Eine Gruppe von EU-Mitgliedsstaaten ist offenbar unzufrieden: Ihrer Ansicht nach stellt die EU-Kommission nicht genügend Informationen über die Handelsgespräche mit den USA zur Verfügung. Die EU-Länder seien daher „nervös“, welche Punkte in den Abkommen schlussendlich enthalten sein werden, warnten mehrere DiplomatInnen gegenüber EURACTIV.com.
Als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Januar im schweizerischen Davos mit US-Präsident Donald Trump zusammentraf, kündigte sie an, sie werde bald nach Washington reisen, und zeigte sich dabei zuversichtlich, dass die beiden Seiten „in einigen Wochen“ eine Einigung zur Beilegung des Handelsstreits erzielen könnten.
Nun wurde von der Leyen eigentlich am Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche in der US-Hauptstadt erwartet. Doch stattdessen schickte sie ihren Handelskommissar Phil Hogan und den Hohen Vertreter für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit, Josep Borrell, zu den Gesprächen mit der Trump-Administration.
DiplomatInnen in Brüssel beschwerten sich, dass die Kommissionschefin die Mitgliedsstaaten nicht über ihre Pläne – oder auch ihre potenziellen Zugeständnisse an Trump – auf dem Laufenden halte.
„Alle sind sehr nervös. Niemand weiß, was die Kommission tun wird,“ so eine Diplomatin, die anonym bleiben wollte.
Sie fügte hinzu, es herrsche bei einigen EU-Staaten auch die Angst, dass die erste Priorität für die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin darin bestehe, zunächst die deutschen Interessen – und die mächtige Autoindustrie – zu schützen. Demnach könne es für von der Leyen höchste Priorität haben, dass vor allem Zölle im Autobereich vermieden werden.
Trump selbst hatte in Davos mitgeteilt, er habe von der Leyen deutlich gemacht: „Wenn wir nicht etwas [von der EU] bekommen, muss ich etwas unternehmen. Und das werden sehr hohe Zölle auf ihre Autos und auf andere Dinge sein, die in unser Land kommen.“
Angst vor Zöllen
Eine andere EU-Diplomatin versuchte, die Bedenken einiger Mitgliedstaaten herunterzuspielen. Man könne deren Ängste nicht teilen: „Wir würden die Ängste teilen, wenn wir nicht so viel Vertrauen in die Fähigkeit der Kommission hätten, diese Handelsgespräche zu führen.“
Dieselbe Diplomatin räumte ein, dass „Deutschland sehr besorgt“ über die möglichen Zölle sei. Aufgrund des Verhaltens von der Leyens in den ersten Monaten ihrer Amtszeit „sind wir aber zuversichtlich, dass sie ihre eigene Nationalität [bei den Verhandlungen] außen vor lassen kann“.
Eine von EURACTIV kontaktierte Kommissionsbeamtin erinnerte unterdessen daran, dass das von den Mitgliedsstaaten im vergangenen Frühjahr erteilte Verhandlungsmandat „sehr klar“ sei: Die nationalen Regierungen ermächtigten die Kommission, mit den USA über die Konformitätsbewertung (die in einigen Sektoren zur Erleichterung des Handels erforderlich ist) und über die Abschaffung der Zölle auf Industriegüter zu verhandeln.
Chlorhühnchen und andere Bedenken
Ein dritter EU-Diplomat warnte, dass man der Kommission zwar zutraue, die Interessen der EU als Ganzes zu verteidigen. Sein Land werde jedoch „wachsam“ bleiben, insbesondere in Bezug auf bestimmte Aspekte im Bereich der Landwirtschaft.
Eine der befragten DiplomatInnen erinnerte ebenfalls daran, dass die Kommission innerhalb ihres Mandats „großen Spielraum“ habe. So könnte diese als Zugeständnis an Washington gegebenenfalls gesundheitspolizeiliche und phytosanitäre Maßnahmen (SPS) lockern, die wiederum den Import amerikanischer Agrarerzeugnisse und/oder Lebensmittel erleichtern dürften.
In diesen Bereich könnte dann auch eine Aufhebung des Verbots zur Einfuhr von sogenannten „Chlorhühnern“ in die EU fallen. Ein Ende dieses Verbots wird seit langem von der US-Führung gefordert.
Ein hochrangiger EU-Beamter erklärte tatsächlich, dass eine Änderung der SPS-Maßnahmen eine „Hintertür“ darstellen könnte, um die Blockade in den Gesprächen zu überwinden. Die Pattsituation besteht seit vergangenem Herbst, als es bereits um die Frage ging, ob die Landwirtschaft einbezogen werden soll.
Es ist eine rote Linie für die europäische Seite: Aus Sicht vieler VertreterInnen der EU-Staaten müsste ein neues Mandat für die Kommission erteilt werden, wenn diese auch Landwirtschaftsaspekte verhandeln soll.
Aus Sicht von US-Landwirtschaftsminister Sonny Perdue dürften Änderungen an den regulatorischen Einschränkungen der EU ohnehin nicht ausreichend sein. Das Ziel der US-Regierung ist es, das derzeitige Agrarhandelsdefizit der USA gegenüber der EU von zwölf Milliarden Dollar wieder auszugleichen.
Neben der Gefahr von neuen US-Zöllen (beispielsweise auf die Autoindustrie) hatten sich in den vergangenen Monaten noch weitere Nebenschauplätze im Handelskrieg aufgetan. So drohte die Trump-Regierung auch damit, als Reaktion auf die Digitalsteuer in Frankreich neue Zölle auf französische Produkte zu erheben. In dieser Hinsicht scheint eine Einigung nur aufgeschoben.
Darüber hinaus erwägt Washington eine Erhöhung der Zölle auf europäische Agrarerzeugnisse aus Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Spanien von 25 auf 100 Prozent. Dies wäre laut einem Urteil der Welthandelsorganisation zu europäischen Subventionen für den Flugzeughersteller Airbus legal.
Alleingänge?
Mittlerweile scheinen sich einige EU-Mitgliedstaaten darauf vorzubereiten, ihre Forderungen direkt an die US-Regierung zu richten. So werden die spanischen Außen- und Handelsministerinnen Arancha González und Reyes Maroto in den kommenden Tagen in die USA reisen.
Maroto hatte gegenüber Handelskommissar Hogan bereits ihre Bedenken über die mögliche Zollerhöhung im Agrarlebensmittelsektor geäußert. Madrid sieht dies insbesondere als „ungerecht“ für die spanischen Landwirte an, die derzeit zu Hause aufgrund ihrer sinkenden Einnahmen protestieren.
Spanische Beamte erinnerten in diesem Zusammenhang daran, dass das Land keinen Handelsüberschuss mit den USA aufweist und auch nur eine Minderheitsbeteiligung (weniger als fünf Prozent) an der Herstellung von Airbus-Flugzeugen hat.
Darüber hinaus war Spanien bereits der erste EU-Mitgliedstaat, der von den Trump’schen Strafzöllen betroffen war, als Einfuhrgebühren auf schwarze Oliven beschlossen wurden.
Die spanische Regierung will die US-Regierung auch an die laufende militärische Zusammenarbeit der beiden Länder erinnern: Spanien beheimatet einen US-Marinestützpunkt in Rota (Cádiz), der für Einsätze im Mittelmeer von Bedeutung ist.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]