Die EU-Kommission hat angekündigt, die europäischen Vorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen zu überarbeiten. Gewerkschaften und Umweltschützer hoffen, dass damit soziale und ökologische Kriterien tatsächlich gesetzlich verankert werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte im Juli ihre Absicht an, die derzeitigen, zehn Jahre alten EU-Vorschriften für das öffentliche Beschaffungswesen zu überarbeiten.
Die aktuellen Vorschriften, die eine Vielzahl von Kriterien festlegen, die Behörden bei der Auftragsvergabe von Produkten oder Dienstleistungen berücksichtigen können, führen zurzeit zu großer Rechtsunsicherheit, erklärten Experten gegenüber Euractiv.
Dies betreffe unter anderem die Preisgestaltung, Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeitskriterien.
Knappe Kassen, hohe Arbeitsbelastung und „Risikoaversion“ seien die Hauptursachen für die anhaltende Tendenz, sich ganz allein auf den Kostenaspekt zu konzentrieren, sagte Valentina Schippers-Opejko, Koordinatorin für innovative und verantwortungsvolle öffentliche Beschaffung bei der niederländischen Gemeinde Haarlem.
„Es gibt sehr große Unterschiede […]: Es gibt sehr fortschrittliche Gemeinden und Mitgliedstaaten, die die öffentliche Beschaffung als strategisches Instrument nutzen und viel erreichen“, sagte Schippers-Opejko, welche eine Arbeitsgruppe für öffentliche Beschaffung bei Eurocities, einem Netzwerk von über 200 europäischen Städten, leitet.
„Aber es gibt auch sehr einfache Beschaffungen, bei denen nur auf den niedrigsten Preis geachtet wird und das war’s“, fügte sie hinzu.
„Ich hoffe, dass […] neue Gesetze den Einsatz innovativerer Formen der Beschaffung ermöglichen werden“, insbesondere um die Flexibilität zu erhöhen und den Zugang für kleine und mittlere Unternehmen zu vereinfachen, sagte sie.
EU will Regeln aktualisieren
In ihrer Aufgabenbeschreibung für Stéphane Séjourné, den designierten geschäftsführenden EU-Kommissions-Vizepräsidenten für Industriepolitik, beauftragte von der Leyen ihn mit der Überarbeitung dieser Regeln.
Er soll „die Versorgungssicherheit für bestimmte wichtige Technologien, Produkte und Dienstleistungen gewährleisten“ und die Regeln gleichzeitig „vereinfachen und den Verwaltungsaufwand reduzieren“.
Laut Gewerkschaften werde dabei jedoch das Kriterium für die Arbeitsbedingungen übergangen. Sie schlagen vor, nur Unternehmen für öffentliche Aufträge auszuwählen, die bestimmte Bedingungen erfüllen, wie beispielsweise eine tarifgemäße Bezahlung.
„In den arbeitsintensiven Sektoren Reinigung, Sicherheit und Catering machen die Löhne einen großen Teil der Ausgaben der Unternehmen aus“, sagte Oliver Roethig, Regionalsekretär von UNI Europa, dem europäischen Verband der Dienstleistungsgewerkschaften, gegenüber Euractiv.
„Wenn ‚Cowboy‘-Unternehmen beschließen, Konkurrenten zu unterbieten, die ihre Arbeitnehmer fair behandeln, kommt es bei Löhnen, gefährlichen Arbeitsbedingungen und schlechter Dienstleistungsqualität zu einem Wettlauf nach unten“, sagte er und forderte die EU-Kommission auf, „dem Einhalt zu gebieten“.
Sein Verband organisierte am Dienstag (1. Oktober) in Brüssel einen Protest von rund 1.000 Arbeitnehmern. Die Hoffnung bestand darin, „zu Beginn des neuen Mandats der Kommission eine klare Botschaft zu senden“.
In einem Schreiben, das am Montag (30. September) veröffentlicht wurde, fordern die teilnehmenden Arbeitnehmer die Aufnahme von verbindlichen Klauseln „zur Stärkung von Tarifverhandlungen und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen“ in die EU-Vergabevorschriften.
Die Forderungen werden von über 100 Wirtschaftswissenschaftlern, wie Thomas Piketty, Isabella Weber und Roberto Veneziani, unterstützt.
Ängste vor Bürokratie
Solche Klauseln sind auch der Hauptstreitpunkt bei der aktuellen Reform der deutschen Vergabevorschriften.
Das sogenannte Tariftreugesetz, das darauf abzielt, Unternehmen, die Bundesaufträge erhalten, zur Zahlung gemäß Tarifverträgen zu verpflichten, wird derzeit vom Finanzminister Christian Lindner blockiert.
Währenddessen hat das Bundeswirtschaftsministerium am Montag (30. September) eine separate, weniger umstrittene Reform der Vergabevorschriften an die anderen Ministerien zur Konsultation geschickt. Ihre Version zielt auf eine Vereinfachung der Regeln und Stärkung der Nachhaltigkeit ab.
Sowohl von Vertretern der Bauindustrie als auch aus Regierungskreisen wurden gegenüber Euractiv Sorgen geäußert, dass die Tariftreue-Regeln den bürokratischen Aufwand für Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, erhöhen könnten.
Dies läuft dem aktuellen Ziel Berlins und Brüssels zuwieder, den bürokratischen Aufwand von regulatorischen Verpflichtungen zu reduzieren.
Eine ähnliche Debatte könnte auch über die „Präferenz für europäische Produkte“ im öffentlichen Beschaffungswesen entstehen, die von der Leyen in ihrem Auftragsschreiben an Séjourné erwähnte.
Die Option, „Made in Europe“ den Vorzug zu geben, um die heimische grüne Produktion zu fördern, wird wohl auch im Mittelpunkt der Diskussionen über die Schaffung sogenannter „Leitmärkte“ für nachhaltige Produkte wie grünen Stahl stehen.
Dabei haben Stahlhersteller die EU-Kommission bereits aufgefordert, Behörden zu verpflichten, für öffentliche Bauprojekte grünen Stahl aus Europa zu kaufen.
„’Leitmärkte‘ ist ein Begriff, den auch Brüssel in den letzten Monaten gelernt hat“, sagte Carsten Rolle, Leiter der Abteilung Energie- und Klimapolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), auf einer Konferenz, die am Montag (30. September) vom dänischen Thinktank EUROPA in Berlin organisiert wurde.
„Es klingt so einfach, [aber] es ist harte Arbeit, es kostet Geld“, sagte er. Er ergänzte, dass „das öffentliche Beschaffungswesen eine Rolle spielt und auch andere Akteure eine Rolle spielen.“
Nachhaltige Produkte rentabler machen
Im Gegensatz zu anderen Produkten, bei denen zahlreiche Produktlabels bereits angeben, ob sie Nachhaltigkeitsvorgaben erfüllen, gibt es noch keine Definition dafür, was „grüner Stahl“ eigentlich ist. Das könnte die Schaffung eines profitablen Marktes verlangsamen.
„Unternehmen, die umweltfreundlichere Produkte entwickeln, müssen damit Geld verdienen“, sagte Anna Linusson, Geschäftsführerin des schwedischen Umweltlabels Miljömärkning Sverige, gegenüber Euractiv. „Wie sonst könnten sie überleben?“
In Staaten wie Schweden und Dänemark behinderten demnach bestimmte nationale Vorschriften die Nutzung von Umweltlabels für eine nachhaltige Beschaffung. Laut der Expertin liegt dies daran, dass dort die Verwendung von Umweltzeichen übermäßig eingeschränkt werde.
Dabei „würde die Verwendung von Umweltzeichen bei der Beschaffung viel Zeit und damit Geld sparen“ und gleichzeitig eine Reihe von beobachtbaren Kriterien für nachhaltige Produkte sicherstellen, fügte Linusson hinzu.
Wichtig sei, für ausreichend Wettbewerb zwischen nachhaltigen Lieferanten zu sorgen, um niedrigere Preise zu gewährleisten, ergänzte sie.
„Wenn man nur das billigste [Produkt] nimmt, entsteht eine ‚Lücke‘ zwischen der Realität und dem, was man erreichen möchte“, sagte sie in Bezug auf die aktuelle Beschaffungspraxis. Wenn jedoch ein ausreichender Wettbewerb gewährleistet sei, sei selbst ein nachhaltigeres Produkt „manchmal nicht teurer“, fügte sie hinzu.
[Bearbeitet von Anna Brunetti/Daniel Eck/Kjeld Neubert]