Das französische Parlament soll am heutigen Dienstag das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU (CETA) ratifizieren. Diese anstehende Ratifizierung stößt im Land jedoch auf großen Widerstand. EURACTIV Frankreich berichtet.
Am Dienstagmorgen wird die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg in der französischen Nationalversammlung erwartet. Thunberg war von der größten Fraktion der Kammer, Präsident Emmanuel Macrons La République En Marche (LREM), eingeladen worden.
Am Nachmittag sollen dieselben Abgeordneten über die Ratifizierung des nach wie vor umstrittenen Freihandelsabkommens CETA abstimmen. Dieses wird in Frankreich unter anderem wegen seiner möglichen Umweltauswirkungen kritisiert. Die beiden heutigen Tagesordnungspunkte der Nationalversammlung stehen nach Ansicht vieler Beobachter daher in einem gewissen Widerspruch zueinander.
„Wie können wir nur so inkonsequent sein?“, fragte beispielsweise der Erste Sekretär der Sozialistischen Partei Frankreichs, Olivier Faure, in einem Interview mit dem Nachrichtensender CNews.
Opposition im französischen Parlament
Zu den CETA-kritischen Grünen, der radikalen Linken, aber auch der extremen Rechten gesellten sich 25 Abgeordnete der konservativen Partei Les Républicains (LR). Sie befürchten unter anderem, dass das Freihandelsabkommen den europäischen Rindfleischsektor destabilisieren wird.
Diese 25 LR-Abgeordneten veröffentlichten gemeinsam einen Artikel in der französischen Wochenzeitung Journal du Dimanche, in dem sie sich eindeutig gegen die Ratifizierung von CETA aussprechen. Der Titel: „Lebensmittel dürfen keine Klassenfrage sein“.
Die üblicherweise freihandelsfreundlichen Abgeordneten argumentieren: „Wer CETA nicht genehmigen will, wird wie ein abscheulicher reaktionärer Protektionist, der von der Welt abgehängt wurde, dargestellt. Allerdings ist eine solche Darstellung zu simpel und eine reine Karikatur.“
LREM-Mitglieder beschuldigten die Konservativen im Gegenzug, „politische Opportunisten“ zu sein.
Am gestrigen Montag äußerte sich dann auch der ehemalige Minister für Umwelt und die Energiewende, Nicolas Hulot, der die Parlamentsabgeordneten aufforderte, „den Mut zu haben, nein zu sagen“.
„Wir haben es versäumt, die notwendigen Garantien für ein Klima-Veto, in Bezug auf tierisches Knochenmehl, neue genetisch veränderte Organismen (GVO) und die Wahrung des europäischen Vorsorgeprinzips zu bieten. Wir haben es nicht geschafft, die europäische Handelspolitik zu reformieren,“ schreibt Emmanuel Macrons ehemaliger Verbündeter in einem weiteren CETA-kritischen Artikel.
Vor allem warnt Hulot vor einer Senkung der Gesundheitsstandards, die sich aus der Ratifizierung von CETA abzuleiten scheine.
CETA und die europäischen Standards
Die EU beginnt tatsächlich bereits damit, die für bestimmte Stoffe und Produkte zulässigen Rückstandshöchstmengen anzuheben – eine Harmonisierung der europäischen mit den kanadischen Rechtsvorschriften, die zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher gehen könnte.
So hat die EU-Kommission bereits vorgeschlagen, die Menge der zulässigen Rückstände von Clothianidin zehnfach zu erhöhen. Dieses neonicotinoide Pestizid ist in Europa verboten, wird aber in Kanada im Kartoffelanbau verwendet.
Das Europäische Parlament blockiert diesen Vorschlag der Kommission bisher.
Der Ex-Minister Hulot zeigte sich auch unzufrieden, dass Kanada, die USA und Brasilien die EU vor der Welthandelsorganisation kritisiert haben. Sie würden der EU vorwerfen, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, um endokrine Disruptoren und andere Karzinogene, Mutagene und reprotoxische Substanzen zu verbieten.
„Wenn alle Lobbyvereinigungen doch bereits versuchen, die Tür einzuschlagen, warum sollten wir ihnen dann auch noch CETA als Rammbock zur Verfügung stellen?“, fasst Hulot seine Bedenken zusammen.
Trotz dieses „Aufschreis“ von nahezu allen politischen Gegner baut die Regierung von Édouard Philippe auf ihre solide Mehrheit im Parlament (304 von 577 Abgeordneten), um das Freihandelsabkommen um jeden Preis zu ratifizieren.
Laut einer Studie des französischen Instituts für öffentliche Meinung (Ifop) für die Zeitung Fakir ist die allgemeine französische Bevölkerung in Bezug auf CETA jedoch ebenfalls gespalten.
Laut der Umfrage befürworten rund 50 Prozent der Befragten CETA. Dabei sprechen sich immerhin noch 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler der linken La France Insoumise für das Freihandelsabkommen aus, während 51 Prozent der Mitglieder der Sozialistischen Partei es unterstützen. Unter den Wählerinnen und Wählern von LREM befürworten 72 Prozent CETA.
Als den Befragten jedoch erläutert wurde, dass Kanada Tiere mit Tierknochenmehl füttert und genetisch verändertes Lachsfleisch produziert, sprachen sich 80 Prozent gegen die Einfuhr solcher Produkte nach Frankreich aus.
Der Verkauf von GVO-Lachs und Fleisch von Tieren, die mit tierischem Knochenmehl gefüttert werden, ist in Europa derzeit verboten.
Dennoch dürften die Bedenken über CETA – insbesondere in Bezug auf die europäischen Normen und Standards sowie den zulässigen Pestizideinsatz – bei der heutigen Debatte und Abstimmung in Frankreich ein gewichtiges Thema sein.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]