Brüssel will bei Übernahmen deutscher Unternehmen durch ausländische Investoren wie aus China oder den USA mitreden. Ein Experte für Investitionskontrollen erklärt die Folgen.
WirtschaftsWoche: Herr Bonhage, sie beraten bei Großprojekten in Energie, Verteidigung, Verkehr, Infrastruktur, Finanzen und Gesundheit. Die EU will künftig mitbestimmen, ob Investoren aus China oder den USA deutsche Unternehmen aus diesen Schlüsselbranchen kaufen dürfen. Zieht die EU diesen Bereich an sich?
Jan Bonhage: Die Europäische Union hat die gemeinsame Initiative von Deutschland, Frankreich und Italien für einen EU-Rahmen für nationale Investitionsprüfverfahren aufgenommen. Die Verfahrens- und Entscheidungshoheit liegt weiterhin beim Mitgliedstaat, in Deutschland beim Bundeswirtschaftsministerium. Die EU will aber den bislang eher bilateralen und informellen Austausch in Sicherheitsbelangen durch einen neuen Kooperationsmechanismus der Mitgliedstaaten und der EU formalisieren und – als Ausdruck der gemeinsamen Handelspolitik – einheitliche Mindeststandards für die Prüfverfahren festlegen.
Was ist Auslöser der Regelung?
Die neue EU-Verordnung wird ab Herbst 2020 gelten und reagiert insbesondere auf Industrie- und Investitionsstrategien in China und anderen Teilen der Welt, einschließlich staatlich kontrollierter Unternehmen, die in Mitgliedstaaten der EU Übernahmen planen. Dahinter steht die Sorge, dass Staaten und ihnen nahestehende Akteure außerhalb der EU über Unternehmenskäufe kritische Infrastrukturen, Technologien oder Ressourcen oder sensible Daten kontrollieren und dadurch die öffentliche Sicherheit in Europa gefährden könnten.
Deutschland hat aus dem gleichen Grund schon die Kontrollen von Übernahmen vor allem aus China verschärft. Sind die EU-Regeln noch strenger?
Der EU-Rahmen für nationale Investitions-Screenings geht in die gleiche Richtung. Die Prüfung von Übernahmen bleibt in der Verantwortung des Mitgliedstaats, in dem das Target sitzt, also das Unternehmen, das ein ausländischer Investor kaufen will. Die EU will aber Sicherheitserkenntnisse und Bedenken anderer EU-Mitgliedstaaten und der EU in das Verfahren einbeziehen sowie insbesondere dann mitreden, wenn die Zielunternehmen Fördergelder der Union erhalten oder wenn Infrastrukturen oder Technologien betroffen sind, die durch EU-Programme koordiniert werden und von besonderem Unionsinteresse sind.
Um welche Branchen handelt es sich?
Es geht um einen breiten Katalog, angefangen bei Energie- und Wasserversorgung über Verkehrsinfrastruktur und Informationstechnologie, bis hin zu Wahl- und Finanzinfrastruktur. Erfasst sind auch Unternehmen, die sensible Daten etwa über die Gesundheit von EU-Bürgern verwalten oder zukunftskritische Technologien entwickeln, wie künstliche Intelligenz, Robotik, Raumfahrt oder Cybersicherheit. Auch die Freiheit und Pluralität der Medien darf durch Übernahmen nicht gefährdet werden und natürlich sind Übernahmen in der Rüstungsbranche freigabepflichtig.
Das trifft sehr viele der für Investoren interessanten Unternehmen. Gibt es überhaupt noch Bereiche, in denen Übernahmen durch EU-Ausländer ohne Prüfung möglich sein werden?
Da bleibt tatsächlich wenig übrig. Weitgehend unproblematisch dürften Immobiliendeals sein und Übernahmen im klassischen produzierenden Gewerbe. Geht es bei den Immobiliendeals aber um Grundstücke, auf denen kritische Infrastruktur steht, wie ein Rechenzentrum oder Wasserwerk, sind diese nunmehr auch ausdrücklich einbezogen. Das sind nur erste Anhaltspunkte für potentiell sicherheitsrelevante Faktoren und sagt noch nichts darüber, ob konkret Sicherheitsbedenken bestehen. Bedenken können zudem gegebenenfalls durch eine Sicherheitsvereinbarung ausgeräumt werden.
Wie lange dauert eine Prüfung durch die EU?
Das soll eigentlich schnell gehen, kann sich aber erheblich in die Länge ziehen. Der Mitgliedstaat, der eine Investitionsprüfung durchführt, muss die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten informieren. Diese müssen sich innerhalb von 15 Tagen zurückmelden, wenn sie Kommentare oder Stellungnahmen abgeben wollen. Für diese haben sie insgesamt 35 Tage Zeit und die Kommission bekommt 5 bis 15 weitere Tage für Stellungnahmen. Allerdings können die Behörden durch Informationsersuchen die Uhr auf null stellen und haben dann 20 Tage ab Informationseingang. Dann dauert die Prüfung deutlich länger. Zunächst werden die Mitgliedstaaten gemeinsam mit der EU dieses Verfahren hinter dem Verfahren vorbereiten. Die neue EU-Verordnung gilt wie gesagt erst ab Herbst 2020.
Wie lange dauert eine Investitionsprüfung aktuell in Deutschland?
Wenn es glatt läuft, erteilt das Bundeswirtschaftsministerium binnen zwei Monaten eine Unbedenklichkeitsbescheinigung. In komplexeren Fällen, wenn also insbesondere sicherheitskritische Branchen betroffen sind, kann eine Prüfung bis zu einem halben Jahr oder sogar länger dauern. Jeder Investor von außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums sollte grundsätzlich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen oder den Erwerb dem zuständigen Referat des Bundeswirtschaftsministeriums zumindest mitteilen, sonst kann das BMWi sogar fünf Jahre nach dem Erwerb noch prüfen und einschreiten.
Deutschland prüft solche Deals nun schon bei Beteiligungen ab zehn Prozent, statt wie vorher 25 Prozent. Welche Folgen hat das auf den M&A-Markt?
Insbesondere Käufer aus China halten sich stärker zurück. Dies war auch schon vor der Absenkung der Prüfschwelle Ende 2018 zu erkennen. So wurde zuletzt die geplante Übernahme des deutschen Maschinenbauers Leifeld durch die Tochter eines chinesischen Unternehmens abgesagt. Eigentümer, die ihr Unternehmen verkaufen wollen, schauen daher, dass nicht nur chinesische Bieter im Rennen sind.