Was treibt die Chefin eines bayrischen Maschinenbau-Unternehmens an, eine Unternehmer-Initiative gegen das geplante Friehandelsabkommen TTIP ins Leben zu rufen? Martina Römmelt-Fella über die Nachteile, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) durch TTIP auf sich zurollen sehen – und den Erfolg von „KMU gegen TTIP“.
Martina Römmelt-Fella ist Geschäftsführerin der FELLA Maschinenbau GmbH aus Amorbach im Bayerischen Odenwald und Initiatorin von „KMU gegen TTIP„.
Die Initiative „KMU gegen TTIP“ wurde Anfang September von fünf Unternehmern aus unterschiedlichen Bundesländern gegründet. Sie fordern den sofortigen Stopp der TTIP-Verhandlungen. Warum?
In das Abkommen wurde einfach zu viel hinein gepackt: Sämtliche Wirtschaftsbereiche, öffentliche Daseinsvorsorge, Kultur, Landwirtschaft und und und. Wir glauben, dass man einen Neustart machen muss und ganz am Anfang klären, was eigentlich alles mit TTIP geregelt werden soll – wir setzen uns also für einen Positivliste ein, verbunden mit konkreten Anforderungen an Standards, Transparenz, Folgenabschätzung und demokratische Abläufe.
Die Initiative soll der Kritik an TTIP aus den Reihen der Unternehmer eine Stimme geben. Woran merken Sie derzeit überhaupt, dass diese auch gehört wird?
Das Echo ist enorm, weil Wirtschaftsunternehmen bisher kaum als Kritiker aufgetreten sind. Zeitungen und Fernsehen berichten über die Initiative, so unterschiedliche Blätter wie die linksliberale tageszeitung in Berlin oder die FAZ in Frankfurt haben reagiert. Besonders wichtig ist uns, dass auch die Industrie- und Handelskammern und andere Verbände der Wirtschaft jetzt die Kritiker in den eigenen Reihen ernster nehmen und auch Vertreter von „KMU gegen TTIP“ zu öffentlichen Podien und zum internen Meinungsaustausch einladen. Das gab es bisher kaum. Die Kritiker kamen in den Verbänden der Wirtschaft nicht zu Wort.
DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier sagt, die EU-Kommission und die Bundesregierung hätten deutlich gemacht, wie sie die von „KMU gegen TTIP“ genannten Risiken ausschließen wollten. Stimmt das?
Treier gibt in der Tat an, dass ein TTIP-Vertrag fair, transparent und im Sinne der europäischen Standards sein müsse. Das hören wir gerne. Aber schon die diskutierten Alternativen zum Investor-State-Dispute-Settlement (ISDS) – besser bekannt als Schiedsgerichtshöfe – zeigen, was es da noch für enorme Lücken gibt. Und die DIHK stützt sich bei den Befragungen ihrer Unternehmen weiter einseitig auf die Firmen, die schon stark im Export sind. Firmen, die sich auch in Zukunft vor allem in einem regionalen Markt sehen, werden nicht berücksichtigt. Dabei erwarten gerade diese Firmen für sich Nachteile.
Wenn Herr Treier behauptet „die europäischen Verbraucher-, Umwelt- und Sozialstandards bleiben erhalten“ – ist das nicht mehr als ein frommer Wunsch. Da fehlt uns der Glaube. Denn im Rahmen der Verhandlungen hat die EU-Seite schon heute den Grenzwert für das krebserregende Captan enorm abgeschwächt. Und die von den europäischen Verbrauchern geforderte Kennzeichnungspflicht für Produkte wie Milch von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, verschwand im Rahmen der Verhandlungen wieder in der Schublade. Auch die Aufhebung des Verbots von Milchsäurebehandlung von Rindfleisch ist ein konkretes Beispiel für die Absenkung von Standards.
Herr Treier behauptet „Daseinsvorsorge wird gewährleistet“ – was angesichts des Verhandlungsauftrags einer „ehrgeizigen Liberalisierung“ wenig glaubwürdig ist. Forderungen der kommunalen Auftragsvergabe, wie Tariftreue- und Nachhaltigkeitsanforderungen, lokale Entwicklung oder Verwendung lokaler Produkte in Schulmensen, dürfen mit TTIP und CETA nicht mehr gestellt werden. Und die bestehende Privilegierung kleiner und mittlerer Unternehmen würde ausgehebelt – übrigens auch die in Amerika sehr starke Bewegung „buy american“.
In Zukunft erforderliche oder wünschenswerte neue Öffentliche Dienste und solche, die bei Vertragsabschluss übersehen worden sind, können nur noch im Einverständnis mit den USA in die Negativliste aufgenommen und damit von der Liberalisierung ausgenommen werden.
Zur Daseinsvorsorge liegen sehr viele unpräzise und komplexe Regelungen mit etlichen Ausnahmen und Besonderheiten vor. Von Juristen wird erwartet, dass die Regelungen angreifbar sind und zu Schadensersatzforderungen führen werden.
Seit Anfang September haben inzwischen über 1.700 Unternehmer die Initiative unterzeichnet. In Deutschland gibt es aber mehrere Millionen KMUs. Ist die Mehrheit pro-TTIP?
Für die Mehrheit der 2,2 Millionen KMU in Deutschland ist TTIP bisher zu weit weg. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer, gerade die kleinen, fühlten sich erst mal nicht konkret betroffen und haben neben der Arbeit in den Betrieben vielleicht auch wenig Zeit, sich damit zu befassen. Das liegt auch daran, dass die Verhandlungen und ihre möglichen Folgen so wenig transparent sind. Was folgt aus TTIP für kleine Pharmaunternehmen? Was kommt auf den Maschinenbau zu? Was hat die Landwirtschaft zu erwarten? Wir wollen solche Branchen schützen und nicht ein böses Erwachen erleben, wenn das Europaparlament irgendwann einen fertigen Vertrag vorgesetzt bekommt, der dann als nicht mehr veränderbar gilt.
Frankreich hat bereits offen mit dem Abbruch der TTIP-Verhandlungen gedroht. Sigmar Gabriel hat bislang immer gesagt, ein Abbruch der Verhandlungen führe zu nichts und stehe auch nicht zur Debatte. Wie erklären Sie sich diese Haltung?
Die Haltung des zuständigen französischen Staatssekretärs Matthias Fekl zeugt von Verantwortungsbewusstsein. Diese Haltung vermissen wir bei unserem Wirtschaftsminister. Anstatt mit den hunderttausenden TTIP-Kritikern im direkten Dialog zu sprechen, macht er via großseitigen Anzeigen Pro-TTIP-Propaganda á la „Bangemachen gilt nicht“. Dabei ist es kein Phänomen von „German Angst“, das uns TTIP kritisieren lässt. Wir haben stichhaltige Argumente, viele offene Fragen und können ernstzunehmende Risiken nachweisen, wenn wir auf bestehende Freihandelsabkommen wie NAFTA schauen.
Nebenbei bemerkt: Es ist allseits völlig unstrittig, dass die Konzerne großen Einfluss auf die Verbände der Wirtschaft und auch direkt auf den Wirtschaftsminister haben. Die Großunternehmen versprechen sich Vorteile von TTIP – auch auf Kosten der kleinen und mittleren Unternehmen, die oft regional verwurzelt sind und mit besonderen Produkten Marktnischen bedienen. Die amerikanischen Verhandler wollen solche Märkte für ihre Unternehmen erobern, ohne aber den eigenen Markt für die Europäer zu öffnen – so hat sich Frankreichs Außenhandels-Staatssekretärs Matthias Fekl geäußert. Für diese Einseitigkeit hat man im stolzen Frankreich vielleicht ein besseres Gespür als hierzulande.
Die EU-Kommission plant nun die Einführung eines modernen Investitionsgerichts-Systems (ICS). Das umstrittene Investor-State-Dispute-Settlement (ISDS) ist damit endgültig vom Tisch. Sehen Sie darin einen Fortschritt in den Verhandlungen?
Was die EU-Kommission plant, was die Amerikaner übernehmen oder was davon dann doch wieder in den Verhandlungen unter den Tisch fällt, das ist doch völlig unklar. Außerdem geben Kritiker schon jetzt zu bedenken, dass US-Unternehmen dann die Schiedsgerichte in Anspruch nehmen, die im CETA-Abkommen mit Kanada verankert sind und auch nicht geändert werden sollen.
Für TTIP hat EU-Handelskommissarin Malmström dem Mechanismus einen neuen Namen gegeben: ISDS ist jetzt ICS („Investment Court System“). Doch der Kern bleibt gleich. Nach wie vor wird damit ein paralleles Rechtssystem aufgebaut, das nur ausländischen oder multinationalen Unternehmen offen steht. Klagemöglichkeiten bestehen nur für diese Unternehmen gegen Staaten wegen deren Regulierung, nicht aber für Staaten oder gesellschaftliche Organisationen vorgesehen. Dieses Rechtssystem dient so vor allem den Konzernen, die ihre Interessen durchsetzen wollen.
Bereits jetzt werden solche Instrumente zunehmend dafür genutzt, um etwa gegen Anti-Tabak-Gesetze, Verbote giftiger Stoffe, Regulierungen im Bergbau, Vorgaben bei Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie Regulierungen von gefährlichem Abfall, Steuermaßnahmen und Fiskalpolitik zu klagen. Die durchschnittlichen Verfahrenskosten von acht Millionen Euro pro Schiedsverfahren können die wenigsten KMU aufbringen. Mit dem Investitionsschutz würde also ein Zweiklassenrecht für Unternehmen eingeführt. Ausländische Investoren haben kein unternehmerisches Risiko mehr zu tragen, weil sie jederzeit Schadenersatz für neue Gesetze, die ihre Profite beeinträchtige könnten, einklagen könnten. Diese Möglichkeit steht kleinen und mittleren Unternehmen, die im Binnenmarkt aktiv sind, nicht zu.
Welche nächsten Schritte plant die Initiative „KMU gegen TTIP“?
Wir beginnen damit, die möglichen Folgen von TTIP für die einzelnen Branchen wie Maschinenbau, Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung, Pharma und Kultur im Detail zu untersuchen und hoffen, dadurch auch mehr Unternehmerinnen und Unternehmer für dieses sperrige Thema zu interessieren. Unser nächstes Zwischenziel sind dann im kommenden Jahr 5.000 Unterschriften. Damit bleiben wir dann auch mit den Wirtschaftsverbänden im Gespräch. Daneben werden wir verstärkt zu aktiven Teilnahmen an Veranstaltungen zum Thema „TTIP und KMU“ eingeladen – und planen auch die Organisation von eigenen Veranstaltungen zur Aufklärung von kleinen und mittleren Unternehmen.