Die größten Automobilhersteller Europas erklären, der Coronavirus-Ausbruch werde ihre Kapazitäten einschränken, um die EU-Vorschriften zur CO2-Bilanz des Sektors einzuhalten.
Der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) – der Konzerne wie Ford, Honda und Volkswagen vertritt – beklagte in einem Brief an sechs EU-Kommissionsmitglieder in der vergangenen Woche, „dass wir so etwas [wie das Coronavirus] noch nie erlebt haben“.
Der ACEA und eine Reihe weiterer Industrie- und Lobbygruppen warnten, dass ein durch Fabrikschließungen und unterbrochene Lieferketten verursachter Ausfall in der Produktion, bei der Entwicklung und bei Tests den Zeitplan des Sektors beeinträchtigen werde: „Das bringt die Pläne durcheinander, die wir gemacht hatten, um uns auf die Einhaltung bestehender und künftiger EU-Gesetze und -Vorschriften innerhalb der in diesen Vorschriften festgelegten Fristen vorzubereiten,“ wird in dem Brief erklärt.
Weiter fordert die Autoindustrie: „Wir glauben daher, dass eine gewisse Anpassung des Zeitplans für diese Gesetze notwendig wäre.“ Betont wird freilich, die Autohersteller würden nicht versuchen, die grundsätzlichen Ziele der Vorschriften, wie zum Beispiel die Bekämpfung des Klimawandels, zu untergraben.
In dem Schreiben wird nicht weiter angegeben, welche konkreten Vorgaben der EU angepasst werden sollten. Nach Einschätzung von EURACTIV.com dürften jedoch die CO2-Emissionsziele für 2020 und 2030 ganz oben auf der Wunschliste des Sektors stehen.
„In diesem dringenden Kontext war es bisher nicht möglich, eine detaillierte Analyse der Auswirkungen dieser Krise auf die Gesetzgebung, die unsere Industrie betrifft, durchzuführen. Es wird aber unweigerlich Auswirkungen in diesem Bereich geben,“ erklärte ACEA-Chef Eric-Mark Huitema in einer separaten Erklärung.
Ein Sprecher des deutschen Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wurde deutlicher: „Wenn einige Hersteller schwere Schäden erleiden und Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen, dann sollte es natürlich eine Debatte über CO2-Ziele geben.“
Ziele aufgrund der Krise sogar besser zu erreichen?
Ab Januar 2021 tritt ein neuer Durchschnittsgrenzwert von 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer für Neufahrzeuge der einzelnen Autohersteller-Flotten vollständig in Kraft. Gewisse Bestimmungen sind jedoch bereits heute verpflichtend.
Einige Autohersteller wie beispielsweise die Peugeot Group erklärten, man habe daher im ersten Quartal 2020 bereits begonnen, die gesteckten Ziel einzuhalten.
Mobilitätsexperten weisen derweil darauf hin, dass die aufgrund des Virenausbruchs niedrigen Verkaufszahlen in Wirklichkeit wenig Einfluss auf die Einhaltung der Emissionsvorschriften haben dürften: Schließlich beziehen die Vorschriften sich auf die durchschnittlichen Emissionen der Flotte.
Vielmehr sei davon auszugehen, dass ein wirtschaftlicher Abschwung den Autoherstellern in dieser Hinsicht sogar helfen könnte, da die Kundinnen und Kunden in finanziell schwierigen Zeiten dazu neigen, kleinere Autos zu wählen. In diesem Segment gibt es auch eine deutlich größere Auswahl an Elektrofahrzeugen.
Julia Poliscanova von der NGO Transport & Environment erklärt in dieser Hinsicht ebenfalls, insbesondere die Art der verkauften Autos sei von größter Bedeutung. Daher sollten auch alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Konjunkturbelebung nach Eindämmung der Pandemie „auf Null-Emissions-Autos ausgerichtet sein“.
Vor allem die EU-Gesetze mit Klimazielen für 2030 dürften für die Autohersteller von großer Bedeutung sein, da die Kommission im Rahmen ihres Green Deal nun eine frühzeitige Überprüfung der Vorschriften im kommenden Jahr vorgeschlagen hatte – anstatt der zuvor geplanten Bestandsaufnahme im Jahr 2023.
Strengere Luftschutzstandards für Verbrennungsmotoren sollen ebenfalls bewertet werden. Die EU-Exekutive strebt an, 2025 genügend Vorschriften festgelegt zu haben, „um wirklich einen eindeutigen Weg zu emissionsfreier Mobilität zu gewährleisten“, so ein hochrangiger Kommissionsbeamter.
Altmaier springt für die Autoindustrie in die Bresche
Unterstützung erhält die Autoindustrie derweil aus der deutschen Politik: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte schon im Februar in einem Schreiben an EU-Klimakommissar Frans Timmermans darauf bestanden, dass der Automobilsektor von jeglichen Plänen zur weiteren Emissionssenkung ausgenommen werden sollte.
Altmaier argumentierte damals, die bestehenden Regeln, die 2019 ausgehandelt wurden, hätten bereits „jeglichen Spielraum für eine weitere Verschärfung eliminiert“.
Nach bisherigem Stand sollen die Emissionen bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 37,5 Prozent gesenkt werden.
Die Kommission hat ihrerseits weitere umweltpolitische Maßnahmen für den Verkehrssektor in Aussicht gestellt – auch wenn sich der Zeitplan wegen der Virus-Pandemie noch ändern könnte. Dazu gehört beispielsweise die zukünftige Einbeziehung von Straßenfahrzeugen (und der Schifffahrt) in das EU-Emissionshandelssystem.
Die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen machen etwa ein Viertel des Gesamtausstoßes der EU aus. Im Gegensatz zu anderen Verschmutzern wie Energieerzeugern oder der Landwirtschaft sind die Werte im Transportsektor jedoch stetig angestiegen.
(Bearbeitet von Benjamin Fox und Tim Steins)