Die Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsstaaten werden in diesem Jahr um 7,4 Prozent schrumpfen. Das Coronavirus dürfte somit die schlimmste Rezession in der Geschichte des Blocks verursachen, zeigt die Frühjahrsprognose der Europäischen Kommission.
Auch für die Eurozone wird ein Rekordrückgang von 7,7 Prozent des BIP erwartet. Im Jahr 2009, dem wirtschaftlich härtesten Jahr während der letzten Krise, war das BIP der gesamten EU um „nur“ 4,3 Prozent gefallen.
Schon in einem ersten Entwurf der Prognose, über den EURACTIV.com bereits Ende März berichtet hatte, war vor der vermutlich größten Rezession der EU gewarnt worden.
Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni erklärte am heutigen Mittwoch dazu: „Sowohl die Schwere der Rezession als auch die Stärke der Erholung werden ungleichmäßig sein, bedingt durch die Geschwindigkeit, mit der die Lockdowns aufgehoben werden können.“ Entscheidend dürften auch „die Bedeutung von Dienstleistungen wie dem Tourismus in den einzelnen Volkswirtschaften sowie die finanziellen Ressourcen der einzelnen Länder sein.“
Sobald die Gesundheitskrise allmählich überwunden wird und die Einschränkungen aufgehoben sind, werde es eine langsame Verbesserung der europäischen Produktion bis zum Jahresende geben, erwartet die Kommission. Im Jahr 2021 dürfte der Aufschwung dann sowohl für die EU insgesamt (plus 6,1 Prozent) als auch für die Eurozone (6,3 Prozent) signifikant sein.
Trotz dieses deutlichen Wachstums, das für das kommende Jahr erwartet wird, werde die Eurozone nicht alles an Boden zurückgewinnen, was aktuell verloren gehe, räumte der Kommissar allerdings ein. Die wirtschaftliche Erholung 2021 könne indes deutlicher ausfallen, wenn sich die Mitgliedsstaaten auf einen ehrgeizigen, gemeinsamen Konjunkturimpuls einigen.
Tatsächliche Auswirkungen nach wie vor unklar
Gentiloni betonte auch, dass die Erstellung der Prognose eine Herausforderung war, und dass weiterhin viele Risiken bestehen, die die wirtschaftlichen Aussichten noch weiter verschlechtern könnten. Dazu gehören eine länger andauernde oder noch schwerwiegendere Pandemie als erwartet, eine Fragmentierung des Binnenmarktes, andere finanzielle Turbulenzen und eine befürchtete neue Protektionismus-Welle.
Insgesamt spiegele die Frühjahrsprognose aber die verheerenden Auswirkungen der Pandemie aktuell gut wider. Das Coronavirus werde sich in Form von geringeren Investitionen der Unternehmen, einem Rückgang der EU-Exporte, höheren Defizit- und Schuldenständen sowie mehr Arbeitslosigkeit auswirken.
Gentiloni erklärte weiter, der erwartete Anstieg der Arbeitslosigkeit sei bisher dank der von verschiedenen Mitgliedsstaaten eingeführten Kurzarbeitsregelungen weitgehend eingedämmt worden. Aus diesem Grund sei die Situation auf den europäischen Arbeitsmärkten weniger dramatisch als der Produktionsrückgang – oder die Auswirkungen in anderen Ländern, wie beispielsweise den USA.
Die Arbeitslosigkeit in der Gesamt-EU werde laut den Prognosen von 6,7 Prozent im vergangenen Jahr auf 9,0 Prozent im Jahr 2020 steigen und dann im kommenden Jahr wieder langsam auf 7,9 Prozent sinken.
Mittel für den Wiederaufbau & Warnung vor Ungleichheit
Die EU hat diverse Instrumente vorgeschlagen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu bekämpfen, darunter ein Liquiditätsplan in Höhe von 540 Milliarden Euro, der über verschiedene Institutionen abgewickelt wird. Der Großteil dieses Geldes, rund 240 Milliarden Euro, wird den Mitgliedstaaten der Eurozone im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung gestellt.
Gentiloni sprach heute keine explizite Empfehlung für zinsgünstige ESM-Darlehen für Länder wie Italien und Spanien aus, die von der Pandemie besonders stark betroffen sind. Er betonte jedoch, dass der Rettungsfonds der Eurozone eine „Chance“ für einige Länder darstelle, die angesichts der besseren Bedingungen im ESM mit niedrigeren Zinssätzen rechnen können, als wenn sie ihre Schulden auf den Märkten finanzieren.
In ihrer Prognose weist die Kommission erneut auf die mögliche Gefahr einer ungleichmäßigen Erholung hin, da einige Mitgliedsstaaten über deutlich weniger öffentliche Mittel zur Unterstützung ihrer Unternehmen und Privathaushalte verfügen.
Die EU-Exekutive warnt, dass dies zu „schwerwiegenden Verzerrungen innerhalb des Binnenmarktes“ führen und die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Eurozone weiter verschärfen dürfte, was „letztlich die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion gefährden könnte“.
Um diesem Risiko entgegenzuwirken, so Gentiloni, diskutiere die Kommission die Möglichkeit eines gesamteuropäischen Instruments zur Unterstützung von Unternehmen durch die Zuführung von Kapital.
Dies wäre „ein gutes Instrument, um die Risiken von Ungleichgewichten“ im Binnenmarkt auszugleichen.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]