EU-Justizkommissarin Věra Jourová hat den Mitgliedsstaaten im Vorfeld der EU-Wahlen 2019 eine deutliche Botschaft übermittelt: Sie wies darauf hin, dass „das Risiko von Einmischung und Manipulation [bei Wahlen] noch nie so hoch war“.
Jourová sprach auf dem Lissabonner „Web Summit 2018“, wo sie die Ergebnisse der jüngsten Eurobarometer-Umfrage vorstellte. Die Studie zeigt unter anderem, dass 81 Prozent der Bürger sich mehr Transparenz bei der Werbung in sozialen Netzwerken wünschen. 80 Prozent fordern, die Beträge, die politische Parteien an Internetplattformen zahlen, sollten öffentlich dargelegt werden.
Mehr als zwei Drittel (67 Prozent) äußerten sich besorgt, dass die aus dem Internet gewonnenen personenbezogenen Daten für gezielte politische Werbung verwendet werden und damit den „fairen Wettbewerb“ zwischen den Parteien gefährden könnten.

Die Studie war im September dieses Jahres in Form von persönlichen Interviews mit fast 30.000 Bürgern aus der gesamten EU durchgeführt worden.
„Zu lange haben wir das Big-Tech-Geschäft als ausschließlich gut oder zumindest neutral angesehen. Bisher können [die Unternehmen] kaum für die Folgen verantwortlich gemacht werden, die sie verursachen können,“ kritisierte Jourová in Lissabon. Die große Frage sei, „welche Rolle die Technik in unserer Gesellschaft spielen soll.“
Sie fügte hinzu, der Cambridge Analytica-Skandal sei „ein Schock für unsere demokratischen Systeme“ gewesen. Bei allen Beteiligten sollten nun – weniger als 200 Tage vor den EU-Wahlen – die „Alarmglocken läuten“.
„Hippokratischer Eid“ für Web-Spezialisten?
Die Gefahr für die EU-Wahlen durch Hacks, Fehlinformation und Datenmissbrauch war in letzter Zeit ein Thema, das von den europäischen Regulierungsbehörden heftig und ausführlich diskutiert wurde.
So hat die Europäische Kommission kürzlich einen Verhaltenskodex gegen Desinformation und Fake News angekündigt, den Technologieplattformen wie Facebook, Twitter und Google einhalten sollen. Der Kodex umfasst Maßnahmen wie die Bekämpfung gefälschter Benutzerkonten und Online-Bots sowie die Kappung von Werbeeinnahmen von Unternehmen, die Desinformationen verbreiten.
Im Oktober hatte Sicherheitskommissar Julian King auf einer hochrangigen Konferenz über Desinformation im Zusammenhang mit den Europawahlen im kommenden Jahr gefordert, die EU müsse „viel weiter, viel schneller“ voranschreiten, um der Bedrohung durch Fake News entgegenzuwirken.
Darüber hinaus fand Ende Oktober im Europäischen Parlament die Ethikkonferenz des Europäischen Datenschutzrates (EDPB) statt. Dort wurde auch die Frage, wie man ein grundlegendes Regelwerk für den Digitalsektor aufbauen könne, ausführlich diskutiert. Vor der Eröffnung der Veranstaltung wies EDPB-Chef Giovanni Buttarelli auf die Möglichkeit hin, eine Art „Hippokratischen Eid“ für das digitale Zeitalter zu entwickeln.
Diese Idee griff auch Jourová am Dienstag dieser Woche auf: „Ich habe von der Idee gehört, einen hippokratischen Eid für Tech-Designer zu schaffen. Die erste Regel sollte dabei sein: ‚Tue nichts Böses und stelle das Wohlergehen der Menschen in den Vordergrund.‘ Diese Idee gefällt mir,“ sagte sie.
„Bauvorschriften“ für das Internet
Aktuell richtet sich die Kritik der EU-Kommission vor allem gegen die Plattformen. Dagegen entziehen sich Web- und Softwaredesigner, die die Algorithmen entwickeln, auf denen die Digitalplattformen überhaupt basieren, bisher recht erfolgreich der direkten Rechenschaftspflicht.
Doch aus Jourovás Sicht könnte – und sollte – sich das ändern: „Ein Architekt muss die Bauvorschriften und eine Reihe von Sicherheitsregelungen respektieren und einhalten.“ Ihrer Meinung nach sollten ähnliche „Bauvorschriften“ auch für die digitale Welt gelten.
Sie wünsche sich „eine Mischung aus ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Normen, um das Vertrauen in diese revolutionärsten Veränderungen unseres Zeitalters zu stärken.“