Verbot für ungesunde Lebensmittel.
Die größten Lebensmittel-Konzerne Europas haben sich 2007 im sogenannten „EU Pledge“ ein hehres Versprechen gegeben: „Wir werden unsere Lebensmittelwerbung an Kindern ändern“. Unter anderem sollten nur noch Lebensmittel, die bestimmte Nährwertanforderungen erfüllen, an Kinder unter zwölf Jahren beworben werden. Doch bis heute betreiben die Hersteller nahezu ausschließlich Marketing für ungesunde Nahrungsmittel, wie eine am Montag in Berlin vorgestellte Studie der Verbraucherorganisation Foodwatch belegt.
Foodwatch hat 281 Produkte von deutschen Herstellern unter die Lupe genommen, die den EU-Pledge unterschrieben haben, darunter Kellogg’s, Ferrero, Danone, Nestlé und Coca-Cola. Lediglich 29 Produkte dürfen laut der Studie nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für ernährungsphysiologisch ausgewogene Ernährung an Kinder vermarktet werden.
„Mit wohlklingenden Selbstverpflichtungen inszeniert sich die Lebensmittelbranche als Vorreiter im Kampf gegen Übergewicht und Fehlernährung – und vermarktet gleichzeitig tonnenweise Süßigkeiten und Junkfood gezielt an Kinder. Ein trauriges PR-Manöver“, kritisiert Foodwatch-Experte Oliver Huizinga.
Unter den getesteten Unternehmen schnitten McDonald’s und Nestlé noch verhältnisweise gut ab. Knapp ein Drittel der an Kinder vermarkteten Produkte der Fastfood-Kette entsprechen den WHO-Nährwertkriterien. Bei Nestlé sind es 11 von insgesamt 42 getesteten Produkten. Schlechter stehen Coca-Cola und PepsiCo da. Beide vermarkten kein einziges Produkt, dass nach WHO-Klassifizierung als gesund gilt.
„EU-Pledge ist gescheitert“
Das deutliche Ergebnis der Studie zeige, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie erfolglos sei, erklären die Diabetes Gesellschaft und die Deutsche Diabetes-Hilfe. Zum einen seien die selbst gesteckten Nährwertgrenzen zu lasch. Bei Kinder-Frühstücksflocken seien bis zu 30 Prozent Zuckergehalt erlaubt, die WHO empfehle jedoch maximal 15 Prozent. Zudem erfüllten sogar fettig-salzige Chips die EU-Pledge-Kriterien, so die Experten.
Klassische Werbung im Fernsehen verbiete der EU-Pledge zwar, Comic-Werbung auf Verpackung sei jedoch weiterhin möglich. Die Altersbeschränkung von zwölf Jahren sei außerdem zu niedrig, die Medizin-Fachleute fordern eine Anhebung der Altersgrenze auf 16 Jahre. Große Unternehmen wie Dr. Oetker, Haribo, Bahlsen, Ehrmann oder Hipp hätten zudem nicht einmal die Selbstverpflichtung unterschrieben.
„Die Strategie der freiwilligen Selbstbeschränkung, der Informationen und der Aufklärung ist gescheitert“, sagt Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Flächendeckendes Werbeverbot einzige Lösung
In Europa leben Kinder laut Garlichs in einem höchst adipogenen Umfeld, es wimmele nur so von Fast-Food und Softdrinks. Dabei sei eine ausgewogene Ernährung der Schlüssel für ein gesundes Leben. Dicke Kinder blieben meist auch im Erwachsenenalter dick.
Übergewicht ist einer der Haupt-Antreiber für nicht-übertragbare Krankheiten. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes. Über sechs Millionen Menschen in Deutschland sind an Diabetes erkrankt, seit 1998 ist diese Zahl um 38 Prozent gestiegen.
Die Gesundheitsexperten und Foodwatch fordern ein flächendeckendes, für alle geltendes Werbe-Verbot für solche Produkte, die laut den neuen WHO-Nährwertkriterien als ungesund gelten. Das sind Produkte wie Schokolade, Energieriegel, süße Backwaren, Fruchtsäfte, Energy-Drinks und Speiseeis.
Im Frühjahr 2015 hat die WHO Europa eine Methode veröffentlicht, die es Regierung erlaubt, die Lebensmittel nach einheitlich festgelegten Kriterien in gesunde und ungesunde Lebensmittel zu unterscheiden und daran Werbeverbote zu knüpfen. Für Stefanie Gerlach von der Deutschen Diabetes-Hilfe eine Chance für ganz Europa. „In der EU haben bislang nur vier Länder, darunter Irland und Großbritannien, einige Einzelmaßnahmen veranlasst, die den neuen WHO-Kriterien entsprechen“, so Gerlach.
„Gröhe ist Fehl am Platz“
„Es muss ein Gesetz her, dass das Marketing für Kinder endlich effektiv regelt“, fordert auch Foodwatch-Chef Thilo Bode.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe habe sich in der Vergangenheit positiv zum EU Pledge geäußert, erinnert sich Bode. „Wer die Aufgabe hat, unsere Kinder zu schützen, das aber mit Mitteln macht, die nachweislich nicht greifen, betreibt das Geschäft der Lebensmittelindustrie auf Kosten unserer Kinder. So ein Minister ist Fehl am Platz.“
EU Pledge: „Irreführende“ Studie
Die EU Pledge Initiative nennt den Foodwatch-Bericht „irreführend“. Die Lebensmittel-Firmen hätten sich bereits auf gemeinsame Kriterien für gesunde Lebensmittel geeinigt sowie Regeln aufgestellt, welche Produkte unter 12-Jährigen verkauft werden dürften und welche nicht. „Diese essentielle Tatsache haben die Autoren der Foodwatch-Studie einfach unter den Tisch fallen lassen.“
EU Pledge habe deutliche Fortschritte im Kampf gegen schädliche Kinderwerbung erreicht. Das bestätige auch ein unabhängiger Monitoring-Bericht, der jährlich durchgeführt werde, so der EU Pledge. Ein Beispiel: Im Vergleich zu 2005 konsumiere heute ein Kind unter 12 Jahren in der EU-weit 88 Prozent weniger Werbung, die gegen die EU-Pledge-Lebensmittelkriterien verstoßen.