Volt, eine von jungen Europäern gegründete transnationale Bewegung, will die bevorstehenden EU-Wahlen aufmischen – mit einer Kombination aus extrem lokaler Organisation und gemeinsamer europäischer Vision. EURACTIV.com sprach mit zwei der Volt-Gründer.
Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die EU zu verlassen, war für sie ein Schlag ins Gesicht: Die politische Entscheidung eines anderen Menschen in einem anderen Land kann in einem vereinten Europa Auswirkungen auf mich und mein Leben haben. Das sei den Volt-Gründern im Sommer 2016 klar geworden, erzählen sie.
Sie beschlossen, eine politische Bewegung zu schaffen, die die europäische Integration verteidigt, sich aber auch für eine tiefgreifende Reform der EU-Institutionen einsetzt.
Alles begann mit einer Facebook-Seite, die am 29. März 2017 online ging; dem Tag, an dem das Vereinigte Königreich Artikel 50 auslöste und seinen zweijährigen Countdown zum tatsächlichen EU-Ausstieg startete. Knapp zwei Jahre später hat die Bewegung mehr als 15.000 Mitglieder in 30 Ländern, darunter auch Nicht-EU-Staaten wie der Schweiz und Albanien. Zehn Gruppen sind bereits auf nationaler Ebene als politische Partei registriert.
Die meisten Mitglieder sind Freiwillige; 70 Prozent von ihnen waren vorher nicht in der Politik aktiv. Die Volt-Aktionen wurden bisher ausschließlich durch Crowdfunding-Kampagnen finanziert.
Vergangene Woche hielt die neue Bewegung ihre erste Generalversammlung in Amsterdam ab, an der über 450 Delegierte teilnahmen. Am Ende der Diskussionen stand die „Amsterdamer Erklärung“, ein gemeinsames europäisches Programm für alle Volt-Delegationen in der gesamten EU. Damit kandidieren alle nationalen Vertreter von Volt in den jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten mit einer identischen Botschaft sowie den gleichen Versprechungen und Zielen.
„Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, dann geht man auch zusammen voran. Unsere Teams von Lissabon bis Warschau bereiten sich auf diese Wahl vor,“ erklärt Volt-Mitbegründerin Andrea Venzon enthusiastisch.
„Hyperlokale“ Bewegung
„Volt will weit über das Europäische Parlament hinausgehen,“ sagt Colombe Cahen-Salvador, die ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern gehört. „Wir wollen auf allen Regierungsebenen arbeiten, bis alles, was wir hier drin haben [sie zeigt auf die Amsterdamer Erklärung], erreicht ist.“
Die Partei besteht derzeit aus rund 300 Stadt-Gruppen in ganz Europa, die sich treffen, um Ideen auszutauschen und Themen zu diskutieren. Diese Diskussionen werden dann nach oben auf die regionalen, nationalen und schließlich europäischen Ebenen weitergetragen. „Wir sind eine hyperlokale Bewegung,“ betont Venzon.
Die Einrichtung dieser lokalen Vertretungen, so die Argumentation von Volt, erlaube es der Partei, den Kontakt zu denjenigen zu verbessern, die nicht unbedingt auf digitalen Plattformen aktiv sind, sondern vor allem auf lokaler Ebene tätig bleiben. Sie wollen gerade Bürger ins Boot holen, die an politischen Aktivitäten außerhalb von Wahlzeiten teilnehmen, so die Gründerinnen.
Wichtig für die Bewegung sei dabei, die „europäische Vision“ auch auf lokaler und regionaler Ebene lebendig zu halten: Ein umfangreiches Dokument, das im Mai vergangenen Jahres nach intensiver Konsultation der Mitglieder verabschiedet wurde, legt den Standpunkt der Bewegung zu einer Vielzahl von Themen dar.
„Als wir Volt gründeten, waren wir uns einig, dass es vor allem auf Inhalten basieren sollte. Ich bin Französin, und mich hat bei den letzten französischen Wahlen wirklich die Tatsache beunruhigt, dass der derzeitige Präsident so lange ohne ein Programm kandidieren konnte,“ erinnert sich Cahen-Salvador.
Die lokalen, regionalen und nationalen Delegationen der Partei müssen die gemeinsamen Leitlinien bei der Entwicklung ihres eigenen spezifischen Programms beachten, erläutert sie. Dabei „sollten aber natürlich die Fragen hervorgehoben werden“, die im speziellen regionalen Kontext von größerer Bedeutung sein könnten.
„Das bedeutet, dass wir insgesamt einheitlich auftreten und konsistente Positionen auf dem gesamten Kontinent haben – ob in Ixelles (Brüssel) oder in einem Wahlkreis in Bulgarien,“ unterstreicht Cahen-Salvador.
Das Programm: Grün angehauchter Liberalismus
Ein Schwerpunkt im Programm von Volt ist eine Vertiefung der europäischen Integration in mehreren Bereichen, darunter die Steuerung der Migrationsströme, die Harmonisierung des Asylrechts, die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Demokratisierung der EU.
„Wir sind Pro-Europäer. Nicht, weil wir die EU idealisieren, sondern weil sie für uns das beste Mittel ist, um unsere Ziele zu erreichen: Nämlich Frieden, Nachhaltigkeit und die Wahrung einer wohlhabenden Gesellschaft,“ so Cahen-Salvador. Wichtig sei dabei, „dass wir nicht nur eine tiefere europäische Integration fordern, sondern auch, dass wir die EU reformieren wollen.“
Daher strebe Volt unter anderem eine demokratischere, transparentere und partizipativere Union an, in der die Präsidenten der Institutionen direkt gewählt werden und in der das EU-Parlament Gesetzesinitiativen vorbringen kann. Derzeit ist dieses Recht ausschließlich der Europäischen Kommission vorbehalten.
Volt unterstütze außerdem den Vorschlag von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Entscheidungen im Europäischen Rat mit einfacher Mehrheit statt mit Einstimmigkeit zu entscheiden. Auch die Absichten von Emmanuel Macron, die Wirtschafts- und Währungsunion zu „vertiefen“, teile man.
Gleichzeitig brauche es aber auch eine grünere Wirtschaft sowie mehr Unterstützung und einen stärkeren Schutz der Arbeitnehmer – insbesondere derjenigen, die von der digitalen Revolution betroffen sind. Im Programm werden außerdem mehr EU-Mittel für Bildung, Innovation und Forschung sowie erleichterte Mobilität für Arbeitnehmer und Studierende in ganz Europa gefordert.
Breit gefächerte Prioritäten
In Anbetracht des zunehmenden Rassismus und der Anti-Migrationsrhetorik in Europa fordert Volt „mehr europäische Solidarität bei der Steuerung der Migrationsströme“, beim Abschluss der Dublin-Reform – die nach wie vor blockiert ist – und eine Gewährleistung, dass die Rechte für Asylbewerber in allen 27 Mitgliedsstaaten gleich sind.
Die Partei ist darüber hinaus der Ansicht, dass Hunger- und Klimaopfer nach europäischem Recht Anspruch auf internationalen Schutz haben. Legale Einwanderungsmöglichkeiten sollen erleichtert werden.
Zu ihren weiteren Prioritäten zählt die Gruppe auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, eine Stärkung der Rolle von Europol, die Bekämpfung von Polizeigewalt, die Geschlechtergleichstellung sowie Armutsbekämpfung in den wirtschaftlich schwächeren Regionen der EU.
Herkulesaufgabe EU-Wahlen
Die vergangenen Europawahlen waren vor allem durch eine geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet. Grund dafür sei, glaubt Cahen-Salvador, dass die Bürger die komplizierte Arbeitsweise der Institutionen nicht verstehen und der EU daher nicht vertrauen.
„Diese Wahl muss auch zu einem Kampf zwischen alten Politikmethoden und einer neuen Art der Politik werden. Wir wollen eine neue Art der Politik, die integrativ ist, an der Menschen teilnehmen, in der die Stimmen der Bürger gehört werden,“ betont sie.
Die selbstgesteckten Ziele sind hoch: Für die Europawahlen strebt Volt eine eigene Fraktion an. Dafür müsste die Partei allerdings mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten im Parlament haben. Für eine neue Partei ist dies eine wahre Herkulesaufgabe.
Im März kommenden Jahres wollen die Volt-Mitglieder sich für einen Spitzenkandidaten entscheiden, der die Partei bei den EU-Wahlen vertritt. Ob ihre Bewegung als Alternative zu den vom Parlament abgelehnten transnationalen Wahllisten bei den europäischen Bürgern ankommt, wird sich dann bei den Wahlen Ende Mai zeigen.