Es war eine schwere Geburt: Nach 21 Stunden Verhandlung, aufgeteilt auf zwei Tage, stand das deutsche 130-Milliarden-Konjunkturpaket am Mittwoch (3. Juni) kurz vor Mitternacht. Das Ergebnis wird von allen Seiten überraschend positiv aufgenommen.
„Machen wir uns nichts vor: Wir haben in der wirtschaftlichen Entwicklung die Talsohle noch nicht durchschritten“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf einer Pressekonferenz am Folgetag zur Vorstellung des Paketes. Doch er rechne damit, dass die Wirtschaft schon in der zweiten Hälfte dieses Jahres wieder wachse. Und wenn das Paket funktioniere, könne das Wachstum in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 wieder zu alter Stärke zurückfinden oder sogar übersteigen. „Es ist Licht am Ende des Tunnels“, so Altmaier.
Funktionieren soll das über einen Mix aus Entlastungen und Zuschüssen für BürgerInnen und Unternehmen sowie mit staatlichen Investitionen. So sollen Überbrückungshilfen vor allem mittelständischen Unternehmen durch die nächsten Monate helfen, etwa indem Betriebskosten zu einem Teil übernommen werden. Familien erhalten einen Kinderbonus von 300 Euro und profitieren von Investitionen in Kindertagesstätten und Krippen.
Eine Senkung der Mehrwertsteuer soll garantieren, dass „der Aufschwung bei allen ankommt“, sagte Altmaier. Glaubt man Markus Söder (CSU), sollte damit aber vor allem die fallen gelassene Autokaufprämie ersetzt werden.
Kritik kommt aus der Opposition: Zwar enthalte das Konjunkturprogramm „einige gute, wichtige Aspekte“, so FDP-Fraktionsvize Michael Theurer, insgesamt aber habe sich die Koalition „mit diesem wilden Sammelsurium an unausgegorenen, sehr teuren, aber ineffizienten Vorschlägen mächtig verstolpert“.
Wirtschaftsverbände hoffen auf Langzeitwirkung
Erste Reaktionen aus der Wirtschaft fallen weitgehend positiv aus. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), lobt den „branchenübergreifenden Ansatz“. Allerdings müssen „Planungsverfahren in den kommenden Monaten auch wie geplant beschleunigt werden“, so Schweitzer – und er hofft, dass der durch die Pandemie angestoßene Digitalisierungsschub in der Verwaltung nicht wieder verpufft.
Auch vom Bundesverband der Freien Berufe (BFB) kommen lobende Worte, Präsident Peter Klotzki begrüßt ausdrücklich die wirtschaftlichen Impulse des Pakets. Allerdings verortet Klotzki Verbesserungspotential, beispielsweise müssten verstärkt Verluste berücksichtigt werden, die Unternehmen erst in den kommenden Monaten ins Haus stehen.
Aus wissenschaftlicher Sicht vergibt das Institut für Wirtschaftsforschung (IFO) gute Noten, Direktor Clemens Fuest nennt es „größtenteils gut durchdacht“, fürchtet aber, dass die Steuersenkungen mit Ende 2020 zu früh auslaufen werden: „Es ist nicht zu erwarten, dass die Krise bis dahin vorbei ist“, so Fuest in einer Presseaussendung.
Viel Geld für die Umwelt
Auch der Umweltschutz kommt nicht zu kurz: 50 Milliarden Euro sollen im Rahmen eines „Zukunftspaketes“ in umweltfreundliche Technologien wie Wasserstoff, Elektromobilität oder Sektorkopplung fließen. Klima-Experten zeigen sich weitestgehend erfreut: Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der deutschen Umwelthilfe, begrüßt den Schritt, dass die große Koalition sich endlich auf ein Ausbauziel von 5 GW grünen Wasserstoff bis 2030 geeinigt hat. Zwar wären 10 GW besser gewesen, damit werde aber immerhin „die monatelange Hängepartie“ um das Thema beendet.
And…that's it on climate, unless I've missed something (which may very well be the case). I'm surprised that there are relatively few (if any?) measures for the climate transition of e.g. the industry beyond hydrogen supply & the car sector after there were prominent calls…
— Felix Heilmann (@HeilmannFelix) June 3, 2020
Felix Heilmann, Analyst beim Klima Think Tank E3G, weist auf einen Wermutstropfen hin: „Ich bin überrascht, dass sich sehr wenige Maßnahmen für die Klimawende der Industrie finden“, schreibt er auf Twitter. Das liege vielleicht daran, dass „die Regierung keine ausreichenden Kurzzeit-Effekte darin sieht. Trotzdem ist der Umbau der Industrie essentiell, wenn wir auf Netto-Null zusteuern wollen“. Der Klima- und Energiepolitiker der Linken im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, hätte sich ebenfalls mehr Maßnahmen für die Industrie gewünscht. Es gebe keine konkreten Klimavorgaben für Unternehmen, andere EU-Länder hätten hier „deutlich ambitioniertere Pläne.“
Stattdessen setzt die große Koalition auf Hilfen, zum Beispiel, indem die EEG-Umlage durch elf Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt gesenkt wird oder zusätzliche zwei Milliarden Euro in die energetische Renovierung von Gebäuden fließen sollen. Eine „gute Entscheidung, kommentiert Thomas Engelke Teamleiter Energie und Bauen bei der Verbraucherzentrale. „Es muss jetzt daran gearbeitet werden, diese Mittel für 10 Jahre fortzuschreiben“.
„Totale Fehlstelle“ bei Erneuerbaren Energien
Erleichterung vor allem, weil es nicht zu einer Abwrackprämie für Autos gekommen ist. Stattdessen werden die Kaufprämien für Elektroautos auf 6.000 Euro bis Ende nächsten Jahres verdoppelt, außerdem sollen besonders schmutzige Autos ab kommendem Jahr höhere Kfz-Steuern zahlen. Dazu kommt eine „Innovationsprämie“ für Autobauer, sie enthält mehr als zwei Milliarden Euro für Hybridautos. Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings, nennt die Absage an die Wünsche der Autoindustrie geradezu „historisch“.
Eine „totale Fehlstelle“ sieht hingegen Constantin Zerger, Leiter der Abteilung Klimaschutz bei der deutschen Umwelthilfe im Bereich der erneuerbaren Energien. Es gebe keine neuen Ziele für deren Ausbau erneuerbarer Energien, der Ausbaupfad von 65% grünem Strom bis 2030 bleibe unambitioniert, bürokratische Hürden würden nicht abgebaut.