Die Europäische Zentralbank darf Anleihen von notleidenden Euro-Staaten kaufen, um damit auch die Stabilität des Euro zu sichern. Doch ein Blanko-Check für die Rettungspolitik von EZB-Chef Mario Draghi ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht. Scharfe Kritik wird besonders von Ökonomen in Deutschland laut.
Die Luxemburger Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) billigten am Dienstag wichtige Elemente der Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Denn potenziell unbegrenzte Anleihekäufe sind für EZB-Präsident Mario Draghi eine der schärfsten Waffen, um in Bedrängnis geratenen Euro-Ländern zur Hilfe zu eilen.
Die EuGH-Richter kamen zu dem Urteil, das von der EZB im September 2012 beschlossene, aber bislang nie eingesetzte Programm zum Erwerb von Anleihen angeschlagener Euro-Staaten sei mit EU-Recht vereinbar.
Den EU-Verträgen zufolge darf die EZB mit ihrer Geldpolitik zwar Einfluss auf die Entwicklung von Zinsen nehmen, um die Inflation einzudämmen, Deflation zu verhindern und Preise stabil zu halten. Sie darf aber über diese zulässige Finanzpolitik keine Wirtschaftspolitik betreiben und Staaten per Notenpresse finanzieren.
Dem Urteil zufolge hält sich die EZB mit den eigenen Vorgaben für das so genannte Outright Monetary Transactions (OMT)-Programm an die Maßgaben der EU-Verträge. Sie könne mit dem Programm auch dazu beitragen, dass Preise im Euro-Raum stabil bleiben.
Laut Urteil hat die EZB mit Blick auf das Verbot der sogenannten monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten vor dem Gerichtshof zugesichert, dass Anleihen nur auf dem Sekundärmarkt angekauft werden, wenn sich dort bereits ein Marktpreis gebildet habe. Dabei werde dann eine Mindestfrist eingehalten. Zudem würden Entscheidungen über Ankäufe und deren Volumen nicht angekündigt, um Zinsspekulationen zu verhindern.
Das Gericht verwies zudem darauf, dass nicht das EZB-Direktorium, sondern der EZB-Rat für Interventionen nach dem OMT-Programm zuständig sein solle. Der EZB-Rat ist das oberste Beschlussorgan. Neben den sechs Direktoriumsmitgliedern sind dort auch die Zentralbank-Präsidenten der 19 Euro-Staaten vertreten.
Die EZB begrüßte den Richterspruch. Laut EuGH überschreitet sie mit dem sogenannten OMT-Programm nicht ihre Befugnisse. Es verstoße auch nicht gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung.
Lob vom Bundesfinanzministerium
Das Bundesfinanzministerium nahm das Urteil positiv auf. „Das BMF begrüßt, dass der EuGH in diesem Verfahren wichtige Fragen zur Reichweite des geldpolitischen Mandats der EZB und zu seinen Grenzen geklärt hat“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Aus Sicht der Bundesregierung sei es wichtig, dass die Grenzen zwischen Geldpolitik und Staatsfinanzierung nicht verschwimmen.
Als das OMT-Programm beschlossen wurde, standen Spanien, Italien und andere wichtige Länder der Euro-Zone an den Finanzmärkten massiv unter Druck. Das Programm sieht deswegen den gezielten Kauf von Bonds solcher Euro-Staaten vor. Die Idee dahinter: Die Zinsaufschläge für die Anleihen sollen gedrückt werden – die betroffenen Länder damit zahlungsfähig bleiben. Um in den Genuss dieser Hilfen zu kommen, müssen Staaten aber strenge Reformauflagen erfüllen.
Der Beschluss der EZB hatte in Deutschland heftige Kritik (AZ: C-62/14) von über 35.000 Bürgern ausgelöst, darunter der CSU-Politiker Peter Gauweiler sowie Abgeordnete der Linken. Sie klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe legte daraufhin den Fall dem EuGH vor und machte deutlich, dass es den angekündigten Anleiheankauf
für möglicherweise verfassungswidrig hält.
Die Kritiker werfen den Währungshütern vor, ihr Mandat zu überziehen. Auch das Bundesverfassungsgericht äußerte Bedenken. Eine dem Verfassungsgericht nahestehende Person geht davon aus, dass es dort erneut eine mündliche Verhandlung geben wird, bevor es entscheidet, ob OMT mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Verhandlung könnte noch in diesem Jahr stattfinden, es wird aber nicht mehr vor der Sommerpause damit gerechnet.
Kritik von deutschen Ökonomen
Gauweiler reagierte enttäuscht und nannte das Urteil eine „Kriegserklärung“ des EuGH an das Bundesverfassungsgericht.
Heftige Kritik kam auch von der Linken. Es sei „verhängnisvoll“, dass der EuGH die „Verknüpfung von geldpolitischen Maßnahmen und Kürzungsdiktaten“ durch die EZB nicht nur bestätige, sondern sie auch zur „Voraussetzung der Rechtmäßigkeit von Anleihekäufen“ erkläre, kritisierte der Linken-Europaabgeordnete Fabio De Masi.
Nach dem Urteil der EuGH-Richter verstößt das OMT-Programm nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die EZB müsse aber sicherstellen, dass die Käufe mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung im Einklang stünden. Genau das bezweifeln manche Wirtschaftsexperten.
Der EuGH irre sich, erklärte ZEW-Präsident Clemens Fuest. „Das ist Fiskalpolitik und keine Geldpolitik.“
Ähnlich äußerte sich Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn: „Die EZB überschreitet sehr wohl ihre Kompetenzen und betreibt Wirtschaftspolitik. Das darf sie nicht.“
Der Präsident des DIW-Instituts, Marcel Fratzscher, befürchtet einen Konflikt mit Karlsruhe: „Die Richter des Bundesverfassungsgerichts müssen nun entscheiden, ob sie auf Konfrontationskurs mit Europa und dem EuGH gehen wollen“.
Das OMT-Programm ist nicht mit dem seit März laufenden, über eine Billion Euro schweren Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB zu verwechseln. Dieses zielt nicht auf einzelne Krisenstaaten, sondern auf Anleihen aller Euro-Länder ab. Mit dem QE („Quantitative Easing“) genannten Programm soll die Konjunktur und die aktuell sehr niedrige Inflation angeheizt werden. Obwohl das EuGH-Urteil das aktuelle Programm nicht direkt betrifft, dürfte es den Währungshütern mehr Rechtssicherheit geben.