Ob Luxleaks, Dieselgate oder Panama Papers – Unternehmen nutzen Gesetzeslücken, um sich unter dem Deckmantel von Geschäftsgeheimnissen weltweit Vorteile zu sichern. Dennoch will das Europäische Parlament über eine Richtlinie zur Ausweitung der Geschäftsgeheimnisse abstimmen, die weitreichende Konsequenzen für Whistleblower, Journalisten und Arbeitnehmerrechte haben könnte.
Nach dem aktuellen Skandal der „Panama Papers“ betonen viele Politiker die Wichtigkeit, bestimmte von Unternehmen geheim gehaltene Informationen zu veröffentlichen und Whistleblower zu schützen. Jetzt hat das EU-Parlament einen neuen Entwurf zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen auf dem Tisch. „Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Europäischen Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung“, heißt der ausführliche Name des Entwurfes, der schon seit seiner ersten Veröffentlichung in der Kritik steht, weil er bei entscheidenden Punkten eben nicht ausführlich genug ist.
Was ein Geheimnis ist, bestimmt das Unternehmen
Eine Initiative bestehend aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju), dem gemeinnützigen Recherchebüro CORRECT!V und anderen hatte bereits im Sommer 2015 in einem offenen Brief darauf hingewiesen, dass diese Richtlinie „in erheblichem Umfang die Meinungs- und Pressefreiheit“ beschränkt.
Obwohl die EU mit der Richtlinie unfaire Wettbewerbspraktiken zwischen Unternehmen und Firmenspionage bekämpfen will, schafft sie mit dem Entwurf erhebliche Rechtsunsicherheiten für Whistleblower, investigative Journalisten und Arbeitnehmer. Denn im Wesentlichen haben nach der Richtlinie ausschließlich Unternehmen das Recht zu bestimmen, was ein Geschäftsgeheimnis ist oder nicht.
Damit wird der Umfang der zu schützenden Geheimnisse in der neuen EU-Richtlinie viel weiter gefasst, als das in vielen Mitgliedsstaaten zurzeit der Fall ist. Artikel 2 des Entwurfes bewertet beinahe alle internen Informationen eines Unternehmens als schützenswert und schließt Informationen über illegale und kriminelle Aktivitäten oder laufende Untersuchungen darüber nicht explizit aus der Geheimhaltung aus. Das kann zu weitreichenden Änderungen im Strafrecht einiger Mitgliedstaaten führen, die dann ihre Strafgesetze entsprechend der neuen Definition anpassen müssten.
Für Deutschland ist diese Richtlinie ein Rückschritt. Deutsche Unternehmen müssen bisher beweisen, inwieweit bestimmte Geschäftsinformationen für sie „ein berechtigtes Interesse“ auf Geheimhaltung darstellen und können laufende Recherchen über bestimmte Informationen nicht unterbinden. Das könnte sich mit der neuen Richtlinie ändern.
Whistleblower unter Beschuss
Auch die Beweislast wird im neuen Entwurf umgekehrt. Jetzt müssen ertappte Whistleblower und investigative Journalisten damit rechnen, durch Unternehmen verklagt zu werden, wenn sie Informationen ohne vorherige Zustimmung des Unternehmens weitergeben und nicht beweisen können, dass diese von „allgemeinem öffentlichen Interesse“ sind. Der Knackpunkt der neuen Richtlinie: Was ein „öffentliches Interesse“ ist, wird im Entwurf nicht definiert.
Somit könnte die Aussage der Firma Mossack Fonseca zum „Panama Papers“-Skandal (3. April 2016): „Wir hoffen, dass Sie sich voll und ganz bewusst sind, dass der rechtswidrige Erhalt dieser Informationen/Unterlagen ein Verbrechen ist und wir nicht zögern werden, alle zur Verfügung stehenden Mittel der Straf- und Zivilgesetzgebung zu nutzen“, durch eine Verabschiedung der neuen Richtlinie eine völlig neue Dimension bekommen.
In diesem Machtungleichgewicht zwischen Unternehmen und Whistleblowern, die sich langwierige juristische und kostspielige Auseinandersetzungen oft nicht leisten können, sehen die Kritiker des Entwurfes eine Abschreckungstaktik.
„Es ist unverantwortlich, dass Konservative und Sozialdemokraten sich auch von den jüngsten Enthüllungen zu Briefkastenfirmen in Panama nicht davon abbringen lassen, die Geheimniskrämerei von Firmen auszuweiten und im öffentlichen Interesse handelnde Whistleblower abzuschrecken,“ so Julia Reda, Mitglied des Europäischen Parlamentes, Fraktion Die Grünen/EFA.
Bereits im Januar 2015 hatte die französische Regierung versucht, Whistleblower durch ein Gesetz abzuschrecken, das drei Jahre Gefängnis und ein Bußgeld in Höhe von 375.000 Euro für die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen drohte. Das Gesetz scheiterte zwar, gibt aber einen Ausblick auf die Möglichkeiten der neuen Richtlinie.
Einschränkung von Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechten
Da die geplante EU-Richtlinie keine Unterscheidung macht, für welchen Zweck geheime Informationen erworben, verwendet oder offengelegt (Artikel 4) werden, schützt sie also nicht nur Unternehmen vor Industriespionage und unlauteren Wettbewerb, sondern schließt auch legitime Gründe für die Offenlegung von Informationen aus.
Nicht nur dem TÜV wurde mit dem Verweis auf Geschäftsgeheimnisse durch die Automobilhersteller untersagt, die Motor-Software für Emissionstests zu inspizieren, auch die EU stützte ihre umstrittene Einschätzung, dass der Wirkstoff von Monsantos Herbizid Glyphosate ein „unwahrscheinliches“ Krebsrisiko darstellt teilweise auf Industrie-gesponserte Studien, die von unabhängigen Wissenschaftlern wegen ihrer Geheim-Klassifizierung für eine Prüfung nicht zur Verfügung standen.
Gewerkschaften wie der DGB laufen seit längerem Sturm gegen die geplante Umsetzung der Richtlinie in der gegenwärtigen Fassung. Da die Arbeitgeber praktisch in der Hand haben, welcher Information sie den Status eines Geschäftsgeheimnisses verleihen, hat das auch weitreiche Auswirkungen auf den Arbeitnehmerschutz. Bei der Überarbeitung des Richtlinien-Entwurfs wurde zudem eine Klausel gestrichen, die vorsah, die während einer Tätigkeit gewonnenen Erkenntnisse nicht als Geschäftsgeheimnis einzustufen. Damit könnten Arbeitnehmer nun noch sechs Jahre nach einem Arbeitsplatzwechsel von ihrem früheren Arbeitgeber verklagt werden. Die EU-Richtlinie selbst sieht keine genauen Sanktionen vor. In welchem Umfang ein Arbeitnehmer verurteilt werden kann, würde dann wieder in der Obliegenheit jedes einzelnen Mitgliedsstaates liegen.